happy holidays 2013.

Im Frühjahr erzählte mir die Dramaturgin der Neuen Bühne Nova Scena des Prager Nationaltheaters, dass sie nach Weihnachten eine Aktion mit Weihnachtsbäumen machen, die „Zweite Chance“: Anstatt den Baum auf den Müll zu geben, können Leute ihn auf den Platz vor der Neuen Bühne bringen und dort entsteht dann für kurze Zeit ein kleiner Wald. Eine schöne Idee.

Allen ein schönes Fest!

pustekuchen.

Die Wahrnehmung passt sich so schnell an die Ist-Zustände an und erachtet sie als gegeben und damit normal. Fiel mir nur wieder auf, während ich @coolcats Sonden-Abenteuer folge. Die Sonde ist bei uns zwar lange her, aber mit Mundmotorik sind wir immer noch beschäftigt. Letzte Woche gab es dazu sogar einen großen Moment: John saß vor seinem heiß dampfenden Nudelteller, beugte sich darüber und pustete auf das Essen. Bisher wollte oder konnte John nicht pusten. Er hat in seinen 13 Lebensjahren zum Beispiel noch nie eine Geburtstagskerze ausgepustet. Ich bin mir – wie so oft – gar nicht sicher, ob er es kognitiv nicht versteht, oder ob es ein physiologisches Problem ist. Wahrscheinlich – wie ebenso oft – eine Kombination von beidem.

Wenn John vor zu heißem Essen sitzt, weint er oft, weil ihm das Warten schwer fällt. Deshalb wäre es so gut, wenn er selbst pusten könnte. Auch wenn es zeitlich keinen großen Unterschied macht und wir es stattdessen für ihn tun können, würde es ihn beschäftigen und er könnte selbst etwas beitragen, anstatt der Situation – auch wie so oft – ausgeliefert zu sein. Zum Warten verdammt und auf Hilfe angewiesen, selbst im kleinsten Kleinen, the story of his life wahrscheinlich. Ich weiß natürlich nicht, ob er das so sieht, aber es frustriert ihn jedenfalls oft und sehr, und man kennt das ja von sich selbst: Immer wenn man das Gefühl hat, man kann selbst etwas tun, ist alles schon halb so schlimm.

Also, Pusten war jedenfalls bis jetzt ein Problem und auch seine Nase putzen kann John nicht. Der gleiche Effekt, er versteht das mit dem Hineinschniefen ins Taschentuch nicht. Als er letzte Woche beim gemeinsamen Essen erstmals und ganz nonchalant, als wäre es kein großes Ding, auf sein Essen pustete, waren wir völlig aus dem Häuschen, mussten das aber etwas zurückschrauben, weil John zu starke Reaktionen nicht mag. Die sind ihm unangenehm und dann zieht er sich sofort wieder zurück. Wohldosierte Freude und Lob also, und dann klappt es auch mit dem Freuen auf seiner Seite. Er strahlte uns ganz stolz an, beugte sich gleich noch einmal über seinen Teller, pustete und blickte erwartungsvoll auf. Und tatsächlich, wir freuten uns schon wieder und lobten ihn! Also freute er sich wieder, dass wir uns freuten. So saßen wir alle Drei lachend am Tisch, einmal pusten, zweimal pusten, nur auf ein drittes Mal hatte John dann keine Lust. „Nur nicht übertreiben, die Herrschaften“, schien uns sein Blick zu sagen.

Ob er an seinem 14. Geburtstag erstmals eine Kerze auspusten wird? Diese Frage stelle ich John lieber nicht. Muss er nicht unbedingt wissen, dass aus jedem Fortschritt Hoffnungen erwachsen, die ihm doch nur als Erwartungshaltung vorkommen können. Ist ja auch eigentlich Quatsch, Kerzen auszupusten, wenn man sichs so überlegt.

der anti-proust.

Wie kein anderer beschreibt der norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgård das Leben als unablässige Bewegung zwischen Annäherung und Zurückweisung

Manchmal bleibt die Frage nicht aus: Müssen wir wirklich alles erfahren, bis zum letzten Teebeutel, der in einen Becher gehängt wird? In insgesamt sechs Bänden mit über 3.600 Seiten Text hat der norwegische Autor Karl Ove Knausgård detailliert sein Leben aufgeschrieben. Nach „Sterben“ und „Lieben“ ist bei Luchterhand nun der dritte Band seines autobiographischen Romanprojekts auf Deutsch erschienen: „Spielen.“ Im ersten Band ging es um den Tod des Vaters, im zweiten um die Liebe zu seiner Frau und die Geburt der drei Kinder, im dritten Teil nun geht es um seine eigene Kindheit.

