was seither geschah.

Johns jährliches Gartenfest in der Schule, immer kurz vor Schuljahresende, war wieder sehr schön. Wie diese Jungs aufwachsen und groß werden, da werde ich ganz sentimental. Vor vier Jahren saßen da noch lauter Kinder und jetzt war ich direkt ein bisschen erschrocken: Da sitzt nun eine Gruppe von jungen Männern.

Einer von Johns ebenfalls nonverbalen Mitschülern bediente beim Grillen perfekt sein Kommunikationsgerät. Er bildet damit ganze Sätze: „Ich möchte bitte eine Bratwurst“, sagte dann das Gerät für ihn. Großartig.

John benutzt seinen Go-Talker zwar auch, drückt aber oft etwas, was er nicht wirklich will, zum Beispiel: „Bitte trinken“ statt „Ich habe Hunger.“ Einzig zuverlässig ist Johns Ja-Gebärde (die genaugenommen die Bonbon-Gebärde ist, aber John hat sie zu seiner Ja-Gebärde gemacht und sie funktioniert in allen Zusammenhängen). Wir haben versucht, die Gebärdensprache auszuweiten, sind damit aber auch noch nicht weiter gekommen, und auch nicht mit dem Tablet oder dem Sprechen an sich. Es wäre so schön, wenn er – auf welche Weise auch immer – besser kommunizieren könnte, was er möchte.

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Das Halbfinale der Weltmeisterschaft habe ich in Sachsen im Info-Mobil des Bundestags angesehen, auf dem Marktplatz in Pulsnitz. (Der neue Job ist sehr interessant, aber darüber werde ich hier wohl eher nicht viel schreiben können, fragt mich im RL danach.)

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Das WM-Spiel gegen die USA war unspektakulärer als erwartet, in diesem deutsch-amerikanischen Haushalt. Scott war eigentlich auch für die deutsche Mannschaft, weil er erst hier zum großen Fußballfan wurde und alle deutschen Spieler und Teams kennt und verfolgt. Ihm lag genau wie mir daran, dass beide weiterkommen, und so kam es dann ja auch. Wir haben fast jedes Spiel der WM gesehen, danach bin ich nun erstmal fußballmüde, zumal Werder immer noch eher dümpelt, momentan reicht es mir, im Nachhinein anzusehen, wie Bremen gespielt hat. (Ich war nicht einmal beim Spiel, als sie zum Saisonauftakt gegen Hertha nach Berlin kamen, shame on me.)

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Zu Beginn der Sommerferien haben wir Johns Medikament um die Hälfte reduziert. Wir haben immer wieder daran gedacht, aber nach einem gescheiterten Reduktionsversuch letztes Jahr war es schwer, einen neuen Anlauf zu nehmen. Zuversicht wächst nicht auf Bäumen. Andererseits war unser Leidensdruck schon sehr hoch, weil das Medikament als Nebenwirkung so appetitanregend war, dass John nichts anderes mehr im Sinn hatte als Essen. Wir konnten nirgendwo mehr hingehen, weil er an jeder Ecke nur essen wollte. Zudem immer die Kontrollen auf mögliche Organschädigungen, es ist ja klar, dass man da massiv in den Körper eingreift. Nochmal den hervorragenden Dokumentarfilm Ihr Name ist Sabine angesehen und wieder gedacht: Wenn wir jetzt nicht davon loskommen, wann dann? Wenn John erwachsen und noch größer und stärker ist? Leichter wird es kaum werden, zumal nun auch die Pubertät kommt (bei John wie bei vielen schwer autistischen Kindern später, aber so langsam dann doch).

Die Googletreffer zu Erfahrungsberichten mit Psychopharmaka erwiesen sich als erwartbar widersprüchlich. Ein halbwegs seriös wirkender Mann sagte, man bemerke eine Reduktion sofort, die ersten paar Tage seien die schlimmsten. Ein anderer, ebenso seriös wirkender dagegen schrieb, man merke überhaupt erst nach vier Wochen etwas, wenn das Depot im Körper so richtig runtergefahren sei. Nun, wir hatten sechseinhalb Wochen Ferien und gönnten uns den Luxus, uns zu zweit auch die ganzen sechseinhalb Wochen Vollzeit um John zu kümmern.

John bekam vor den Sommerferien morgens und abends je eine halbe Tablette Dipiperon 40 mg. Da die Probleme mit seinem Schlaf-Wach-Rhythmus massiv sein können, entschlossen wir uns, die Morgendosis wegzulassen, so dass er wenigstens über Nacht noch etwas Beruhigung hat. Anfangs merkten wir tatsächlich gar nichts, John war froh über die Ferien und alles war wie immer. Wir fuhren nach Frankreich und an die Mosel in Urlaub, alles super.

Nach etwa vier Wochen traten für uns wahrnehmbare Veränderungen ein. Plötzlich tauchten wieder stereotype Verhaltensweisen auf, die wir seit der Medikation nicht mehr gesehen hatten, obsessives Sandrieseln zum Beispiel. Bald war es kaum noch möglich, auf einen Spielplatz zu gehen, weil John sich so in das Rieseln hineinsteigerte, dass es ihn selbst ganz unglücklich machte und seine Finger ganz krampfig wirkten, bis er schließlich ausflippte. Und einen 1,80 m großen Teenager muss man erstmal über den ganzen Spielplatz hinweg aus dem Sand herausbewegen, wenn er außer Kontrolle ist.

