Masernwelle, MMR-Impfung und Autismus

In Berlin gehen die Masern um. Seit Ausbruch der Infektionswelle sind bisher 547 Fälle registriert und ein anderthalbjähriger Junge starb an den Folgen einer Masernerkrankung. Warum bricht eine Krankheit wieder aus, gegen die es einen wirkungsvollen Impfstoff gibt? Die einfache Antwort auf diese Frage ist in aller Munde: weil Eltern aus Angst vor Impfschäden ihre Kinder nicht mehr impfen lassen. Schnell wurden darum auch Forderungen nach einer Impfpflicht laut. Doch besser als eine von außen auferlegte Pflicht wäre wohl die Einsicht der Eltern. Dazu ist es aber nötig zu verstehen, wie es überhaupt so weit gekommen ist.

Wie die Angst vor der MMR-Impfung entstand

Im Jahr 1998 veröffentlichte der britische ehemalige Arzt Andrew Wakefield in der angesehenen Fachzeitschrift The Lancet eine Studie, die einen Zusammenhang zwischen Autismus und der MMR-Impfung nahe legte. Die ersten Symptome von Autismus fallen oft im Alter von etwa 15 Lebensmonaten auf, also zur gleichen Zeit, in der üblicherweise auch die MMR-Impfung durchgeführt wird. Handelt es sich hier um eine zufällige Gleichzeitigkeit oder hat das eine etwas mit dem anderen zu tun? Wakefield und seine Kollegen untersuchten elf autistische Jungen und ein autistisches Mädchen im Alter von drei bis zehn Jahren. Sie führten verschiedene Untersuchungen durch: MRT, EEG, Endoskopie, Lumbalpunktion. Alle zwölf Kinder hatten Magen-Darm-Erkrankungen. Wakefield konnte in seiner Studie zwar keine ursächliche Verbindung zwischen der Impfung und dem Autismus nachweisen, warnte aber davor, dass das Vorkommen von Autismus ansteigen könne, falls es eine solche Verbindung gebe. Schon von Beginn an bewegte man sich im spekulativen Bereich, aber der Verdacht eines Zusammenhangs war gesät und die Angst griff unter Eltern um sich. In Großbritannien sank die MMR-Impfrate von 92% auf 80%.

In Folgestudien konnten die Ergebnisse der ersten Studie nie wiederholt werden, so dass schließlich zehn der 13 Co-Autoren ihre ursprünglichen Schlüsse zurückzogen. Auch wurde bekannt, dass tatsächlich nur eines der zwölf Kinder erst nach der Impfung autistische Verhaltensweisen entwickelt hatte. In allen anderen Fällen waren in den Akten der Kinder schon vor der Impfung Entwicklungsauffälligkeiten notiert worden. Dazu kam, dass Wakefield vor dem Start der Studie ein Patent für einen alternativen Impfstoff beantragt hatte. Und von einem Anwalt, der in einem Impfschaden-Verfahren tätig war, hatte Wakefield sechsstellige Geldsummen für die Untersuchung einer Verbindung zwischen Autismus und der MMR-Impfung erhalten.

All dies führte dazu, dass die britische Ärztekammer 2007 den Fall Wakefield genauer untersuchte. Es stellte sich heraus, dass Wakefield gegenüber den Eltern der Kinder eine medizinische Notwendigkeit für die invasiven neurologischen und gastro-intestinalen Untersuchungen behauptet hatte, sich diese Begründung einer medizinischen Notwendigkeit auf den Überweisungen zu den Fachärzten aber nicht fand. Die Kontrollgruppe für die Studie hatte Wakefield mit Kindern etabliert, die eine Geburtstagsfeier seines Sohnes besuchten. Ohne Einverständnis der Eltern hatte er die Kinder um Blutproben gebeten. Die Kinder erhielten dafür 5 britische Pfund. Als Wakefield im Nachhinein darauf angesprochen wurde, zeigte er kein Bewusstsein für ein Fehlverhalten.

Am 28. Januar 2010 entschied die britische Ärztekammer, dass Andrew Wakefield im Versuch des Nachweises einer Verbindung zwischen Autismus und MMR-Impfung in seinen Studien „kaltschnäuzig, unethisch und unverantwortlich“ gehandelt habe, woraufhin die Fachzeitschrift The Lancet die Veröffentlichung seiner 1998er-Studie am 2. Februar 2010 offiziell zurückzog. Im Mai 2010 wurde Wakefield von der britischen Ärztekammer die Lizenz zum Praktizieren in Großbritannien entzogen. Seine Anstellung beim Royal Free Hospital in Großbritannien hatte er allerdings schon im Dezember 2001 aufgegeben und war seither an Privatkliniken in Florida und Texas tätig. Wakefield propagiert noch heute den Zusammenhang von Autismus und MMR-Impfung, er spricht auf Konferenzen (seit seiner Diskreditierung in Fachkreisen allerdings nun auf einschlägigen Elternkonferenzen) und er gibt noch immer entsprechende Interviews. Das letzte Video datiert bei Youtube vom 13. Februar 2015.

Aber warum verbreitet sich der spekulative Zusammenhang so erfolgreich?