Wie in den ersten beiden Büchern werden Leser und Leserinnen auch hier wieder mit ausufernden Beschreibungen konfrontiert. Den Gegenständen, der Landschaft, allem unterliegt eine existenzielle Dringlichkeit: „Sinnvoll, sinnlos, sinnvoll, sinnlos, das ist die Welle, die durch unser Leben rollt und seine grundlegende Spannung bildet.“ Manchmal ersteigt unerwartet eine große Szene aus einer vorher eher dahinplätschernden Erzählung, manchmal baut Knausgård Spannung auf, die am Ende mehr oder weniger verpufft, weil dann doch nichts Aufregendes passiert. So gelingt es ihm, die Kindheit einzufangen, in der alles unberechenbar ist. Jederzeit kann sich eine unerwartete Intensität entfalten, oder eben nicht. Das Kind macht keine Prognosen, es erlebt.

Einen großen Anteil an dieser Unberechenbarkeit hat neben der Kindheit an sich allerdings auch der Vater des Jungen. Im ersten Band war die Ungeduld des Vaters schon zu erahnen, im dritten Band verdichtet sich die Erkenntnis über das Ausmaß seines Jähzorns. Der Junge soll dem Vater zum Beispiel beim Holzhacken Gesellschaft leisten. Karl Ove ist gerade eingeschult worden und sie unterhalten sich über die Lehrer. Als der Junge die Holzklötze stapeln soll und dies in den Augen des Vaters falsch macht, beginnt die Stimmung zu kippen. Nach einer Weile friert der Junge und möchte ins Haus gehen, aber der gereizte Vater lässt ihn nicht. Stattdessen ahmt er den Sprachfehler des Jungen nach und Karl Ove sagt, das dürfe er nicht. Dies fasst der Vater als Widerwort auf, packt den Jungen am Ohr und dreht es um. Der Junge ist erschüttert und zieht sich in sein Zimmer zurück. Er möchte nicht mehr mit dem Vater und dem Bruder Fußball sehen, wie sonst am Samstag, doch der Vater kommt in sein Zimmer, schleift ihn ins Wohnzimmer und zwingt ihn, sich mit vor den Fernseher zu setzen. Die Bonbons, die der Vater den Kindern beim Fußballgucken zuwirft, möchte der Junge nicht, daraufhin zwingt ihn der Vater, sie zu essen. Immer wieder begegnen wir einem Mann, der die Kontrolle über sich verloren hat.

Die Erzählung entfaltet einen Sog, der zwingend ist, fast hypnotisierend. Die Offenbarung macht sprachlos, erstaunt, hält in Atem. Die Erlebnisse des Jungen Karl Ove sind voller Verletzungen, vor allem durch den autoritären Vater, selten durch die Mutter, bei ihr sind es eher sporadische Enttäuschungen, wie zum Beispiel wenn sie ihm eine Damenbademütze kauft, die ihn vor seinen Mitschülern lächerlich macht. Zurückweisungen erfährt er aber auch manchmal durch den Bruder, durch Freunde, zum Beispiel wenn zwei an einem Abend nicht an seiner Haustür klingeln, um ihn mitzunehmen, und er sie dann vergeblich sucht, sich anderen Kindern im Fußballspiel zuwendet, in einer Mischung aus Trotz und Gleichgültigkeit, hinter der aber noch immer die Traurigkeit über die beiden Freunde lauert, die ohne ihn loszogen. Ihnen gilt sein letzter suchender Blick auf dem Weg nach Hause.

Der Junge erlebt aber auch viel Begeisterung. Wie er mit seinem besten Freund Geir durch die Gegend streift, wie sie eine großartige Müllhalde entdecken, wie sehr ihn seine ersten Freundinnen faszinieren, das alles steht neben den Verletzungen, die im Übrigen ja nicht nur Karl Ove selbst erfährt, sondern die auch er anderen zufügt, auch das gehört dazu. So entfaltet sich das ganze große Universum der Kindheit. Man möchte jedem, der sechs- bis dreizehnjährige Kinder hat, „Spielen“ empfehlen, so wie man den zweiten Band „Lieben“ jedem empfehlen wollte, der oder die gerade Kinder bekommen hat. Knausgårds große Stärke ist es, zum Kern der manchmal diffusen Gefühle vorzudringen, die mit unseren Erfahrungen verbunden sind.

