Im Müllraum begegnete mir heute eine Nachbarin, die am gegenüberliegenden Ende unseres großen Innenhofs wohnt. Sie fragte mich: „Ihr Junge ist viel ruhiger geworden, oder?“ Sie meinte es nett, in dem Sinn, dass er Fortschritte macht, aber ich hatte natürlich vor allem ein schlechtes Gewissen, dass das selbst unseren entlegensten Nachbarn auffällt, was Rückschlüsse auf vorher nahelegt. [Komplimente mit Widerhaken]
Monat: Oktober 2013
the east african travelogue [halbzeit].
Mein Reisebericht hat insgesamt sechs Teile, aber da ich in den nächsten Tagen nicht zum Weiterschreiben komme, hier erstmal eine Weblog-Empfehlung: Arnize Go 2 Africa. Arno und Elize van der Merwe reisen mit einem umgebauten Pick-Up Truck und Zelt von Mossel Bay nach Kairo.
the east african travelogue [dritter teil: serengeti].
„Everything in Africa bites, but the safari bug is worst of all.“
(Brian Jackman)
Nach meiner ersten Pirschfahrt träume ich nachts von der Savanne, dem gelben Gras, das sich im Wind bewegt und den Löwen im Gras – ganz so, wie wir es tagsüber gesehen haben. Es fühlt sich absurd real an. Hermann, in dessen Auto ich am nächsten Morgen sitze, lächelt und sagt, er höre immer wieder, dass die Ausländer vom Land und von den Tieren so lebhaft träumen. Und die Geräusche, die wir die ganze Nacht gehört haben, so ein merkwürdiges Kichern, was waren das denn nur für Vögel? Das waren keine Vögel, sagt er, das waren Buschbabys, kleine Feuchtnasenaffen. Er ahmt das Kichern nach und genau, das ist es. Unsere Fahrer und unser Safari Manager sind sehr gut darin, alle möglichen Tiergeräusche nachzuahmen und so lernen wir langsam zu unterscheiden, was wir hören, wenn wir es nicht sehen. (Das Bellen der Paviane, das Keuchen der Hyänen.)
Es gehört mit zu den tollsten Erfahrungen der Reise, abends im Bett zu liegen, diese ganzen Geräusche zu hören und wegzudämmern im Bewusstsein, dass direkt vor der Tür all diese Tiere aktiv sind. Sie tragen einen direkt in diese lebhaften Träume hinein. Ich liebe Einschlafen im Busch. Ich glaube, ich hatte mir vorher vorgestellt, dass das irgendwie beängstigend sein könnte, ist es aber tatsächlich überhaupt nicht.
Unser Safari Manager ist ein Maasai. Sein Vater ist noch in einer traditionellen Siedlung aufgewachsen, als eines von zehn Kindern. In den Fünfzigern, also vor der Unabhängigkeit, verlangten die Engländer von Familien mit so vielen Kindern, wenigstens eines in die Schule zu schicken. Weil Philips Vater der schlechteste Ziegenhüter war, wählte der Vater ihn für die Schule aus. Das Glück der Bildung genoss er also nur, weil er von allen zehn Kindern am Entbehrlichsten war. Er lernte und wurde später selbst Lehrer. Seine Kinder wuchsen außerhalb des Dorfes auf, jedoch haben sie Maa gelernt, die Sprache der Maasai, und auch zeitweise im Dorf gelebt, um die Bindung an den Stamm zu halten. Philip kennt also beide Welten sehr gut und ich bin dankbar, mit ihm ins Maasai-Dorf zu gehen, was mir ansonsten sehr touristisch und/oder übergriffig vorgekommen wäre.
Nach zwei Nächten Ngorongoro fahren wir weiter in die Serengeti. Zuerst sind da noch viele Bäume und einigermaßen viel grün, die Bäume sind oft mit Epiphyten bewachsen und mit Baumflechten behangen. Es gibt viele der für Afrika so typischen Akazien, zuerst flat-top acacias (von denen ich nicht weiß, wie sie auf Deutsch heißen), später Schirmakazien und auch Fieberakazien, mit der gelben Rinde, die ihren Namen vom Gelbfieber haben, oder vom Malariafieber, je nachdem, welcher Quelle man Glauben schenkt. Es gibt, so Hermann, Hunderte Arten von Akazien und als eine unserer Reisenden ihn fragt, ob sie denn alle Dornen haben, sagt er: „Absolutely. Let’s say: if it doesn’t have thorns, it’s not an acacia.“
Es gebe in Afrika aber auch exotische Bäume. Er zeigt auf eine Kiefer und ich denke mir, wie schön das ist: die Vorstellung (im doppelten Sinn) der Kiefer als exotischer Baum.