Auch das von John so geliebte Baden wird zum Problem, weil er sich mit den Händen so ins Platschen reinsteigert, dass er irgendwann nur noch schreit. Sie sind also wieder da, die Stereotypien, und sie machen John das Leben schwerer. Er ist zudem auch deutlich unruhiger geworden. Andererseits hat der frenetische Essenszwang merklich abgenommen. Wir müssen einfach beobachten, wie es sich weiter entwickelt. Ein problemloser Zustand steht leider so oder so nicht zur Debatte. Wir müssen das kleinere Übel herausfinden, das, womit er insgesamt noch den glücklichsten Eindruck macht.

Wir hatten einen Termin bei seinem Kinderpsychiater, haben alles genau besprochen. Einen großen Optimismus gibt es nicht, aber zumindest eine leise Hoffnung, dass John ohne Medikamente leben könnte. Wir sind aber durchaus allen Alternativen gegenüber aufgeschlossen, denn es könnte nach wie vor auch sein, dass es John mit Medikamenten schlicht besser geht als ohne. Eingeführt hatten wir das Medikament ja hauptsächlich wegen der massiven Aggressionen, die einfach nicht mehr zu bewältigen waren. Diese sind bisher – toi, toi, toi und knock on wood – noch nicht wieder aufgetaucht.

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Als wir von Lothringen aus einen Tagesausflug nach Luxemburg machten, hing dort der Himmel voller Regenschirme.

Regenschirme in Luxemburg

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Noch was Positives zum Thema Essen, denn allgemein ist das für John ein großes Thema. Ich hatte noch nicht so darüber nachgedacht, aber bei unserem jährlichen Termin zur Weiterbewilligung der Eingliederungshilfe sagte unsere Sachbearbeiterin, dass Essen für die meisten Menschen mit einer geistigen Behinderung eine extrem große Bedeutung hat. Erstens strukturieren die Mahlzeiten den Tag und zweitens ist das eine der Hauptbeschäftigungen.

(Schlafen, essen und verdauen – immer noch dreht sich darum unser Leben.)

[Dafür kann John sich auch mit übermorgen 14 Jahren noch so unbändig freuen wie ein ganz kleines Kind, oder im Gegenteil seinen Ärger/ seine Traurigkeit/ seine Frustration so unbändig auslassen.]

[100% pures Sein. Bei der Freude ist das wahnsinnig toll anzusehen.]

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Hier ein schönes Bild von John bei einem Tagesausflug nach Stettin.

John in Stettin

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Ziele der Eingliederungshilfe:
•    Verkehrs- und Wegetraining (Straßenüberquerung mit und ohne Ampel)
•    Förderung des musikalischen Empfindens und Ausdrucks
•    Spielplatzbesuche
•    Erkunden des Wohnumfeldes
•    Ankleidetraining
•    Training des Ess- und Küchenverhaltens
•    Einsatz des Talkers zur Vertiefung der Ereignisse in Schule und Familie sowie zum Üben der selbstständigen Artikulation von Bedürfnissen
•    Training des sozialen Verhaltens im Kontakt mit anderen Kindern
•    Einkäufe und Verhaltenstraining in Geschäften

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Im Schulzeugnis steht zum Lernfeld Mathematik: „Das Erarbeiten von Mengen bis 5 wurde beim Kochen, Einkaufen und beim Erledigen seiner täglichen Ämter durchgeführt. John zählte so z.B. jeweils beim Tischdecken 4 Teller, Becher, Messer u.ä. ab, wobei er Hilfe und Unterstützung benötigte. Beim Einkaufen zählte er 2-Mal Quark u.ä. ab, wobei er beim Kochen mit Handführung 5 Kartoffeln oder andere Lebensmittel abzählte. Über Erfolge freute er sich sichtlich.“

John ist jetzt ins 8. Schuljahr gekommen und das klingt bestimmt alles nach so wenig für ein Zeugnis aus dem 7. Schuljahr, aber ich kann mir ehrlich gesagt noch nicht einmal vorstellen, dass er überhaupt 4 Teller abzählen kann. Ich nehme an, das geht alles mit Handführung.

(Aber wenn man John in der Küche ein paar Teller in die Hand gibt, kann er sie ins Wohnzimmer zum Esstisch tragen. Das macht er recht zuverlässig, es kann aber natürlich auch sein, dass er sich auf dem Weg überlegt, lieber ins Schlafzimmer zu gehen. Dann stellt er die Teller einfach auf der Kommode im Flur ab und lässt seine Aufgabe im Stich, dann muss man hinterher und ihm sagen: „Monsieur, Konzentration! Die Aktivität lautet: Teller zum Esstisch.“ Dann kommt er meistens mit zurück und vollendet seine Aufgabe.)

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Was ist eigentlich los mit Neil Young? Das Album A Letter Home gefällt mir nicht und auch seine Autobiographie Waging Heavy Peace hat mich kein bisschen überzeugt. Ich war eher genervt. Vielleicht habe ich aber auch generell ein Musikproblem im Moment? Jürgen Teipels Mehr als laut hat mir nämlich auch nicht gefallen. Ich brauche neue Musik-Inspiration.