Knausgård, der Proust verschlungen hat, bezeichnete sich selbst einmal als Anti-Proust. Proust sei elegant, sein eigener Text dagegen roh. Proust sei wunderbar strukturiert, sein eigener Text direkt. Er hatte lange versucht, über seinen Vater zu schreiben, aber es war ihm nie gelungen, bis er die Frage nach der Qualität des Textes ausklammerte: Nicht clever komponieren wollen, einfach aufschreiben. Er habe Angst gehabt, dass es das langweiligste Buch werden könnte, das je geschrieben wurde. Doch es funktioniert. Tatsächlich entsteht durch das direkte Erzählen eine sehr intensive Leseerfahrung. Die Übersetzung von Paul Berf ist dabei ein großer Glücksfall, denn sie nimmt genau dieses organische Erzählen auf. Jedes Komma und jeder Punkt sind genau richtig gesetzt, um den Erzählfluss zu tragen. Hat es einen einmal gepackt, muss man überall mit durch, alles mitfühlen.

Es ist keine Offenbarung, der man zusieht wie einem Autounfall, bei dem man nicht wegsehen kann. Diese Dynamik hier führt uns ohne Schaulust ins zutiefst Menschliche. So kann es erstaunlicherweise geschehen, dass das, was der Junge Karl Ove in Norwegen erlebt, mit der eigenen Erfahrung verschmilzt, obwohl die Erzählung mit fremd klingenden Namen, Dörfern, Produkten und Naturbeschreibungen gefüllt ist. Es ist alles so spezifisch anders, und dennoch findet sich darin vor allem das Gemeinsame. Es kann nicht verwundern, dass die Bücher in Skandinavien für so viel Furore gesorgt haben, aber es verwundert ebensowenig, dass sie mittlerweile in 30 Sprachen übersetzt wurden. Der Graben, den das Fremde erzeugt, ist am Ende erstaunlich klein.

Knausgård geht der Unerschöpflichkeit des Lebens auf die Spur, die neben der Banalität des Alltäglichen besteht, oder ihr unterliegt, in ihr wohnt. Das Immergleiche, die Routinen des Alltags mögen langweilen oder schwer zu ertragen sein, aber der Ausbruch aus ihnen ist keine Lösung. Er würde bedeuten, auch alles Wichtige und Schöne zurückzulassen. All die großen Fragen, die großen Ereignisse – die Beziehung zu den Eltern, die Liebe zu seiner Frau, selbst Vater zu sein – all das findet statt im täglichen Kleinklein. Knausgård dreht jeden Stein um und schreibt die Oberfläche damit fast manisch weg, um die Frage zu beantworten: Wo sind wir in diesem Leben?

Seine Erzählung ist schonungslos, aber sie ist nicht gnadenlos. Der Sog des Lesens ist trotz aller beschriebenen Zurückweisungen kein negativer, denn immer ahnt man die Liebe darunter. Nur weil sie da ist, in allem und zu allen, kann es die Verletzungen in ihrer Intensität schließlich überhaupt geben. Man möchte das beschriebene Universum nicht verlassen, ganz so wie man das eigene Leben (im Idealfall) nicht verlassen möchte, trotz aller Einwände, die dagegen auszusprechen wären. Wir wussten es schon, aber wissen es mit jedem Knausgård-Band immer noch genauer: Ohne Sorgen ist die Liebe eben nicht zu haben. In all ihrer Radikalität und Banalität sind dies Bücher, die unsentimental Hoffnung spenden: Die Ernüchterung mag im Laufe des Lebens wachsen, aber die Liebe darunter vielleicht doch nicht zerbrechen.

In diesen Büchern verschwindet man, in aus der Zeit geworfenen Stunden. Wenn es doch nur gleich weiterginge, aber wie jedes Mal heißt es jetzt auch wieder: leidvoll warten, bis Paul Berf den nächsten Band übersetzt hat.

großer junge wartet lässig auf den schulbus.