[Ich interessiere mich eigentlich weniger für Bäume, aber es gehört anscheinend zu meiner conditio africana, dass ich plötzlich restlos alles interessant finde.]
Wir fahren am Grab von Bernhard und Michael Grzimek vorbei. Ich habe als Kind natürlich Serengeti darf nicht sterben gesehen, aber ich kann mich nicht erinnern, dass es einen übermäßig großen Eindruck auf mich gemacht hat. Erst hier vor Ort erwischt mich diese Begeisterung, und es sind überhaupt nicht nur die Tiere, es sind natürlich auch die Menschen und vor allem diese Landschaft: die Luft, die irgendwie anders ist, der hohe Himmel, das Licht, die schönen Farben, die Gerüche und Geräusche. Im Stillen entschuldige ich mich bei den Grzimeks. (Dass ich aber auch immer erst selbst an Orte kommen muss, um zu begreifen.)
[Trivia: was ich vorher auch nicht wusste: Nach dem Tod von Michael Grzimek, der im Flugzeug in Tansania mit einem Geier kollidiert und dabei gestorben war, ließ Bernhard Grzimek sich scheiden, heiratete die Frau seines verstorbenen Sohnes und adoptierte seine eigenen Enkelkinder.]
Wir kommen in eine wüstenartige Landschaft, in der sich der rote Staub über die paar verbliebenen Bewüchse gelegt hat. Elefanten essen Staub. Hermann: „It’s part of their diet, and actually it’s now part of our diet, too.“ Er lacht und Recht hat er. Beim Fahren atmen wir so viel von diesem Staub ein, dass wir alle sehr viel Wasser trinken, denn der Staub trocknet einen innerlich regelrecht aus. Die kahle, rote Landschaft sieht im Kontrast mit dem tiefblauen Himmel fast surreal aus.
Zwischenstopp in der Oldupai-Schlucht. Wir haben einen Vortrag mit einem Archäologen gebucht. Während meine Gruppe erfreut die Toiletten stürmt, lerne ich den Wissenschaftler kennen und bespreche kurz unseren Zeitplan mit ihm. Schon von diesen wenigen Minuten Vorgespräch weiß ich, dass es gut werden wird, und tatsächlich ist sein Vortrag fantastisch. Die Oldupai-Schlucht wird als Wiege der Menschheit bezeichnet (wenn auch Kenia, Tschad und Äthiopien das gleiche von sich sagen können). Hier wurden Fußabdrücke gefunden, die vor etwa 3,7 Millionen Jahren entstanden und die zeigen, dass die Hominiden offensichtlich schon in aufrechtem Gang über frische Vulkanasche gegangen sind. Nach dem Vortrag haben wir noch Zeit für das Museum. Eine Echse blickt in die Schlucht.
Die Vogelnester sind wohl nur interessant, wenn man die Geschichte dazu kennt: sie gehören einer einzigen Vogelfamilie, die auch nur in einem dieser Nester lebt. Die anderen Nester sind Attrappen zum Schutz vor Angreifern. Die Vogelfamilie lebt in dem Nest, das für Angreifer am Schwierigsten zu erreichen ist und somit ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein falsches Nest angegriffen wird. [Das ist ein bisschen so wie mit uns und dem Datenschutz jetzt.]
Wir kommen in der Lodge in Serengeti an, ich gehe in mein Zimmer und bin begeistert vom Ausblick und vom Affenbesuch auf meinem Balkon.
Wir sehen die typischen, abgerundeten Granitfelsbrocken, Kopjes, die ursprünglich unter der Erde lagen und dann mit der Zeit freigespült wurden. Auf einem der Kopjes liegt ein großer Löwe. An einem Fluss sehe ich zum ersten Mal ein Dikdik, die kleinste Antilopenart, kaum größer als ein Hase.