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Letzte Woche habe ich zwei Tage lang eine sehr interessante Fortbildung im Gemeinsamen Bundesausschuss mitgemacht. Ein Statistiker des BQS-Instituts für Qualität und Patientensicherheit hat uns die Lineare Regressionsanalyse und die Logistische Regressionsanalyse nahe gebracht, damit wir als Patientenvertreter im Unterausschuss Qualitätssicherung das Thema Risikoadjustierung besser verstehen. Das ist, einfach gesagt, zum Beispiel ein wichtiges Thema, wenn man die Qualität von Krankenhäusern vergleichen möchte. So behandelt ein Krankenhaus vielleicht viel mehr Patienten mit Risikofaktoren als ein anderes, und dann ist es wahrscheinlich, dass in Ersterem mehr Patienten Komplikationen erleiden oder sterben als im anderen. Um also die Qualität der Versorgung in Krankenhäusern vergleichen zu können, muss man eine Risikoadjustierung vornehmen. In der Schule war ich in Mathe ja noch sehr gut, hatte es gar als schriftliches Prüfungsfach im Abi, aber das ist sehr lange her und ich musste schon ganz schön kämpfen, den Rechnungen einigermaßen zu folgen.

Weswegen ich das aber schreibe: Ich musste bei dieser ganzen Statistik die ganze Zeit auch an das Internet, Überwachung und Big Data denken. Am Ende steht nach aller Komplexität hier wie da doch die eher frustrierende und simple Erkenntnis, dass die Ergebnisse natürlich extrem stark davon abhängen, welche Kriterien man am Anfang überhaupt in die Berechnungen einbezogen hat, und wie. Die Frage der Modellgüte und doch wieder Churchill: „Ich glaube nur der Statistik, die ich selbst gefälscht…“

Interessant dazu (also zum Thema Internet, Überwachung und Big Data) fand ich diesen Vortrag von Maciej Cegłowski. „Big data has this intoxicating effect. We start collecting it out of fear, but then it seduces us into thinking that it will give us power. In the end, it’s just a mirror, reflecting whatever assumptions we approach it with.“

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Nächste Woche fliege ich wieder nach Paris. Ich werde zum ersten Mal mit der Smithsonian Institution aus Washington, D.C. unterwegs sein. Das ist alles ein bisschen anders als die Alumnigruppen, ich bin schon gespannt. Lauter neue berufliche Herausforderungen dieses Jahr, aber das ist natürlich super (solange es immer so gut klappt). Im Oktober bin ich dann mit kanadischen Alumni in der Normandie, da ist das Programm an Kanadas Gedenkstätten angepasst, auch darauf bin ich gespannt, weil ich bisher vor allem die US-amerikanischen Stätten dort kenne.

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Zum Geburtstag übermorgen bekommt John sein eigenes iPad. Mal sehen, ob er das doch noch für sich entdecken kann. (Da John nicht weiß, dass das ein großes Geschenk ist, haben wir ihm auch noch andere Dinge gekauft, zum Beispiel Wimmelbücher, die er sich immer noch gerne ansieht. Darüber und über Süßigkeiten wird er sich wohl mehr freuen als über das eigentlich große Geschenk.)

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P.S.: Ich weiß, ich komme spät zur Party, aber: Ich habe mich richtig gut unterhalten gefühlt bei der Spanischen Fliege in der Volksbühne.

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P.P.S.: Das mit dem Bachmannpreis hat dann doch nicht geklappt dieses Jahr. Zu viel Arbeit, schade. (Erst recht, weil ich doch so gut vorbereitet war.)

ihr lieben, ich habe das kind nicht geschrumpft.

Wir gehen einkaufen, John ist ungeduldig. Ich erkläre, dass wir etwas einkaufen müssen, wenn er essen möchte und Hunger hat er doch, also müssen wir einkaufen. Er jammert und schlägt sich irgendwann mit der Faust ziemlich heftig auf den Kopf. Ich reagiere nicht, er macht es noch einmal, so geht es weiter. Ich ernte kritische Blicke anderer Einkaufender. Das verstehe ich, denn es ist eine ungewöhnliche Situation, aber nun ist es so: Ich weiß genau, wenn ich jetzt auf John reagiere, dann wird er sich merken, dass das Schlagen auf den Kopf eine Wirkung erzielt, und er wird dieses Wissen auf lange Zeit einsetzen.

Eine Mutter aus meiner Elterngruppe hat einen erwachsenen autistischen Sohn, der einmal damit anfing, sich die Nase so lange zu rubbeln, bis sie blutete. Sie war schockiert, reagierte entsprechend darauf und es resultierte darin, dass ihr Sohn in Zukunft dieses Naserubbeln immer wieder einsetzte, wenn er sie ärgern oder seinen Willen durchsetzen wollte. Das massive Naserubbeln und Nasenbluten wurde – über Monate und Jahre – zu einem Riesenproblem.

Kinder suchen Reaktionen, und immer wieder wollen und müssen Grenzen ausgetestet werden. Das geht allen Eltern so. Gerade letzte Woche beobachtete ich in unserem Lidl einen Vater mit seiner etwa dreijährigen Tochter. Anfangs schoben sie friedlich an uns vorbei, dann fing sie an, ihren Vater zu sticheln und wollte dies und das haben, was er nicht einkaufen wollte. Er sah aus, als käme er gerade von der Arbeit. Das Mädchen schien voll fokussiert, der Vater eher müde.