John wartet auf den Schulbus 29.10.2013

John wartet auf den Schulbus 29.10.2013

Im Müllraum begegnete mir heute eine Nachbarin, die am gegenüberliegenden Ende unseres großen Innenhofs wohnt. Sie fragte mich: „Ihr Junge ist viel ruhiger geworden, oder?“ Sie meinte es nett, in dem Sinn, dass er Fortschritte macht, aber ich hatte natürlich vor allem ein schlechtes Gewissen, dass das selbst unseren entlegensten Nachbarn auffällt, was Rückschlüsse auf vorher nahelegt. [Komplimente mit Widerhaken]

the east african travelogue [dritter teil: serengeti].

„Everything in Africa bites, but the safari bug is worst of all.“
(Brian Jackman)

Nach meiner ersten Pirschfahrt träume ich nachts von der Savanne, dem gelben Gras, das sich im Wind bewegt und den Löwen im Gras – ganz so, wie wir es tagsüber gesehen haben. Es fühlt sich absurd real an. Hermann, in dessen Auto ich am nächsten Morgen sitze, lächelt und sagt, er höre immer wieder, dass die Ausländer vom Land und von den Tieren so lebhaft träumen. Und die Geräusche, die wir die ganze Nacht gehört haben, so ein merkwürdiges Kichern, was waren das denn nur für Vögel? Das waren keine Vögel, sagt er, das waren Buschbabys, kleine Feuchtnasenaffen. Er ahmt das Kichern nach und genau, das ist es. Unsere Fahrer und unser Safari Manager sind sehr gut darin, alle möglichen Tiergeräusche nachzuahmen und so lernen wir langsam zu unterscheiden, was wir hören, wenn wir es nicht sehen. (Das Bellen der Paviane, das Keuchen der Hyänen.)

Es gehört mit zu den tollsten Erfahrungen der Reise, abends im Bett zu liegen, diese ganzen Geräusche zu hören und wegzudämmern im Bewusstsein, dass direkt vor der Tür all diese Tiere aktiv sind. Sie tragen einen direkt in diese lebhaften Träume hinein. Ich liebe Einschlafen im Busch. Ich glaube, ich hatte mir vorher vorgestellt, dass das irgendwie beängstigend sein könnte, ist es aber tatsächlich überhaupt nicht.

Unser Safari Manager ist ein Maasai. Sein Vater ist noch in einer traditionellen Siedlung aufgewachsen, als eines von zehn Kindern. In den Fünfzigern, also vor der Unabhängigkeit, verlangten die Engländer von Familien mit so vielen Kindern, wenigstens eines in die Schule zu schicken. Weil Philips Vater der schlechteste Ziegenhüter war, wählte der Vater ihn für die Schule aus. Das Glück der Bildung genoss er also nur, weil er von allen zehn Kindern am Entbehrlichsten war. Er lernte und wurde später selbst Lehrer. Seine Kinder wuchsen außerhalb des Dorfes auf, jedoch haben sie Maa gelernt, die Sprache der Maasai, und auch zeitweise im Dorf gelebt, um die Bindung an den Stamm zu halten. Philip kennt also beide Welten sehr gut und ich bin dankbar, mit ihm ins Maasai-Dorf zu gehen, was mir ansonsten sehr touristisch und/oder übergriffig vorgekommen wäre.

Nach zwei Nächten Ngorongoro fahren wir weiter in die Serengeti. Zuerst sind da noch viele Bäume und einigermaßen viel grün, die Bäume sind oft mit Epiphyten bewachsen und mit Baumflechten behangen. Es gibt viele der für Afrika so typischen Akazien, zuerst flat-top acacias (von denen ich nicht weiß, wie sie auf Deutsch heißen), später Schirmakazien und auch Fieberakazien, mit der gelben Rinde, die ihren Namen vom Gelbfieber haben, oder vom Malariafieber, je nachdem, welcher Quelle man Glauben schenkt. Es gibt, so Hermann, Hunderte Arten von Akazien und als eine unserer Reisenden ihn fragt, ob sie denn alle Dornen haben, sagt er: „Absolutely. Let’s say: if it doesn’t have thorns, it’s not an acacia.“

Es gebe in Afrika aber auch exotische Bäume. Er zeigt auf eine Kiefer und ich denke mir, wie schön das ist: die Vorstellung (im doppelten Sinn) der Kiefer als exotischer Baum.

[Ich interessiere mich eigentlich weniger für Bäume, aber es gehört anscheinend zu meiner conditio africana, dass ich plötzlich restlos alles interessant finde.]