An einem See die ersten Flamingoschwärme. (Ja, Afrika ist nicht Jenseits von Afrika, aber natürlich muss ich an diese Szene mit den Flamingoschwärmen denken, als Robert Redford und Meryl Streep in seinem Flugzeug an einem See entlang fliegen.) Und dann sehen wir einen Geparden, der eine Gazelle erlegt. Er hält sie lange ganz still, das Maul in ihren Hals gegraben, er wartet geduldig, das ist brutal, aber noch brutaler ist es, als er sich sicher ist, dass die Gazelle tot ist, und er sie zu fressen beginnt. Ein Blutbad. Wir fahren zurück in die Lodge, für heute reicht es mit der Wildnis.
Am nächsten Morgen Wecken um vier Uhr nachts, Abfahrt 4:30 Uhr, um halb sechs kommen wir bei den Ballons an, die mit der aufgehenden Sonne vorbereitet werden, und gegen halb sieben steigen wir im Morgengrauen ein und auf und dazu gibt es nicht viel zu sagen. Das ist erhebend (auch im doppelten Sinn).
Die Ballonfahrt kostet $500 pro Person. Ein Paar hatte einen Tag vor Abreise storniert und die Ballonfahrt, die nicht mehr storniert werden konnte, war also schon bezahlt, deshalb durfte ich kostenlos mitfahren. Was für ein Glück.
Danach Frühstück im Busch, mit einem Plumpsklo als Buschtoilette – Loo with a View.
Serengeti wird von allen Nationalparks mein Favorit bleiben.
the east african travelogue [zweiter teil: ngorongoro].
„Take nothing but photos and leave nothing but your footprints.“
(Philip, unser Safari Manager)
Auf dem Weg von Arusha nach Ngorongoro sehen wir gleich am Beginn der Fahrt den als Charakterberg bezeichneten Kilimanjaro, den höchsten Berg Afrikas. Er liegt an der Grenze von Tansania und Kenia, noch in Tansania, aber den schönsten Blick soll man vom kenianischen Amboseli Nationalpark haben, den wir in der zweiten Woche besuchen werden. In der Zwischenzeit freue ich mich, den Kili hier schon einmal zu sehen. Der Gipfel trägt eine viel kleinere Schneekuppe, als ich es von Fotos kenne. Unser Fahrer erklärt, dass es einerseits an der Jahreszeit liege und andererseits schmelze der Schnee wohl tatsächlich immer mehr ab. Der Gipfel heißt Uhuru Peak, weil die Tanganyika African National Union dort 1961 Fackeln der Freiheit entzündete. Uhuru, das ist das Wort für politische Freiheit und Unabhängigkeit, es wird uns in Tansania und Kenia überall begegnen.
[Trivia: Der Kilimanjaro wurde am 6. Oktober 1889 das erste Mal bestiegen, und zwar durch Ludwig Purtscheller aus Salzburg und Hans Meyer aus Leipzig. Warum mich das interessiert, weiß ich auch nicht, vielleicht wegen der ganzen Eiger-Geschichten im August in der Schweiz, wo mich der Blick von Mürren aus auf den Eiger immer ein bisschen umhaut. Aber zurück nach Tansania.]
Am Wegesrand bereiten Frauen mtoke zu, Kochbananen. In einem kleinen Ort finden wir eine Apotheke und kaufen Antibiotika für eine meiner Reisenden, die sich auf dem Flug eine Blaseninfektion eingefangen hat. So langsam werden die Städte und Dörfer seltener und ich sehe zum ersten Mal das weite Land, die typisch ostafrikanische Savanne.
Die Straße ist an vielen Stellen im Bau befindlich und so müssen wir oft auf ungeteerte Pisten voller Schlaglöcher ausweichen. Wir schaukeln ordentlich in unseren Land Cruisern und nach zwei Stunden kommt ein Funkspruch aus einem unserer Autos, er hat einen Platten. Wir halten an und die Fahrer wechseln gemeinsam – und in erstaunlicher Geschwindigkeit – den Reifen aus. Zum Glück hat jeder Wagen zwei Ersatzreifen. Die braucht man hier, das ist schnell klar. Als wir wieder einsteigen, zeigt Peter, der Fahrer des Autos, in dem ich für diese Wegstrecke sitze, in die Landschaft und sagt: „By the way, that’s a baobab over there.“ Mein erster Affenbrotbaum, und ich hätte ihn vor lauter Reifenwechseln fast verpasst.