Sie ahnte ihre Chance, drängelte immer weiter, aber er hielt erfolgreich dagegen. Gerade dachte ich, dass das ja beeindruckend gut für ihn funktioniere, als das Mädchen den Vater bat, sie aus dem Wagen zu heben, sie wolle selber laufen. Er hob sie heraus und prompt legte sie einiges an Drängeln und Jammern nach. Sie rannte wild herum und hatte nun wesentlich mehr Möglichkeiten, Druck auf den Vater auszuüben. Als ich sie kurze Zeit später wieder sah, schimpfte der Vater mit der Tochter: „Es reicht jetzt wirklich!“ Er versuchte, sie gegen ihren Willen zurück in den Einkaufswagen zu setzen. Sie weinte und schrie, zog ihre Beine erst an den Körper, strampelte dann mit ihnen, keine Chance für den Sitz im Einkaufswagen. Dem Vater war das Ganze sichtlich unangenehm und es blieb ihm nur noch, die Tochter auf dem einen Arm zu tragen, mit der anderen Hand den Wagen zu schieben und seinen Einkauf möglichst schnell zu beenden. Er wirkte nun richtig müde.

Wenn Scott in so eine Situation zwischen John und mir von außen hereinkommt, sagt er manchmal: „He plays you like a fiddle.“ Das Mädchen im Lidl war auch eine wahre Geigenvirtuosin. Kinder scheinen fast einen siebten Sinn zu haben, wie – und vor allem auch wann – sie bei ihren Eltern welche Knöpfe drücken müssen. Mit einem schwer autistischen und geistig behinderten Kind, Teenager oder auch Erwachsenem ist das alles „nur“ in einer extremen Weise ausgeprägt. Uns geht es doch so ähnlich. Mein Problem ist nur nicht, dass ich mein Kind nicht mehr in den Einkaufswagen zurückbekomme, sondern dass John sich vielleicht ernsthaft verletzen kann, wenn er sich mit Wucht auf den Kopf schlägt. Aber es geht einfach nicht, dass ich jedem Druck immer nachgebe, denn so kann man erstens die einfachsten Dinge im Leben nicht mehr bewältigen und zweitens hilft es John nicht weiter, weil es gefährliche Verhaltensweisen „belohnt“ und damit verstärkt. Wenn ich darauf reagiere, dass John sich mit der Faust auf den Kopf schlägt, wird er das immer wieder tun, vielleicht sogar bald den Kopf gegen die Wand schlagen (wie man es manchmal von schwer betroffenen Autisten hört). Es hilft nur – auch und vor allem John selbst und seiner Gesundheit – das Ganze möglichst unaufgeregt zu ignorieren, solange es nicht zu gefährlich ist. Also gehe ich betont unbeeindruckt neben ihm her und sage höchstens mal: „Nee, das bringt nichts. Wir müssen einkaufen, und das kannst Du.“

Das fällt mir natürlich ganz schön schwer. (Ich hätte gerne diese Nerven aus Stahl. Wenn jemand erfährt, wo man die bekommt, bitte unbedingt Bescheid geben.) Die kritischen Blicke helfen leider nicht. John ist mittlerweile 1,80 m groß, aber in gewisser Weise ist er ja wie diese kleine Geigenvirtuosin im Lidl. Manchmal wünschte ich, ich könnte mich erklären, aber gerade in kritischen Situationen ist daran natürlich nicht zu denken. Vielleicht sollte ich einen Flyer entwerfen, den ich Menschen einfach in die Hand drücken kann. („Hallo, dieses Kind ist wie Ihres, nur ein bisschen extremer, also verhalte ich mich wie Sie, auch nur ein bisschen extremer.“)

[Oder ich muss mich an Wayne Szalinski wenden, um John auf die gesellschaftlich anerkannte Größe für solche Problematiken zu schrumpfen. Immerhin hatte dessen Schrumpfgerät ihm am Ende auch die Toleranz der Nachbarn eingebracht.]

der autist als massenmörder [update].

Im Februar 2013 veröffentlichte ich einen Textteil aus meinem Autismusbuch. Mir ist immer mehr aufgefallen, dass die metaphorische Vereinnahmung des Begriffs Autismus konkrete Rückwirkungen auf die Wahrnehmung des tatsächlichen Syndroms hat:

„Autisten sind viel häufiger Opfer als Täter, zum Beispiel Opfer von Mobbing, in der Schule und am Arbeitsplatz. Sie sind oft von Ausgrenzung betroffen. Durch die verzerrte Berichterstattung werden sie allerdings im Gegenteil geradezu als Psychopathen dargestellt. […] Die Prägung des Symbols lässt bereits deutliche Rückwirkungen auf die Wahrnehmung des Syndroms erkennen, wie Newtown und München leidvoll verdeutlicht haben.“ [#]

Wir erleben im Moment, dass sich genau diese Beobachtung weiter fortsetzt. Eine mehr als zweifelhafte Studie mutmaßte frei von wissenschaftlicher Evidenz herum, dass es eine statistisch erhöhte Verbindung zwischen Autismus und Massenmord gebe. Die Autoren haben die beiden Begriffe gegoogelt und auffällig viele Treffer festgestellt. Sie nehmen eine Reihe von spekulativen und einseitigen Artikeln, unter anderem aus Quellen der Boulevardpresse (z.B. Daily Mail) zum Anlass, eine Verbindung zwischen dem tatsächlichen Syndrom und Massenmord abzuleiten, statt zu sehen, dass damit lediglich die Vereinnahmung des Begriffs dokumentiert wird.