Wir fahren am Grab von Bernhard und Michael Grzimek vorbei. Ich habe als Kind natürlich Serengeti darf nicht sterben gesehen, aber ich kann mich nicht erinnern, dass es einen übermäßig großen Eindruck auf mich gemacht hat. Erst hier vor Ort erwischt mich diese Begeisterung, und es sind überhaupt nicht nur die Tiere, es sind natürlich auch die Menschen und vor allem diese Landschaft: die Luft, die irgendwie anders ist, der hohe Himmel, das Licht, die schönen Farben, die Gerüche und Geräusche. Im Stillen entschuldige ich mich bei den Grzimeks. (Dass ich aber auch immer erst selbst an Orte kommen muss, um zu begreifen.)

[Trivia: was ich vorher auch nicht wusste: Nach dem Tod von Michael Grzimek, der im Flugzeug in Tansania mit einem Geier kollidiert und dabei gestorben war, ließ Bernhard Grzimek sich scheiden, heiratete die Frau seines verstorbenen Sohnes und adoptierte seine eigenen Enkelkinder.]

Wir kommen in eine wüstenartige Landschaft, in der sich der rote Staub über die paar verbliebenen Bewüchse gelegt hat. Elefanten essen Staub. Hermann: „It’s part of their diet, and actually it’s now part of our diet, too.“ Er lacht und Recht hat er. Beim Fahren atmen wir so viel von diesem Staub ein, dass wir alle sehr viel Wasser trinken, denn der Staub trocknet einen innerlich regelrecht aus. Die kahle, rote Landschaft sieht im Kontrast mit dem tiefblauen Himmel fast surreal aus.

Auf dem Weg nach Serengeti

Giraffen (Ngorongoro)

Drei Giraffen (Ngorongoro)

Vier Giraffen (Ngorongoro)

Zwischenstopp in der Oldupai-Schlucht. Wir haben einen Vortrag mit einem Archäologen gebucht. Während meine Gruppe erfreut die Toiletten stürmt, lerne ich den Wissenschaftler kennen und bespreche kurz unseren Zeitplan mit ihm. Schon von diesen wenigen Minuten Vorgespräch weiß ich, dass es gut werden wird, und tatsächlich ist sein Vortrag fantastisch. Die Oldupai-Schlucht wird als Wiege der Menschheit bezeichnet (wenn auch Kenia, Tschad und Äthiopien das gleiche von sich sagen können). Hier wurden Fußabdrücke gefunden, die vor etwa 3,7 Millionen Jahren entstanden und die zeigen, dass die Hominiden offensichtlich schon in aufrechtem Gang über frische Vulkanasche gegangen sind. Nach dem Vortrag haben wir noch Zeit für das Museum. Eine Echse blickt in die Schlucht.

Echse blickt in die Oldupai-Schlucht

Vogelnester (Oldupai Schlucht)

Die Vogelnester sind wohl nur interessant, wenn man die Geschichte dazu kennt: sie gehören einer einzigen Vogelfamilie, die auch nur in einem dieser Nester lebt. Die anderen Nester sind Attrappen zum Schutz vor Angreifern. Die Vogelfamilie lebt in dem Nest, das für Angreifer am Schwierigsten zu erreichen ist und somit ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein falsches Nest angegriffen wird. [Das ist ein bisschen so wie mit uns und dem Datenschutz jetzt.]

Wir kommen in der Lodge in Serengeti an, ich gehe in mein Zimmer und bin begeistert vom Ausblick und vom Affenbesuch auf meinem Balkon.

Blick von der Lodge in die Serengeti

Affenbesuch auf meinem Balkon

Wir sehen die typischen, abgerundeten Granitfelsbrocken, Kopjes, die ursprünglich unter der Erde lagen und dann mit der Zeit freigespült wurden. Auf einem der Kopjes liegt ein großer Löwe. An einem Fluss sehe ich zum ersten Mal ein Dikdik, die kleinste Antilopenart, kaum größer als ein Hase.

Dikdik (Serengeti)

An einem See die ersten Flamingoschwärme. (Ja, Afrika ist nicht Jenseits von Afrika, aber natürlich muss ich an diese Szene mit den Flamingoschwärmen denken, als Robert Redford und Meryl Streep in seinem Flugzeug an einem See entlang fliegen.) Und dann sehen wir einen Geparden, der eine Gazelle erlegt. Er hält sie lange ganz still, das Maul in ihren Hals gegraben, er wartet geduldig, das ist brutal, aber noch brutaler ist es, als er sich sicher ist, dass die Gazelle tot ist, und er sie zu fressen beginnt. Ein Blutbad. Wir fahren zurück in die Lodge, für heute reicht es mit der Wildnis.