Wir nähern uns dem Großen Ostafrikanischen Graben. Das Great Rift Valley entstand vor zwei bis drei Millionen Jahren durch Erdfaltung und erstreckt sich über 6.000 Kilometer vom Toten Meer bis Mosambik. Aus unserem Minifitzel Deutschland kommend, bin ich schwer beeindruckt. Die Ausmaße von allem hier scheinen unfassbar.
Wir fahren in vielen Kurven den Rand des Ngorongoro-Kraters hoch, unsere Lodge liegt auf etwa 2.400 Metern Höhe. Der Krater entstand durch Lavaströme. Bei einer Explosion sackte die Mitte ein und bildete einen Vulkankegel von zehn mal sechzehn Kilometern. Heute ist es der größte, nicht mit Wasser gefüllte Krater der Erde und bis zu 30.000 Tiere leben dort. Viele verlassen den Krater anscheinend niemals, sie haben dort alles, was sie zum Leben brauchen. Die großen Tierwanderungen finden woanders statt, da kommen wir auch noch hin, hier konzentrieren sich die Tiere aber erst einmal.
Am nächsten Morgen machen wir unsere erste Pirschfahrt. Damit wir weiter fahren können, nehmen wir unser Mittagessen gleich als Lunchbox mit. Wir fahren hinunter in die Caldera.
Ich bin im Auto von Donald und er schlägt vor, dass jeder zehn Punkte bekommt, der ein Tier entdeckt. Genau in dem Moment sehe ich links von uns zwei Zebras, die ersten 20 Punkte sind meine. Wenn man meint, ein Tier gesehen zu haben und es stellt sich als Busch heraus, werden Punkte abgezogen. Im Laufe des Tages haben wir viel Spaß mit unseren Punkten. Und wir sehen unglaublich viele Tiere. Unsere Land Cruiser haben ein Dach, das geöffnet werden kann, und so können wir im Auto stehen und die Tiere direkt beobachten und fotografieren, wobei einige sehr nah sind und andere doch eher fern, wie zum Beispiel ein Schwarznashorn, das wir nur mit dem Fernglas beobachten können, während ein Gnu direkt neben dem Wagen steht.
Donald fragt uns jeweils: „Sawa, sawa?“, ob wir bereit sind weiterzufahren. Sawa heißt gut, und seine Frage damit soviel wie: „Sind wir gut?“ (was natürlich auf Deutsch keinen Sinn macht, aber auf Englisch schon). Das Sawa, sawa benutzen wir in den beiden Wochen dann ständig, wenn es weitergehen kann. Binnen weniger Tage lernen wir fast so etwas wie eine eigene Sprache, dazu gehört zum Beispiel auch der Ausdruck „checking the tyres.“ Wenn wir in der Wildnis unterwegs sind, gibt es natürlich nur selten Toiletten. Die Fahrer müsen einen Ort finden, an dem es nicht gefährlich ist auszusteigen, und dann muss derjenige oder diejenige hinter das Auto gehen, das ist die einzige Möglichkeit. Und das heißt eben: „Donald, I need to check the tyres.“
Mittagspause an einem See. In unseren Lunchboxes gibt es einen unglaublich leckeren Passionsfruchtsaft. Wir essen in den Autos und werden gewarnt, bloß kein Essen mit nach draußen zu nehmen. Tatsächlich kreisen über uns große Schwarzmilane, Raubvögel, die in Sekundenbruchteilen hinabstürzen können und anscheinend schon Touristen schwer verletzt haben, die Essen mit aus den Autos genommen haben.
Schon am ersten Tag im Busch haben wir vier der Big Five gesehen: Elefant, Büffel, Nashorn und Löwe. Uns fehlt nur noch der Leopard. Ich lerne, dass es neben den Big Five auch die Ugly Five gibt, zu denen die Gnus gehören und die Warzenschweine, die wir gesehen haben. Was wir nicht alles gesehen haben: so viele Thomson- und Grant-Gazellen, Impalas, Tüpfelhyänen, Strauße und Riesentrappen, und was ich jetzt noch alles vergesse. Ngorongoro wird als achtes Weltwunder bezeichnet und ist ein UNESCO Weltkulturerbe, keine Frage warum.
the east african travelogue [erster teil: ankunft in arusha].