Die Washington Post titelte daraufhin: Study: ‘Significant’ statistical link between mass murder and autism, brain injury. So zieht das Ganze nun also seine Kreise. Die veränderte Wahrnehmung des Syndroms als Folge der metaphorischen Konnotation prägt sich immer drastischer aus. Solange die Kritik an diesen beiden Vereinnahmungen im Mainstream gar nicht diskutiert, geschweige denn akzeptiert wird, ist ein weiterer Anstieg zu erwarten. Die Gesellschaft kann damit Probleme auf eine scheinbar einfache Art lösen: Diese ganzen Amokläufer und Massenmörder, das sind eben Autisten, Psychopathen („Das hat mit uns nichts zu tun“).

[Nur zur Info: Die Links zur Studie und zum Artikel in der Washington Post laufen über donotlink.com, damit kein Traffic auf die Artikel generiert wird und sie in den Suchmaschinen nicht aufgewertet werden.]

Zu weiteren Details empfehle ich Emily Willinghams Artikel: No, Timothy McVeigh Was Not Autistic

Es gibt eine Petition, dass die Washington Post ihren Artikel zurückziehen soll.

Nachtrag: Mela Eckenfels hat einen sehr guten, ausführlichen Text dazu geschrieben: Autismus und Massenmord: Der konstruierte Zusammenhang

menschen hautnah.

Schöne Dokumentation über einen jungen Mann mit fragilem X-Syndrom. [#]

Auch wenn Jan Etges viel selbständiger ist als John, erinnert mich das Tanzen sehr an unseren Kandidaten. Die Szene im Cabrio ist auch typisch Johnchenmann, genauso war er in unserem Cabrio seinerzeit auch. Was die Eltern sagen, verstehe ich gut: dieses Erfolgserlebnis, wenn man einen Schritt weiterkommt. Die Schritte sind bei uns noch kleiner, aber das Gefühl ist sehr ähnlich. John kann jetzt zum Beispiel Teller und Besteck von der Küche zum Esstisch und zurück tragen, das Licht im Badezimmer einschalten und (!) den Verschluss einer Wasserflasche zudrehen.

In der Küche höre ich Deutschlandfunk und das gefällt John anscheinend nicht (Sprechen statt Musik). Vorgestern kam er nämlich in die Küche, drehte ärgerlich am Regler und fand mehr zufällig einen Sender mit Musik. Darüber freute er sich, lief aber sofort wieder hinaus und ließ mich mit Hits aus den 80ern zurück. (Osterferien-Schlawiner.) Früher hat er in der Küche manchmal gejammert und ist ausgeflippt. Da er aber nie das Radio anfasste, wusste ich nicht, dass dies wahrscheinlich öfter ein Ärgernis für ihn war. Wir sehen immer mehr Initiative und Ausprobieren, was einerseits Erfolgserlebnisse für John bringt und uns gleichzeitig mehr Hinweise gibt zum Verstehen von Ursachen seiner Frustrationen.

[Trotzdem höre ich in der Küche weiter Deutschlandfunk, damit muss John leben lernen. Für die kurzen Momente, die er rein- und rausgehüpft kommt, kann ich nicht die ganze Zeit beim Kochen Hits der 80er hören. Aber immerhin können wir es ihm nun zu erklären versuchen.]

aktion mensch.

Christiane hat schon sehr gut darüber geschrieben: In Bonn hat ein Richter eine 82-jährige Mutter verurteilt, deren geistig behinderte 57-jährige Tochter zu laut für die Nachbarn ist. Nun kann man sich alles mögliche denken, was eine bisher als behindertenrechtsorientiert beleumundete Organisation wie die „Aktion Mensch“ dazu zu sagen hätte, aber der Pressesprecher Sascha Decker geht nicht auf die Situation ein, sondern wartet mit einem allgemeinen Statement zur Inklusion auf, das zudem erstaunt: „Dazu muss gehören, dass ich jemandem, der pöbelt, oder der sich nicht an die Regeln hält, sagen kann: ‚Stopp. Du überschreitest hier eine Grenze.‘ Ich denke, wir tun dem Thema Inklusion keinen Gefallen, wenn wir hier vor den Menschen mit Behinderung Schluss machen und sagen: ‚Das gilt für die nicht.'“ [#]

Hat die „Aktion Mensch“ also vor allem Verständnis für die Nachbarn und das Urteil? Sie rechtfertigte sich gegen Kritik mit dem Argument, dass es sich nicht um eine Aussage zu dem Fall gehandelt habe, sondern um eine generelle Stellungnahme zur Inklusion, die von der ARD im Kontext des Beitrags irreführend oder falsch platziert wurde. Dieses Argument scheint vorgeschoben, denn offensichtlich war die „Aktion Mensch“ mit dem Beitrag in der ARD so zufrieden, dass sie ihn auf der eigenen Facebook-Seite verlinkt hatte. Zudem hat sich der Pressesprecher auch im WDR in dieser Richtung geäußert: „Es kann nicht sein, dass eine Gruppe von Menschen immer auf die ‚armen Behinderten‘ Rücksicht nehmen muss. […] Wenn ein Kind zur Welt komme, eine Familie mit drei Teenagern in einer Wohnung lebe oder wenn ein 60ster Geburtstag mal ein bisschen lauter werde, dann finde man doch meist auch eine Lösung. Bei Behinderten – da ist sich Sascha Decker sicher – werden in solchen Zusammenhängen noch immer andere Maßstäbe angelegt.“ (Wer solche Freunde hat, braucht wirklich keine Feinde mehr.)