Am nächsten Morgen Wecken um vier Uhr nachts, Abfahrt 4:30 Uhr, um halb sechs kommen wir bei den Ballons an, die mit der aufgehenden Sonne vorbereitet werden, und gegen halb sieben steigen wir im Morgengrauen ein und auf und dazu gibt es nicht viel zu sagen. Das ist erhebend (auch im doppelten Sinn).

Ballonfahrt im Morgengrauen (Serengeti)

Ballonfahrt (Serengeti)

Blick vom Ballon auf die Autos (Serengeti)

Ballonfahrt (Serengeti)

Blick auf die Serengeti von oben

Serengeti von oben

Die Ballonfahrt kostet $500 pro Person. Ein Paar hatte einen Tag vor Abreise storniert und die Ballonfahrt, die nicht mehr storniert werden konnte, war also schon bezahlt, deshalb durfte ich kostenlos mitfahren. Was für ein Glück.

Danach Frühstück im Busch, mit einem Plumpsklo als Buschtoilette – Loo with a View.

Buschfrühstück

"Loo with a view" (Buschtoilette)

Serengeti wird von allen Nationalparks mein Favorit bleiben.

Sonnenuntergang (Serengeti)

Giraffe (auf dem Weg nach Serengeti)

Giraffe (Serengeti)

Elefant (Serengeti)

the east african travelogue [zweiter teil: ngorongoro].

„Take nothing but photos and leave nothing but your footprints.“
(Philip, unser Safari Manager)

Auf dem Weg von Arusha nach Ngorongoro sehen wir gleich am Beginn der Fahrt den als Charakterberg bezeichneten Kilimanjaro, den höchsten Berg Afrikas. Er liegt an der Grenze von Tansania und Kenia, noch in Tansania, aber den schönsten Blick soll man vom kenianischen Amboseli Nationalpark haben, den wir in der zweiten Woche besuchen werden. In der Zwischenzeit freue ich mich, den Kili hier schon einmal zu sehen. Der Gipfel trägt eine viel kleinere Schneekuppe, als ich es von Fotos kenne. Unser Fahrer erklärt, dass es einerseits an der Jahreszeit liege und andererseits schmelze der Schnee wohl tatsächlich immer mehr ab. Der Gipfel heißt Uhuru Peak, weil die Tanganyika African National Union dort 1961 Fackeln der Freiheit entzündete. Uhuru, das ist das Wort für politische Freiheit und Unabhängigkeit, es wird uns in Tansania und Kenia überall begegnen.

[Trivia: Der Kilimanjaro wurde am 6. Oktober 1889 das erste Mal bestiegen, und zwar durch Ludwig Purtscheller aus Salzburg und Hans Meyer aus Leipzig. Warum mich das interessiert, weiß ich auch nicht, vielleicht wegen der ganzen Eiger-Geschichten im August in der Schweiz, wo mich der Blick von Mürren aus auf den Eiger immer ein bisschen umhaut. Aber zurück nach Tansania.]

Am Wegesrand bereiten Frauen mtoke zu, Kochbananen. In einem kleinen Ort finden wir eine Apotheke und kaufen Antibiotika für eine meiner Reisenden, die sich auf dem Flug eine Blaseninfektion eingefangen hat. So langsam werden die Städte und Dörfer seltener und ich sehe zum ersten Mal das weite Land, die typisch ostafrikanische Savanne.

Auf dem Weg in den Busch

Die Straße ist an vielen Stellen im Bau befindlich und so müssen wir oft auf ungeteerte Pisten voller Schlaglöcher ausweichen. Wir schaukeln ordentlich in unseren Land Cruisern und nach zwei Stunden kommt ein Funkspruch aus einem unserer Autos, er hat einen Platten. Wir halten an und die Fahrer wechseln gemeinsam – und in erstaunlicher Geschwindigkeit – den Reifen aus. Zum Glück hat jeder Wagen zwei Ersatzreifen. Die braucht man hier, das ist schnell klar. Als wir wieder einsteigen, zeigt Peter, der Fahrer des Autos, in dem ich für diese Wegstrecke sitze, in die Landschaft und sagt: „By the way, that’s a baobab over there.“ Mein erster Affenbrotbaum, und ich hätte ihn vor lauter Reifenwechseln fast verpasst.