„There are no foreign lands. It is the traveler only who is foreign.“
(Robert Lewis Stevenson)
Die ganze Zeit möchte ich meinen Reisebericht über Afrika schreiben und schaffe es zuerst tage- und dann wochenlang nicht. Weil so viel passiert ist? Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, das stimmt. Oder weil es so schwer zu beschreiben ist? Alles, was ich sagen möchte, driftet schon im Denken so leicht in zu viel Pathos ab und mir ist natürlich klar, dass dieses Pathos an der afrikanischen Realität vorbeigeht. Afrika, das ist nicht die romantisierte Welt von Jenseits von Afrika.
[„I had a farm in Africa, at the foot of the Ngong Hills.“ Ich höre prompt Meryl Streeps Stimme.]
Heute zieht selbst ein traditionell gekleideter Maasai auch schonmal plötzlich ein Handy aus seiner roten Shouka. Aber vielleicht beginne ich doch lieber am Anfang.
Flug über Istanbul nach Arusha, Ankunft Ortszeit 3:20 Uhr in der Nacht. Mit mir steigen nur eine Handvoll Leute aus, der Rest fliegt weiter nach Mombasa. Das Visum für Tansania hatte ich mir nicht mehr vorher in Berlin besorgt und kaufe es problemlos bei der Ankunft – es kostet vor Ort sogar nur $50 anstatt in Deutschland €75. Mein Gepäck kommt nicht an, der Lost & Found Schalter ist zur Nacht nicht besetzt. Ich darf die Ankunftshalle nicht verlassen und danach wieder reinkommen, kann also dem auf mich wartenden Fahrer draußen nicht Bescheid sagen. Ich hoffe, dass er nicht wegfährt und suche jemanden, der die Meldung zum vermissten Gepäck aufnimmt. Mit ziemlicher Verspätung komme ich dann nach draußen, mein Fahrer wartet noch, und sogar noch jemand vom Büro des Ground Operators, mit dem wir in Tansania zusammenarbeiten. Zwei Leute schlagen sich die Nacht um die Ohren, um mich abzuholen. Ich habe ein schlechtes Gewissen, aber man kann sich hier nicht einfach ein Taxi zum Hotel nehmen.
Wir fahren etwa eine Stunde nach Arusha. Sie haben mich in einem der Geländewagen Marke Land Cruiser abgeholt, mit denen wir die Safari machen werden. Das Fenster lässt sich leicht zur Seite schieben. Draußen ist es dunkel, ich erahne nur die Natur, aber die Luft ist wunderbar, ganz mild. Wir fahren durch vereinzelte Townships, in denen Menschen in der Dunkelheit zwischen Wellblechhütten herumlaufen. Langsam geht die Sonne auf, während wir Arusha erreichen. Den Vorschlag, unser für 10 Uhr geplantes Meeting auf den nächsten Morgen zu verschieben, nehme ich dankbar an und lege mich um sechs Uhr morgens ins Bett. Unter einem Moskitonetz zu schlafen ist gewöhnungsbedürftiger, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich habe noch nie Platzangst gehabt, aber unter dem Netz das erste Mal eine Ahnung, wie sich das anfühlt.
Als weiße Frau in Arusha alleine spazieren zu gehen, erweist sich als nahezu unmöglich. Bei jedem Schritt werde ich angesprochen, ob ich Schuhe kaufen möchte, eine Rundfahrt mit dem Motorrad machen oder eine Safari buchen. Im Buchladen, der im Schaufenster „Books in English“ bewirbt, sind ausnahmslos alle Bücher auf Englisch Ratgeber, wie man geschäftlichen Erfolg erzielt und reich wird. How to become a millionaire. Ich gehe ins Africafé und – kolonialistisches Erbe? – sehe in der Auslage als Erstes eine Schwarzwälder Kirschtorte (die ich nicht esse).
[Trivia: Das Kisuaheliwort für Geld, hela, kommt vom deutschen Heller. Ein Angehöriger der High-Society heißt wabenzi, abgeleitet von Mercedes-Benz-Fahrer.]