Lassen wir uns mal auf die Rechtfertigung ein, dass der Pressesprecher von „Aktion Mensch“ nach einer Gerichtsentscheidung, die im Gegensatz steht zu vielen vorherigen Entscheidungen bei Gericht, und die ein völlig neues Niveau an Diskriminierung eröffnet, dass also eine Behindertenrechtsorganisation zu einer Entscheidung mit solcher Tragweite gar keine Meinung hat und stattdessen zeitgleich unschuldig O-Töne zur Inklusion abgibt, die zufällig so interpretiert werden können, als ob sie etwas mit dem Kontext zu tun haben könnten [es fällt mir überaus schwer, an dieses Ausmaß an Naivität zu glauben]: Der Punkt ist, dass die Aussagen auch ohne den Kontext der Gerichtsentscheidung erschreckend sind.

Ein Kind wächst auf, ein 60. Geburtstag findet einmal im Leben statt, mit Teenagern kann man reden: Bei den Beispielen handelt es sich durchweg um temporäre Situationen und zudem solche, die im Mainstream unseres Lebens verankert sind und alleine deshalb bei der Umwelt schon eher auf Verständnis stoßen. Wie kann es sein, dass der Pressesprecher der „Aktion Mensch“ so wenig versteht, dass und wie die Lage bei Menschen mit einer schweren Behinderung eine ganz andere und gänzlich unvergleichbare ist? Genau deswegen werden doch zurecht „noch immer andere Maßstäbe angelegt.“ Es gibt diese schöne Karikatur, in der eine Reihe von Tieren vor einem Baum steht, unter ihnen ein Affe und ein Elefant, und ihnen wird die Aufgabe gestellt, auf den Baum zu klettern. Darunter der Rechtfertigungssatz: „Aber wieso? Wir haben allen die gleiche Aufgabe gestellt!“ So hört sich das für mich an, das Argument mit den gleichen Maßstäben.

Bei einem Menschen wie meinen Sohn John ist nahezu nichts gleich, eben weil er fundamental anders ist, in seinem ganzen Wesen und Sein, und alleine dadurch schon permanent befremdet. Wenn er sich laut und aggressiv verhält und so richtig heftig stört, und zwar so, dass es einen selbst in der Existenz erschüttert, dann ist das natürlich problematisch und kann auch nerven. Aber es lässt sich nicht abstellen, gerade weil John nicht versteht, dass er stört. Wir wissen nicht, wie viel er versteht und wie er die Welt überhaupt wahrnimmt. Wir können versuchen, verhaltenstherapeutisch etwas zu bewirken, und in kleinen Schritten funktioniert das auch, aber „lösen“ ließe sich das Problem nur durch Sedierung. Das Argument fiel im Zusammenhang mit dem Gerichtsurteil tatsächlich auch: „Der Richter zeigte sich davon überzeugt, dass es noch Möglichkeiten wie therapeutische und medizinische Maßnahmen gebe, Einfluss auf die Tochter zu nehmen.“ [#]

Wenn das der Weg ist, den wir als Gesellschaft – von Nachbarn initiiert, von einem Gericht als nunmehr legitime Rechtsauffassung auf den Weg gebracht und von einer Behindertenrechtsorganisation mehr oder weniger unbeholfen unterstützt – nun einschlagen wollen, dann ist das wirklich eine Angstmaschine. Wer fragt eigentlich die Mutter in dem Bonner Fall? Sie wohnt mit der Tochter direkt zusammen, für sie wird es so laut sein wie für sonst niemanden. Sie hält es anscheinend aus, seit 57 Jahren. Man könnte sie fragen, wie sie das macht. Ich würde sie das gerne fragen, denn ich mache das erst seit 13 Jahren, und es zehrt an einem, man muss immer neue Wege finden, das zu meistern. Wir könnten lernen von dieser Frau, anstatt sie zu verklagen. Sie aber bekommt eine Ordnungsstrafe auferlegt und im Zweifelsfall irgendwann eine Ordnungshaft. Es dürfte ziemlich klar sein, dass sie an dem Verhalten der Tochter nichts wird ändern können, sofern sie sie nicht sedieren möchte. Was soll eine Geldstrafe da eigentlich genau bringen?

Dazu hören wir nichts von der „Aktion Mensch“. Der Pressesprecher rechtfertigte sich gestern in einem Kommentar bei Facebook: „Ich habe also nicht das Urteil kommentiert, sondern generell Auskunft gegeben: Inklusion wird nur gelingen, wenn sich alle trauen, auf den anderen zuzugehen und ihm zu sagen: Das stört mich, das belastet mich, das mag ich nicht. Kann ich vielleicht helfen? (sd)“ Der Kommentar liest sich für mich unglaublich zynisch, denn genau dieses „aufeinander zugehen“ ist im Bonner Fall ja wohl gerade nicht passiert, es sei denn, man definiert „vor Gericht verklagen“ als „aufeinander zugehen.“ Etwas Ähnliches habe ich selbst erlebt, als unser Nachbar ein zunächst anonymes Lärmprotokoll führte und bei der Hausverwaltung einreichte, ohne vorher je an unserer Tür geklingelt zu haben, um das Gespräch zu suchen. Vom Pressesprecher kamen gestern weiterhin nur vage Allgemeinaussagen, die das Ganze noch schlimmer machen, weil sie in Bezug auf den Fall zynisch wirken.

