new york hat nichts mit afrika zu tun [nachricht an mich selbst].

Diese Leute, die mal eben übers Wochenende nach New York fliegen, freitags nach der Arbeit hin und sonntags zurück. Wie viele Stunden ist man dann eigentlich da, erst recht, wenn man die Transfers vom und zum Flughafen abrechnet? Jedenfalls, seitdem ich letzten Herbst in Afrika war, ertrage ich solche Exzesse nur noch so schwer. (Also Achtung: Jammertext.) Ich weiß, es sollte mir egal sein, ob jemand übers Wochenende mal eben nach New York fliegt und wer weiß, vielleicht gibt es auch so eine Art fundamentaler Unzufriedenheit, die nur ein Schnelltrip nach New York ein bisschen heilen kann, was weiß denn ich, ich bin vom Land, ich bin pragmatisch, also für mich persönlich als Grundstimmung einfach zufrieden mit dem, was ist. Ich verstehe das also nicht, das ist wahrscheinlich der Punkt.

Seit Afrika ist es allerdings schlimmer geworden, weil zusätzlich zu diesem grundsätzlichen Nichtverstehen nun noch ständig das Totschlagargument der „Kinder in Afrika“ in meinem Kopf rumwabert. Ich habe zum Beispiel vorher mal angedacht, dass wir vielleicht eine größere Wohnung suchen könnten. Zu Dritt auf 75 qm, das ist nicht so wahnsinnig viel Platz, aber diesen Gedanken habe ich fast unmerklich ad acta gelegt. Wir brauchen nicht mehr Platz und ich brauche überhaupt ganz wenig. Was machen wir hier eigentlich, frage ich mich (banalerweise) nun permanent.

Ich komme ja nicht dazu, meine letzten drei Teile Afrika zu schreiben, daher hier nur in Kürze: In Lake Naivasha verletzte sich eine Frau aus meiner Reisegruppe schwer und wir mussten spät abends mit ihr in die Notaufnahme des lokalen Krankenhauses fahren. So etwas wie dort habe ich noch nie gesehen. Vorhänge voll von Blutflecken, teils frischrot und teils schon ganz altbraun. Kein Fußboden, nur Estrich. Eine kreischende Frau, deren drei Monate altes Baby gerade gestorben war, und es gab niemanden, der mit ihr sprach, denn überhaupt arbeiteten dort nur zwei Frauen für eine wachsende Menge an Notfällen. Transportliegen gab es nicht, die Menschen wurden in Rollstühlen von einem Ort an einen anderen gefahren, und die Rollstühle sahen aus, als ob sie in den Fünfzigern schon hier in Deutschland benutzt wurden. Wenn jemand liegend transportiert werden musste, wurde der Rollstuhl nach hinten gekippt und vorne lief jemand rückwärts mit, der die Beine des Verletzten gerade streckte. Eine sterile Umgebung gab es nirgendwo. Die Utensilien waren in alte Geschirrtücher eingeschlagen. Das ist nicht alles, aber es mag einen Eindruck geben.

Meine Reisende war in der Badewanne hingefallen und hatte sich den Hinterkopf so aufgeschlagen, dass man einen Teil davon einfach aufklappen und hineinsehen konnte. Entsprechend die Blutmenge der Platzwunde. Zum Glück gab es in meiner Reisegruppe auch einen Mann, der Arzt war (Frauenarzt, aber immerhin Arzt). Den holte ich gleich und er fuhr mit uns ins Krankenhaus. Er konnte die Verletzte selbst versorgen, so dass wir nicht auf die beiden Frauen warten mussten, die dort arbeiteten. Auch wenn sie wenig begeistert davon schienen, dass da plötzlich Weiße kamen, die einen eigenen Arzt mitbrachten, aber ihre Utensilien benutzen wollten, waren sie hilfsbereit. Dann stellte sich heraus, dass es im ganzen Krankenhaus keine Rasierklinge gab, die der Arzt brauchte, um die Haare rund um die Wunde abzurasieren. Wir waren den ganzen Tag im Busch gewesen und die Haare waren voller Staub und Bakterien.

Die eine Frau, die im Krankenhaus arbeitete (Ärztin? Schwester? Ich hatte aus der Lodge auch einen Übersetzer mitgenommen, aber in der Hektik der Situation klappte das mit dem Übersetzen zwischen Suaheli und Englisch nicht so gut), die eine Frau also gab unserem Arzt ein Skalpell als Rasierklingenersatz. Geduldig und vorsichtig kratzte er die Haare um die Wunde herum ab, was mit dem kleinen Skalpell eine gefühlte Ewigkeit dauerte. Dann desinfizierte er alles und nähte die Wunde zu (noch mit dem Witz: „As an ob/gyn, at least I’m really good at stitches!“). Zum Glück gab es in dem Krankenhaus tatsächlich ein Röntgengerät. Neben dem Gerät hing eine Dankesplakette für die Stifter des Geräts, vier Namen. Daneben hing ein Kalender von vor drei Jahren. Ich stellte mir vor, dass irgendwann vor drei Jahren jemand hier gewesen war, der oder die diesen Ort etwas verschönern wollte und dazu den Kalender aufhängte, der in der sonstigen Trostlosigkeit, Kaputtheit, Unfertigheit und Armut des Gebäudes allerdings völlig absurd wirkte, und dann einfach dort hängengeblieben war, weil wahrscheinlich niemand hier Zeit hatte, ihn überhaupt zu bemerken.