Im Hotel elende Versuche, mit dem Lost & Found am Flughafen zu telefonieren und etwas über mein Gepäck herauszufinden. Jemand vom Hotel bringt mir netterweise einen Beutel mit Deo, Zahnbürste, Zahnpasta, Shampoo und einem grünen T-Shirt mit der Aufschrift Jambo Tanzania. Da die Klimaanlage nicht funktioniert, oder ich sie zumindest nicht ans Laufen bringen kann, öffne ich das Fenster. Ich bin beeindruckt von den Bananenbäumen, die fast ins Zimmer ragen und merke erst spät, dass sie Heimat recht großer, merkwürdig aussehender Insekten (einer Grillenart?) sind, die ich mit dem Öffnen des Fensters in mein Zimmer einlade. Argh, bestimmt ein totaler Anfängerfehler. Dann also erstmal Insektenjagd.
Obwohl ich am ersten Tag noch fast gar nichts wirklich gemacht habe, bin ich erschöpft. Das bloße Sein wird anstrengend, wenn alles ungewohnt ist. Ich kann gar nicht anders, als in jeder Sekunde alles wahrzunehmen, weil eben alles anders ist. Alleine wenn ich nur von meinem Zimmer zum Restaurant durch den Garten laufe, ist das kein schnödes Laufen von A nach B, weil die unbekannten, erstaunlich starken Düfte der blühenden Pflanzen in der Luft hängen. Im Restaurant schlägt die Köchin ein Ei für ein Omelett auf und das Eidotter sieht ganz hellgelb aus, fast weiß. Alles riecht anders, alles sieht anders aus, bis hin zum Eigelb, ohne Scheiß. Das ist ebenso faszinierend wie erschöpfend.
Für das Meeting werde ich am nächsten Morgen schon wieder gleich von zwei Leuten abgeholt. Die Reisegruppe kommt am Abend an und bis dahin haben wir alles tiptop vorbereitet. Auf dem Weg zum Flughafen nehmen mich meine neuen afrikanischen Kollegen, die sich schnell als sehr sympathisch und nett herausgestellt haben, mit in ein kleines Café, weil wir viel zu früh dran sind. Das Café besteht aus einer bunt angemalten Hütte und ein paar roten Plastikstühlen und -tischen, die draußen in den Sand gestellt wurden. Im Gegensatz zum Africafé in der Innenstadt, in dem nur Touristen gewesen waren, bin ich hier die einzige Weiße. Es gibt traditionelles Essen, ugali (eine Art Polenta) und afrikanischen Eintopf. Als ich zum Bezahlen reingehe, bin ich ehrlich gesagt froh, dass ich die Küche nicht vor dem Essen gesehen habe.
Einer meiner Reisenden wird im Rollstuhl aus dem Flughafengebäude gefahren. Er hat eine Halbseitenlähmung, wie ich später erfahre von einem Absturz in einer Cessna. Einen eigenen Rollstuhl hat er nicht mitgebracht, weil er am Stock langsam selbst laufen kann. In den Lodges sind die einzelnen Hütten aber teils recht weit voneinander entfernt und das Gelände ist uneben und hat Gefälle, sagt mein afrikanischer Kollege. Er ruft gleich unsere Lodges an, die zum Glück alle einen Rollstuhl haben.
Mein Gepäck wurde gefunden und soll in der Nacht mit dem nächsten Flugzeug aus Istanbul ankommen. Nach drei Tagen ist es da, was für eine Erleichterung, gerade rechtzeitig für unsere Abreise aus Arusha in Richtung Ngorongoro-Krater. Wir fahren zum ersten Mal in unserem Konvoi von sechs Land Cruisern: meine Gruppe hat 26 Personen, jeweils sechs passen in ein Auto und der Safari Manager und ich wechseln zwischen den Autos.
Auf dem Weg aus der Stadt heraus sehe ich eine Wellblechhütte, die kaum größer ist als ein Dixie-Klo, ein Loch aus dem Blech geschnitten als Tür, und ein kleineres als Fenster, und in bunten Farben steht mit dem Pinsel draufgemalt: „Hair Cut Saloon.“
Weitere Straßenimpressionen von unterwegs im Bild (unterschiedliche Orte und Transfers):