dawdlr.

Wofür das Internet unter anderem erfunden wurde: für schöne Mischungen von online und offline.

„In case you missed it, dawdlr has creaked into action. This is Russell’s version of slow Twitter. „What are you doing, you know more generally?“ updated twice a year. It’s one of the things the internet was invented for – a lovely mix of online and offline.“ [#]

urban loneliness.

„In American lore, the small town is the archetypal community, a state of grace from which city dwellers have fallen (thus capitulating to all sorts of political ills like, say, socialism). Even among die-hard New Yorkers, those who could hardly imagine a life anywhere else, you’ll find people who secretly harbor nostalgia for the small village they’ve never known. Yet the picture of cities—and New York in particular—that has been emerging from the work of social scientists is that the people living in them are actually less lonely. Rather than driving people apart, large population centers pull them together, and as a rule tend to possess greater community virtues than smaller ones. This, even though cities are consistently, overwhelmingly, places where people are more likely to live on their own.“ [#]

filme & soundtracks.

Von manchen Filmen bleibt mehr als alles andere die Musik hängen, wie etwa beim Soundtrack von „Garden State“, der eine Weile folgerichtig in jedem Café zu hören war, das man betrat. Es reichte, den Film ein einziges Mal gesehen zu haben: danach versetzte einen das Hören der Musik sofort zurück in die Stimmung des Films, aber Stimmung und Musik verselbständigten sich vom Film. Jetzt „Once“, ein Film, bei dem die besondere Verbindung von Film und Musik natürlich ein weniger unerwartetes Phänomen darstellt, weil es immerhin sowieso schon ein Musikfilm ist. Den Film fand ich sehr schön und die Musik so unglaublich passend, besonders berührend den Song, den Glen Hansard am Anfang alleine in die leere Grafton Street schreit. Aber nachdem ich den Soundtrack ein paar Mal gehört hatte, war irgendwie ein bisschen die Luft raus: bei „Once“ ist es wichtig, die Personen bei der Musik auch zu sehen, am besten wahrscheinlich sogar, die Musik gemeinsam mit ihnen live zu erleben (das Konzert von „The Frames“ diesen Monat in Berlin soll ja sehr toll gewesen sein; sehen kann man ein komplettes Konzert von 2006 hier bei Fabchannel). Nun bin ich mal gespannt, wie es mir beim Soundtrack zu „Laurel Canyon“ ergeht: verselbständigt sich die Musik, geht sie überhaupt ohne den Film?

[Eigentlich muss man natürlich alle Bands live erleben, schon klar, aber schaffen müsste man das mal, mit Job und Kind und allem. Im Weltempfänger läuft gerade Leonhard Cohen, was das sehnsüchtige Erinnern der sogenannten Jugend, der Vor-Kind-Zeiten wahrscheinlich unverhältnismäßig beflügelt und verklärt. Aber nächstes Mal bin ich bei den Frames dabei, und überhaupt, schonmal ein guter Vorsatz für 2009: mehr Konzerte, wieder.]

gerader rauch, verschlungene wege, gemischtes doppel.

Ein Veranstaltungshinweis: am 3. Dezember packen die Übersetzer mal wieder aus, und zwar in der Kulturbrauerei ab 20 Uhr. Bettina Abarbanell und Robin Detje übersetzen Denis Johnsons „A Tree of Smoke.“ Es moderiert der Literatur- und Musikkritiker Tobias Rapp (taz, Spex, Groove).

„Was Sie erwartet: Ein Buch über den Vietnam-Krieg und seinen langen Nachhall. Eine Geschichte, erzählt aus wechselnden Perspektiven: Zu Wort kommen Geheimagenten, amerikanische und vietnamesische Soldaten, eine fromme Krankenschwester. Ein Autor, dessen Sätze „rollen wie Billardkugeln, sich drehen und driften und dann, oft nach dem letzten Komma, ins Loch fallen“ (Jim Lewis). Eine Übersetzung, die dem groben Militärjargon der Figuren ebenso zu folgen vermag wie ihren religiösen Ekstasen, und bei der zwei Stimmen zu einem Stil zusammenfinden.“ [#]

berlin im november.

I
John balanciert auf einem Holzbalken. Ein Mann, eine Frau und ein Mädchen (vielleicht drei bis vier Jahre alt) kommen in unsere Richtung. „Ich will auch machen, was der Junge da macht!“, ruft das kleine Mädchen. Sie springt fröhlich in Richtung des Holzbalkens, steht gerade darauf, als John anfängt, ein Medley seiner komischen Geräusche (irgendwo zwischen Löwe und Affe, durchsetzt mit diversen Zischlauten) zum Besten zu geben. Das Mädchen ist zwar leicht irritiert, scheint aber weiter auf demselben Balken balancieren zu wollen. Vater und Mutter sehen sich allerdings völlig schockiert an, und der Vater ruft dringend und drängend: „Milena, komm sofort her, wir gehen weiter!“ Das Mädchen ist vom scharfen Ton des Vaters erschrockener als von Johns Geräuschen, hüpft sofort von dem Balken und läuft zu den Eltern, die sich ohne uns eines weiteren Blickes zu würdigen umdrehen und mit dem Kind davoneilen. Wir: die Aussätzigen. Und die snobistischen Akademiker-Eltern in Prenzlauer Berg.