Wir nähern uns dem Großen Ostafrikanischen Graben. Das Great Rift Valley entstand vor zwei bis drei Millionen Jahren durch Erdfaltung und erstreckt sich über 6.000 Kilometer vom Toten Meer bis Mosambik. Aus unserem Minifitzel Deutschland kommend, bin ich schwer beeindruckt. Die Ausmaße von allem hier scheinen unfassbar.

Wir fahren in vielen Kurven den Rand des Ngorongoro-Kraters hoch, unsere Lodge liegt auf etwa 2.400 Metern Höhe. Der Krater entstand durch Lavaströme. Bei einer Explosion sackte die Mitte ein und bildete einen Vulkankegel von zehn mal sechzehn Kilometern. Heute ist es der größte, nicht mit Wasser gefüllte Krater der Erde und bis zu 30.000 Tiere leben dort. Viele verlassen den Krater anscheinend niemals, sie haben dort alles, was sie zum Leben brauchen. Die großen Tierwanderungen finden woanders statt, da kommen wir auch noch hin, hier konzentrieren sich die Tiere aber erst einmal.

Am nächsten Morgen machen wir unsere erste Pirschfahrt. Damit wir weiter fahren können, nehmen wir unser Mittagessen gleich als Lunchbox mit. Wir fahren hinunter in die Caldera.

Unterwegs nach Ngorongoro

Ich bin im Auto von Donald und er schlägt vor, dass jeder zehn Punkte bekommt, der ein Tier entdeckt. Genau in dem Moment sehe ich links von uns zwei Zebras, die ersten 20 Punkte sind meine. Wenn man meint, ein Tier gesehen zu haben und es stellt sich als Busch heraus, werden Punkte abgezogen. Im Laufe des Tages haben wir viel Spaß mit unseren Punkten. Und wir sehen unglaublich viele Tiere. Unsere Land Cruiser haben ein Dach, das geöffnet werden kann, und so können wir im Auto stehen und die Tiere direkt beobachten und fotografieren, wobei einige sehr nah sind und andere doch eher fern, wie zum Beispiel ein Schwarznashorn, das wir nur mit dem Fernglas beobachten können, während ein Gnu direkt neben dem Wagen steht.

Zebraherde (Ngorongoro)

Gnus (Ngorongoro)

Tüpfelhyäne (Ngorongoro)

Donald fragt uns jeweils: „Sawa, sawa?“, ob wir bereit sind weiterzufahren. Sawa heißt gut, und seine Frage damit soviel wie: „Sind wir gut?“ (was natürlich auf Deutsch keinen Sinn macht, aber auf Englisch schon). Das Sawa, sawa benutzen wir in den beiden Wochen dann ständig, wenn es weitergehen kann. Binnen weniger Tage lernen wir fast so etwas wie eine eigene Sprache, dazu gehört zum Beispiel auch der Ausdruck „checking the tyres.“ Wenn wir in der Wildnis unterwegs sind, gibt es natürlich nur selten Toiletten. Die Fahrer müsen einen Ort finden, an dem es nicht gefährlich ist auszusteigen, und dann muss derjenige oder diejenige hinter das Auto gehen, das ist die einzige Möglichkeit. Und das heißt eben: „Donald, I need to check the tyres.“

Mittagspause an einem See. In unseren Lunchboxes gibt es einen unglaublich leckeren Passionsfruchtsaft. Wir essen in den Autos und werden gewarnt, bloß kein Essen mit nach draußen zu nehmen. Tatsächlich kreisen über uns große Schwarzmilane, Raubvögel, die in Sekundenbruchteilen hinabstürzen können und anscheinend schon Touristen schwer verletzt haben, die Essen mit aus den Autos genommen haben.

Schon am ersten Tag im Busch haben wir vier der Big Five gesehen: Elefant, Büffel, Nashorn und Löwe. Uns fehlt nur noch der Leopard. Ich lerne, dass es neben den Big Five auch die Ugly Five gibt, zu denen die Gnus gehören und die Warzenschweine, die wir gesehen haben. Was wir nicht alles gesehen haben: so viele Thomson- und Grant-Gazellen, Impalas, Tüpfelhyänen, Strauße und Riesentrappen, und was ich jetzt noch alles vergesse. Ngorongoro wird als achtes Weltwunder bezeichnet und ist ein UNESCO Weltkulturerbe, keine Frage warum.

Sonnenuntergang (Ngorongoro)

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