retrospektives tagebuchbloggen.

# Dem wahrlich lindgrenschen Urlaub auf einem schwedischen Bauernhof folgten arbeitsame Wochen in einem Luxushotel am Potsdamer Platz, wo ich zunächst eine Reisegruppe aus Texas betreute, deren Teilnehmer ihre Zeit bevorzugt damit verbrachten, rassistisch über Obama zu reden; ein Mann sagte, er würde noch nicht einmal den Namen des neuen Präsidenten in den Mund nehmen, und ich fragte mich die ganze Zeit, warum republikanische Texaner nach Deutschland reisen, wenn sie doch nur die ganze Zeit schlecht über Obama reden möchten, kann man das nicht Zuhause genauso gut, aber vielleicht braucht man dazu ein immer neues, am besten internationales Publikum, das Ganze war ein zwar schwer zu ertragender, aber dennoch lehrreicher reality check, ahnt man doch sonst immer nur diffus, dass es solche Menschen gibt, dann kamen allerdings noch Kommentare wie etwa, dass H*tler bis 1929 ein Held gewesen sei und dass die Amerikaner damals noch ein paar Wochen hätten dranhängen sollen, dann wären sie schon in Moskau gewesen und hätten die Russen gleich mitbesiegt, und mit fortschreitender Dauer der Betreuung wurde die Gruppe immer schwerer zu ertragen, schon bald ging mir der ganze Luxus im Hotel gleich mit auf den Geist, und als ich am Hospitality Desk in der Lobby plötzlich hörte, dass man Sufjan Stevens als Lobbymusik spielte, ausgerechnet diese Musik hier missbrauchte (wie es sich für mich akut anfühlte), sie einsetzte wie etwa die zentrale Leonardo-Duftverströmung über die Klimaanlagen, da drohte ich für einen Moment gänzlich zu verzweifeln und entfloh für ein paar Stunden in unsere Wohnung, deren überall von Johns dreckigen Fingern angetatzten Tapeten mir noch nie eine solche Wohltat gewesen sind wie bei dieser Heimkehr. Die nächste Gruppe kam zum Glück aus Berkeley und machte alles wieder wett, versöhnte mich wieder mit der Arbeit und auch mit dem Hotel, einigermaßen.

# [Sufjan Stevens ist deshalb so wichtig, weil er seit Schweden Johns unschlagbarer Lieblingsinterpret geworden ist, von allen Alben hört er, der kleine Chicagoer, ausgerechnet „Feel the Illinoise“ am liebsten, und wie er da jedes Mal versonnen und sich wiegend vor der Anlage steht, das ist ein Bild für die Götter | wie man so sagt.]

# Bei einem Mittagessen der ersten Gruppe gab es Hähnchenfleisch, darüber war einer der Texaner sehr empört. Er beschwerte sich bei der Reiseleiterin und kündigte an, sie fortan nur noch „Miss Chicken“ zu nennen (als ob die Reiseleiterin das Essen aussucht), was er dann auch tatsächlich den ganzen Nachmittag getan hat.

# Am Sonntag war ich im Privatclub in Kreuzberg, auf dem Konzert von Ursula Rucker, morgen gehen wir zu den Yeah Yeah Yeahs in die Columbiahalle, überhaupt gehen wir gefühlt nur noch aus, weil wir endlich die ganzen Geldvorräte aus den „zusätzlichen Betreuungsleistungen“ von 2008 wegschmelzen müssen, die kann man nur noch bis 1. Juni 2009 nutzen, dann fallen sie weg, das geht natürlich nicht.
(Deshalb diesen Monat auch noch auf dem Programm: Great Lake Swimmers, Art Brut und Masha Qrella.)
[Mit einem Mann, der immer noch nicht richtig deutsch spricht, scheiden Theater und Lesungen als Ausgehaktivitäten nach wie vor aus, bleiben Konzerte und Kino und Ausstellungen und Fußball; als Werder vor zwei Wochen im Olympiastadion spielte, waren wir natürlich wie jedes Jahr dabei.]

# Über den 1. Mai haben wir versucht, ob John vielleicht auch ohne sein Medikament auskommen kann, noch immer wäre es mir am liebsten, wenn er keine Psychopharmaka nehmen würde, aber schon nach einem halben Tag setzte die Aggression in der gleichen Stärke ein wie vor der Einführung des Dipiperon, er war nicht mehr zu bändigen, er bestand aus nichts mehr als aus Aggression, wir trugen viele Blessuren davon, John konnte sich auf gar nichts mehr konzentrieren, der 1. Mai war nichts als Krawall in unserem Haus, also nimmt er nun wieder sein Medikament und ist bestens zufrieden, damit ist diese Frage erstmal wieder geklärt, nein, es geht nicht ohne, vor allem für ihn selbst und seine Lebensqualität auch nicht.