II
Ich kaufe mit John bei Lidl ein. Er streift durch die Gänge und bewundert die Verpackungen, die er sich so gerne ansieht. Weil ihm das so gut gefällt, macht er dabei seine glucksenden Mir-geht-es-gut-Geräusche. Zwei etwa sechsjährige Mädchen beobachten, wie er mit den Fingern gegen die Verpackungen schnipst (ein Zeichen seiner Anerkennung der Formen und Farben, seine Kommunikation mit den Dingen). Die beiden Mädchen tuscheln und als wir ganz bei ihnen in der Nähe stehen, sagt das eine Mädchen laut und bestimmt, direkt in Johns Gesicht: „Du bist echt ekelhaft.“ Ich bin schockiert, und sehe mich nach den Eltern um, die aber nicht zu sehen sind. Also gehe ich auf das Mädchen zu, sie sagt nach einem Blick in mein wütendes Gesicht gleich präventiv: „Ich habe nichts gesagt!“ Das zweite Mädchen verdrückt sich in den Nebengang, aber die kleine Idiotin habe ich eingekesselt. Ich erwidere: „Ich habe genau gehört, was Du gesagt hast. Komm mir nicht so.“ Sie: „Aber meine Freundin hat auch über ihn gelacht!“ Ich: „Das habe ich gesehen, aber das ist keine Entschuldigung für Dich. Du hast meinem Sohn etwas gesagt, das nicht in Ordnung war. Eins musst Du Dir merken: Es gibt ganz viele unterschiedliche Menschen auf der Welt, und die haben alle genauso ein Recht hier zu sein, wie Du. Das kannst Du Dir am besten für Dein ganzes Leben merken.“ Sie hört mir natürlich kaum zu, und ich lasse sie gehen. John hat nämlich in der Zwischenzeit angefangen, herzerweichend zu weinen. Ob er das Mädchen nun verstanden hatte, und darum weinte, oder ob er einfach intuitiv auf die Spannung zwischen mir und dem Mädchen reagierte, das weiß ich nicht. Wir, die Aussätzigen. Und die verwöhnten, hochnäsigen Blagen der snobistischen Akademiker-Eltern in Prenzlauer Berg.

Warum die schlechten Erfahrungen immer hier, an der Grenze zwischen Mitte und Prenzlauer Berg? Kann das noch Zufall sein? Selbst wenn John das größte Theater an der Supermarktkasse macht, hat uns in hier noch nie jemand vorgelassen, ganz im Gegensatz zu Friesoythe, meinem kleinen Heimatort, in dem uns schon häufiger Leute vorgelassen haben, obwohl ich dort viel seltener einkaufen gehe. In Berlin, jedenfalls in diesem Teil der Stadt, hat man keine Zeit für Wärme, Rücksicht, Mitgefühl und ähnlichen Quatsch. Hier sind wir hart und unnachgiebig, Leid passt nicht in unser Leben, Menschen, die anders sind, möchten wir in unserem Viertel am liebsten gar nicht haben, wir sind erfolgreich, schick gekleidet und unsere Kinder lernen schon mit fünf Jahren Chinesisch, da haben wir keine Zeit, irgendwelche behinderten Kinder an der Kasse vorzulassen, die sollen doch woanders hingehen, zum Beispiel in den Wedding, da müssen wir dann gar nichts davon wissen, dass es sie gibt; aber wenn sie wirklich darauf bestehen, hier zu wohnen, dann müssen sie sich eben damit abfinden, dass wir ihnen bestenfalls die kalte Schulter zeigen, wenn wir uns und unsere Kinder nicht gerade demonstrativ von ihnen wegzerren.

III
Im Park Sanssouci muss ich Johns Windel wechseln. Wir gehen auf die Schloss-Toilette, auf der nichts los ist. Die Toilettenfrau zeigt uns sofort die größte Kabine, in der ich ihn am besten wickeln kann. Als wir wieder herauskommen, schenkt sie John ein gebasteltes Papierschiffchen und redet freundlich mit ihm. Dass er nicht antwortet, stört sie nicht. Ich sage: „Er kann nicht sprechen“, woraufhin sie sagt: „Ich weiß. Aber er versteht bestimmt, wenn man ihm etwas schenkt.“ Die nette Toilettenfrau in Potsdam.

IV
Wir fahren im ICE und John wird die Reise lang. Mehrmals schon sind wir durch den ganzen langen Zug gelaufen, ich muss aber noch irgendwie eine Stunde bis Berlin rumbringen. Also nehme ich ihn mit ins Bord-Restaurant und kaufe ihm überteuerte Nudeln. Die verspeist er denn auch mit viel Freude. Eine halbe Stunde erkauft. Als ich bezahlen möchte, fragt die Kellnerin, ob er ein Eis essen darf. Ich, etwas irritiert: „Ja, schon.“ Sie zückt ein Eis hinter ihrem Rücken hervor und strahlt: „Das möchte ich ihm so gerne schenken!“ John freut sich, eine weitere Viertelstunde ist gesichert, wir sind schon kurz vor Spandau. Ich bedanke mich bei der Kellnerin, sie lächelt auf eine Weise, die ganz unaufdringlich und angenehm sagt: „Ich weiß Bescheid“. Vielleicht hat sie ein autistisches Kind in der Familie. Oder vielleicht ist sie einfach nur ein netter Mensch. Die patente Kellnerin im Bord-Restaurant des ICE Hannover-Berlin. Wenn die Toilettenfrauen und Kellnerinnen nicht wären, Menschen, die mir immer wieder zeigen, dass es auch anders geht, dass wir eben doch keine Aussätzigen sind, wenn es nicht auch solche Erfahrungen gäbe, dann würde ich vielleicht bald verzweifeln.

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