Heute heißt es von einem anderen Autor der „Aktion Mensch“: „Die Hintergründe der Auseinandersetzung in dem konkreten Fall kennen wir nicht. Was dort genau passiert ist, wissen wir alle nicht. Deshalb hat sich unser Pressesprecher allgemein zum Thema Inklusion geäußert. Grundsätzlich steht die Aktion Mensch natürlich auf der Seite von Menschen mit Behinderungen. (co)“ Grundsätzlich also. Im Einzelfall aber vielleicht doch nicht, oder wie? Wie ist diese neue Aussage zu verstehen? Immer noch und immer wieder diese Betonung, dass man sich zu dem Fall nicht äußern will. Wenn man offenbar so viel Angst davor hat, sich zu dem Fall zu äußern, warum hat man sich dann überhaupt geäußert? Hätte man sich dann nicht besser gar nicht geäußert? Es muss ja einen Grund gegeben haben, warum man sich zu dieser merkwürdig verqueren Vorgehensweise entschieden hat, sich nicht zu dem Fall, wohl aber zur Inklusion zu äußern. Warum zieht man die Inklusion da mit rein?

Den Begriff hat der Pressesprecher ganz offenbar sowieso nicht verstanden. Er definiert ihn in seinen Aussagen mit einer Haltung, mit der wir früher von Integration gesprochen und wie wir Integration gedacht haben. Vom Begriff der Integration haben wir uns aber bewusst abgewendet, weil er implizierte, dass die Menschen mit Behinderung so angepasst werden sollen, dass sie in die Gesellschaft hineinpassen, also von außen in die Gruppe hinein integriert werden. Inklusion sollte ein Begriff sein, der von diesem Denken gerade wegführt und stattdessen die „Bringschuld“ der Anpassung nicht mehr beim Mensch mit Behinderung ansetzt, sondern bei der Gesellschaft, die sich so umgestalten soll, dass jeder in sie hineinpasst. In seinen Aussagen zur Inklusion hat der Pressesprecher leider gezeigt, dass er gar nicht Inklusion denkt, sondern Integration.

Derweil nimmt dann angesichts des Bonner Urteils unser Nachbar vielleicht auch sein Lärmprotokoll wieder auf und auch wir zahlen irgendwann Ordnungsgelder. Dabei zahlen wir die eigentlich sowieso schon wöchentlich an der Tankstelle: Wenn John morgens um sechs zu viel Krach macht, setzen wir uns regelmäßig samstags und sonntags mit ihm ins Auto und kurven durch das erwachende und schlafengehende Berlin. In Friedrichhain kauft sich ein Mann am Boxhagener Platz einen Döner und ein Paar trägt auf der Grünberger Straße eine Pizzapackung nach Hause, das sind die Zubettgeher nach einer durchfeierten Nacht. In Kreuzberg fährt die Polizei besonders gerne Streife. In Mitte wird der Gendarmenmarkt gefegt. Am Sonntagmorgen gegen sechs begegnen sich in der ganzen Stadt diejenigen, die den Tag beenden, und diejenigen, die ihn beginnen, und wir sind die vorbeifahrenden Zeugen dieser Begegnungen und Bewegungen, weil wir unsere Nachbarn schonen möchten – und wir erwarten dennoch ständig das nächste Lärmprotokoll im Briefkasten. Tut mir leid, aber mich ermutigt das Bonner Urteil natürlich nicht. Allerdings ermutigt mich die Reaktion der „Aktion Mensch“ noch viel weniger. So ist das wohl, wenn die Verbündeten schwinden.

[Ich würde gerne eine Stellungnahme der ARD zum Vorwurf der „Aktion Mensch“ hören. Wurden die Aussagen in einen falschen Kontext gestellt? Hat man Herrn Decker gesagt, dass es um Berichterstattung zu dem Bonner Fall geht?]

pustekuchen.

Die Wahrnehmung passt sich so schnell an die Ist-Zustände an und erachtet sie als gegeben und damit normal. Fiel mir nur wieder auf, während ich @coolcats Sonden-Abenteuer folge. Die Sonde ist bei uns zwar lange her, aber mit Mundmotorik sind wir immer noch beschäftigt. Letzte Woche gab es dazu sogar einen großen Moment: John saß vor seinem heiß dampfenden Nudelteller, beugte sich darüber und pustete auf das Essen. Bisher wollte oder konnte John nicht pusten. Er hat in seinen 13 Lebensjahren zum Beispiel noch nie eine Geburtstagskerze ausgepustet. Ich bin mir – wie so oft – gar nicht sicher, ob er es kognitiv nicht versteht, oder ob es ein physiologisches Problem ist. Wahrscheinlich – wie ebenso oft – eine Kombination von beidem.

Wenn John vor zu heißem Essen sitzt, weint er oft, weil ihm das Warten schwer fällt. Deshalb wäre es so gut, wenn er selbst pusten könnte. Auch wenn es zeitlich keinen großen Unterschied macht und wir es stattdessen für ihn tun können, würde es ihn beschäftigen und er könnte selbst etwas beitragen, anstatt der Situation – auch wie so oft – ausgeliefert zu sein. Zum Warten verdammt und auf Hilfe angewiesen, selbst im kleinsten Kleinen, the story of his life wahrscheinlich. Ich weiß natürlich nicht, ob er das so sieht, aber es frustriert ihn jedenfalls oft und sehr, und man kennt das ja von sich selbst: Immer wenn man das Gefühl hat, man kann selbst etwas tun, ist alles schon halb so schlimm.