# Durch Zufall habe ich vielleicht endlich ein passendes und erschwingliches Therapiefahrrad für John und uns gefunden, für übermorgen Abend habe ich mit dem jetzigen Besitzer eine Probefahrt vereinbart, es wäre fast zu schön um wahr zu sein, wenn das klappen würde (was vor allem auch davon abhängt, ob Aussicht besteht, dass John damit klarkommt).

# Leider kommt uns zum neuen Schuljahr unser Schulhelfer abhanden, da müssen wir nun einen neuen finden, eine Aufgabe, von der ich keine Ahnung habe, wie man sie bewältigen soll; Menschen zu finden, die mit John umgehen können, wird mit zunehmendem Alter immer schwerer.

# Morgen habe ich frei, da gehe ich zur Konferenz „Vereint für gemeinsame Bildung„, was mich jetzt schon wieder nicht erfreut, denn ich mag die ganze politische Arbeit eigentlich nicht (genau dieses eigentlich ist es, das bedeutet, dass man es trotzdem tut), all die Konferenzen, all die Treffen, all das Ehrenamt, das bringt eh alles nichts, aber wenn man gar nichts versucht, dann bringt es noch weniger als nichts, nämlich Rückschritte, das weiß man dann auch wiederum.

# Ich bin sehr into „24“, ist denn niemand sonst into „24“? Auch nach all den Staffeln und auch wenn es natürlich manchmal zweifelhaft ist, und sich mittlerweile oft ähnelt, die siebte Staffel ist trotzdem spannend; eigentlich müsste die Folge von gestern Abend schon online sein, gleich mal nachsehen.

# Donnerstag kommt die nächste Reisegruppe; Brown und ein paar kleinere, andere Universitäten, die okay sein dürften, hoffentlich.

ethereal torch singer.

„Antony Hegarty, the ethereal torch singer of Antony and the Johnsons, has a solo art exhibition in London. A case could be made that he is following some uncharted lines.“ [#]
„I just have my world-weariness to present as my credentials“ – das wäre auch ein guter Weblog-Untertitel.

filme & soundtracks.

Von manchen Filmen bleibt mehr als alles andere die Musik hängen, wie etwa beim Soundtrack von „Garden State“, der eine Weile folgerichtig in jedem Café zu hören war, das man betrat. Es reichte, den Film ein einziges Mal gesehen zu haben: danach versetzte einen das Hören der Musik sofort zurück in die Stimmung des Films, aber Stimmung und Musik verselbständigten sich vom Film. Jetzt „Once“, ein Film, bei dem die besondere Verbindung von Film und Musik natürlich ein weniger unerwartetes Phänomen darstellt, weil es immerhin sowieso schon ein Musikfilm ist. Den Film fand ich sehr schön und die Musik so unglaublich passend, besonders berührend den Song, den Glen Hansard am Anfang alleine in die leere Grafton Street schreit. Aber nachdem ich den Soundtrack ein paar Mal gehört hatte, war irgendwie ein bisschen die Luft raus: bei „Once“ ist es wichtig, die Personen bei der Musik auch zu sehen, am besten wahrscheinlich sogar, die Musik gemeinsam mit ihnen live zu erleben (das Konzert von „The Frames“ diesen Monat in Berlin soll ja sehr toll gewesen sein; sehen kann man ein komplettes Konzert von 2006 hier bei Fabchannel). Nun bin ich mal gespannt, wie es mir beim Soundtrack zu „Laurel Canyon“ ergeht: verselbständigt sich die Musik, geht sie überhaupt ohne den Film?

[Eigentlich muss man natürlich alle Bands live erleben, schon klar, aber schaffen müsste man das mal, mit Job und Kind und allem. Im Weltempfänger läuft gerade Leonhard Cohen, was das sehnsüchtige Erinnern der sogenannten Jugend, der Vor-Kind-Zeiten wahrscheinlich unverhältnismäßig beflügelt und verklärt. Aber nächstes Mal bin ich bei den Frames dabei, und überhaupt, schonmal ein guter Vorsatz für 2009: mehr Konzerte, wieder.]

what do you love about music?

„Sacks relays his clinical experiences working with a range of patients including individuals who struggle to connect with music’s melody, Parkinsonian patients who depend on music’s rhythm, and Alzheimer’s patients who find comfort in music’s emotion. These people use music as a lifeline and a way to connect to the world – something rock fans certainly understand.“ (‚Sound opinions‘ Podcast mit Oliver Sacks als Gast)

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