Als wir gegen ein Uhr nachts in der tiefschwarzen afrikanischen Dunkelheit in die Lodge zurückfuhren – wir hatten so ein komisches Gefährt, das wie ein Golfcart aussah – wären wir dann fast noch verunglückt, denn plötzlich tauchte direkt vor uns im Scheinwerferlicht ein Nilpferd auf, ein Riesenkoloss. Der Fahrer machte eine Vollbremsung, wir wurden alle nach vorne geschleudert und das Nilpferd sprang erstaunlich beweglich und schnell rechts zur Seite und lief ebenso erstaunlich schnell weg. Ich glaube nicht, dass wir es hätten überleben können, wenn wir mit dem Nilpferd kollidiert wären. Nunja, aber das ist schon wieder eine andere Geschichte. Zurück zum Totschlagargument in meinem Kopf. Denn was da in Lake Naivasha los ist, diese Konzentration von Menschen und deren eklatant mangelnde Versorgung, hat ganz direkt etwas mit uns hier zu tun.

In Lake Naivasha gibt es enorme Blumenfarmen, riesige Gewächshäuser, man kann sich das kaum vorstellen, wenn man das nicht gesehen hat. Dort werden für uns die Blumen gezüchtet. Ich habe irgendwo gelesen, dass mehr als 80% der Blumen, die in Deutschland verkauft werden, aus Afrika und Südamerika stammen. Panorama hatte zum Beispiel mal einen Beitrag zu den Farmen am Lake Naivasha. Es ist für den See und die ganze Umwelt dort eine Katastrophe und die Pestizide sind bei ungenügender Schutzkleidung für die Arbeiterinnen und Arbeiter sehr gefährlich. Zudem erhalten sie für die harte Arbeit nur 20-30 Euro im Monat. Es heißt oft: „Die Blumenindustrie in Kenia ernährt mehr als eine halbe Million Menschen.“ Das klingt so schön, aber ich habe zum Beispiel gesehen, wie die Menschen nach der Arbeit kilometerweit am Straßenrand von der Farm zu Fuß zu ihren Hütten zurücklaufen. Mein kenianischer Kollege hat mir das gezeigt, ich habe mich so geschämt. Nicht einmal Transportmöglichkeiten werden ihnen zur Verfügung gestellt. Mal ganz abgesehen von allem anderen.

Das Krankenhaus, das ich für ein paar Stunden erleben durfte, zeigt die Probleme auch sehr deutlich. Der Grund wird hier zusammengefasst: „In den letzten 10 Jahren sind durch die Blumenzucht viele Menschen in die Region eingewandert. Es wurden 700.000 Arbeiter eingestellt, 70% von ihnen sind Frauen. Die meisten haben ihre Familien mitgebracht. Die Gesundheitsversorgung wurde nicht entsprechend den wachsenden Bevölkerungszahlen mitentwickelt. Das Krankenhaus in Naivasha versorgt mehr als 400.000 Menschen, obwohl es für weniger als die Hälfte gebaut wurde.“

Ich musste am folgenden Tag noch einmal in das Krankenhaus fahren, um mit der Radiologin, die nachts keinen Dienst gehabt hatte, das Röntgenbild zu besprechen (zum Glück hatte meine Reisende keine Schädelfraktur). Tagsüber war die Situation im Krankenhaus nicht viel ermutigender als nachts. Was aber kann ich tun, frage ich mich seitdem. Ich bin noch zu keinem Ergebnis gekommen. In der Zwischenzeit hadere ich stattdessen ungewollt mit so Sachen wie „Übers Wochenende nach New York fliegen.“ Das bringt nun ja aber auch niemandem was. [Ohne Pointe. Ohne Lösung.]

büchermärz.

Still war es hier, nachdem ich kurz einen Umweg über die Notaufnahme nahm, zum ersten Mal in meinem Leben eine Vollnarkose und eine OP erlebte und am Ende doch alles wieder gut ist. Jetzt aber kommt der Büchermärz.

Am 13. März werde ich auf der Buchmesse in Leipzig an einem Panel zur Veröffentlichung von Daniela Schreiters Graphic Novel Schattenspringer teilnehmen. Daniela Schreiter ist eine Asperger-Autistin, deren Comic bisher im Internet erschien. Wer auch in Leipzig ist und Lust hat vorbeizukommen: Wir werden auf dem Schwarzen Sofa in Halle 1 ab 13 Uhr ein bisschen über Autismus sprechen.

Am 19. März stellen meine früheren Kolleginnen aus der textetage, Kristina Vaillant und Christina Bylow, ab 19 Uhr im Literaturhaus in der Fasanenstraße in Berlin ihr neues Buch vor: Die verratene Generation. Was wir den Frauen in der Lebensmitte zumuten. Der Eintritt ist frei, um Reservierung wird gebeten.

Am 24. März stellt Katja Petrowskaja ihr Buch Vielleicht Esther im Deutschen Theater Berlin vor, juhu.

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