Also, Pusten war jedenfalls bis jetzt ein Problem und auch seine Nase putzen kann John nicht. Der gleiche Effekt, er versteht das mit dem Hineinschniefen ins Taschentuch nicht. Als er letzte Woche beim gemeinsamen Essen erstmals und ganz nonchalant, als wäre es kein großes Ding, auf sein Essen pustete, waren wir völlig aus dem Häuschen, mussten das aber etwas zurückschrauben, weil John zu starke Reaktionen nicht mag. Die sind ihm unangenehm und dann zieht er sich sofort wieder zurück. Wohldosierte Freude und Lob also, und dann klappt es auch mit dem Freuen auf seiner Seite. Er strahlte uns ganz stolz an, beugte sich gleich noch einmal über seinen Teller, pustete und blickte erwartungsvoll auf. Und tatsächlich, wir freuten uns schon wieder und lobten ihn! Also freute er sich wieder, dass wir uns freuten. So saßen wir alle Drei lachend am Tisch, einmal pusten, zweimal pusten, nur auf ein drittes Mal hatte John dann keine Lust. „Nur nicht übertreiben, die Herrschaften“, schien uns sein Blick zu sagen.

Ob er an seinem 14. Geburtstag erstmals eine Kerze auspusten wird? Diese Frage stelle ich John lieber nicht. Muss er nicht unbedingt wissen, dass aus jedem Fortschritt Hoffnungen erwachsen, die ihm doch nur als Erwartungshaltung vorkommen können. Ist ja auch eigentlich Quatsch, Kerzen auszupusten, wenn man sichs so überlegt.

noch zwei dokus.

Aus irgendeinem Grund ist hier also die Zeit der Verlinkungen auf Autismus-Dokumentationen ausgebrochen, aber keine Angst, nach diesem Post ist es damit auch schon wieder vorbei.

Pascals Welt (via ronsens)

Autismus in den USA: Louis Theroux: Autism – Extreme Love
So viel Plastik, fiel mir auf, und sehr starker Fokus aufs Konditionieren der Kinder. Die Eltern scheinen auf eine ganz andere Weise hilflos als zum Beispiel die Müllers in „Pascals Welt.“ Die kulturellen Unterschiede zeigen sich gerade im Vergleich dieser beiden Dokus sehr stark.

b.sucht.

Bettina Böttinger hat drei Autisten besucht und die halbstündige Dokumentation finde ich sehr gelungen. Autismus wird zwar anfangs als Krankheit bezeichnet und das stimmt nicht so ganz, denn wenn auch viele Autisten andere Krankheiten haben (zum Beispiel wie John eine Epilepsie), so sind doch auch viele Autisten ganz gesund. Es ist eine Behinderung. Ich wünschte mir, dass Redaktionen sich vor dem Senden oder Drucken mal an jemanden wenden, der oder die auf solche Fehler hinweisen kann, aber grundsätzlich ist das wirklich ein schöner Beitrag, weil er die Breite des Spektrums zeigt und weil er gar nicht bloßstellt.

Besonders den schwer beeinträchtigten Julius, den Bettina Böttinger zuerst im Heim besucht, in dem er wohnt, und später bei seinen Eltern, habe ich natürlich sofort ins Herz geschlossen, weil mich vieles an ihm an John erinnert (obwohl John ja schon noch schwerer beeinträchtigt ist und gar nicht mehr spricht). Das, was seine Eltern sagen, konnte ich auch gut nachvollziehen.

Den Beitrag kann man noch in der WDR-Mediathek ansehen.

zwang vermeiden, verantwortung übernehmen.

„In meiner Arbeitsgruppe muss ich mich ein wenig aufregen, weil das konkrete Hilfeersuchen eines Vaters für seinen von massiven Zwangsmaßnahmen in einem Wohnheim betroffenen, autistischen Sohn, gänzlich unbeantwortet bleibt.“ [#]

Zu oft noch solche Vorkommnisse. Ich mag nicht an die Zeit denken, wann das für John relevant wird. Ob überhaupt ist wohl leider nicht die Frage. (Unter anderem deshalb bin ich in einer Arbeitsgruppe zur Qualitätssicherung in der psychiatrischen Versorgung. Was auch immer wir als Patientenvertreter da erreichen können.)

john jetzt auch mit autovervollständigen-funktion.

„Möchtest Du ein…?“
„Möchtest Du mit…?“
„Möchtest Du in…?“

Wir haben festgestellt, dass wir nur diese drei Satzanfänge zu sagen brauchen und John geht schon los in die entsprechende Richtung: in die Küche, zur Bank, auf der wir seine Schuhe anziehen, oder ins Bad. Denn so lauten die viel benutzten Sätze in unserem Haus vollständig:

„Möchtest Du ein… Eis?“
„Möchtest Du mit… dem Auto fahren?“
„Möchtest Du in… die Badewanne?“

Wir sagen jetzt aber immer nur noch:

„Möchtest Du ein…?“
„Möchtest Du mit…?“
„Möchtest Du in…?“

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