Wir mussten in den letzten 17 Jahren erleben, dass es der Angst vor der MMR-Impfung keinen Abbruch tut, wenn unethische Verhaltensweisen aufgedeckt werden, wenn die Ergebnisse als Fälschungen entlarvt werden, weil elf der zwölf Kinder schon vor der Impfung Entwicklungsauffälligkeiten zeigten, und wenn noch so viele Studien seither zum Ergebnis kommen, dass zwischen Autismus und MMR-Impfung kein Zusammenhang besteht. Warum aber ist der Glaube an den Zusammenhang so hartnäckig?

Der britische Arzt Dr. Michael Fitzpatrick, selbst Vater eines autistischen Sohnes, hat sich in seinen wissenschaftlichen Büchern zum Autismus ausführlich mit Ursachenmythen befasst. Denn die MMR-Impfung ist vielleicht die erfolgreichste Angstmaschine, aber bei weitem nicht die einzige. Jede Woche gibt es neue Vermutungen zur Ursache von Autismus: Fernsehkonsum, Alter der Eltern, Hefepilzbefall des Darms, Vitamin A- oder Sekretin-Mangel, Gluten-Unverträglichkeit, Virusinfektionen, Aspartam-Schäden. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Und diese Ursachentheorien stehen in direktem Zusammenhang mit alternativen Behandlungsmethoden.

Impfskeptiker, die hochgetestete Impfverfahren ablehnen, lassen ihren Kindern andererseits zum Beispiel Sekretin spritzen, einen rohen Extrakt aus der Bauchspeicheldrüse des Schweins, der nur zum Test von Drüsenfunktionen entwickelt und für keinen anderen therapeutischen Gebrauch jemals getestet wurde. Diese experimentelle Behandlung soll dem angeblichen Sekretin-Mangel bei Autisten entgegenwirken. Auf die Skepsis gegenüber der Wissenschaft folgt also paradoxerweise nicht selten ein erstaunlicher Leichtglaube gegenüber pseudowissenschaftlichen Interventionen.

Labortests verleihen den alternativen Methoden dabei so etwas wie eine wissenschaftliche Aura. Behandlungen rekurrieren unter anderem auf medizinische Sackgassen aus der frühen biologischen Psychiatrie der 60er und 70er Jahre. Abendländische Mythen wie der Glaube des 19. Jahrhunderts, dass wir von unseren Exkrementen vergiftet werden (Vorstellungen, die wiederum letztlich bis zum christlichen Sündenfall zurückführen), tauchen wieder auf. Die diffusen Gefühle werden im 21. Jahrhundert noch durch die Idee verstärkt, dass nicht nur der eigene Körper, sondern auch die Umwelt uns vergiftet. Chemtrails spielen in der Autismushysterie natürlich auch eine Rolle.

Es lässt sich ziemlich genau verfolgen, wo und wie die Rationalität verliert und im Gegenzug die Verschwörungstheorie gewinnt. Geboren ist dies aus akutem Leid, denn die Ursachenforschung in Bezug auf den Autismus befindet sich noch im Stadium der Grundlagenforschung. Ein Stadium, das für Betroffene oder ihre Angehörigen frustrierend und auch schwer auszuhalten sein kann. Die Pseudowissenschaft verspricht ersehnte Antworten, wo die Wissenschaft (noch) keine hat. Mit anderen Worten: Das Erfolgsgeheimnis der Pseudowissenschaft ist ihre Verwurzelung in den Gefühlen der Hilflosigkeit und der Unsicherheit. Dort hat sie sich eingenistet und von dort entfaltet sie ihre Wirkung.

Die Irrationalität gewinnt Oberhand

Dass Eltern von schwerbehinderten und/oder chronisch schwerkranken Kindern leicht in einen solchen Strudel geraten können, ist schon länger bekannt und vielleicht auch vergleichsweise verständlich. Eher neu ist, dass auch Eltern von gesunden, nicht-behinderten Kindern gegenüber diesen Mechanismen immer anfälliger zu werden scheinen. Fühlen sie sogar in Abwesenheit eines größeren gesundheitlichen Problems – quasi präventiv – schon diese Form von Hilflosigkeit und Unsicherheit?

Das Thema Impfen zeugt in jedem Fall von einem erheblichen Vertrauensverlust in die Institutionen. Man ist misstrauisch gegenüber dem, was die Ständige Impfkommission oder die Kinder- und Jugendärzte sagen. Man übt nach privater Eigenabschätzung Kontrolle und scheinbare Sicherheit durch Prävention aus, indem man das Kind nicht impfen lässt. In diesem Fall nimmt das Wort Prävention natürlich ironische Züge an, denn die Impfung war ja die ursprüngliche Prävention. Aber im Zuge der beschriebenen Entwicklungen schlägt bei manchen Eltern eben Stein bald Schere: Das Bedürfnis der irrational-spekulativen Prävention je nach Intuition wird stärker als das der rational-wissenschaftlichen je nach Stiko.

Als Mutter eines autistischen Kindes fühle ich mich miserabel, wenn ich von der neuen Masernwelle lese. Für Eltern wie mich wurden die zugrunde liegenden Spekulationen verbreitet. Für Eltern wie mich gibt es die Maschinerie der Pseudowissenschaft, mit der Unsummen verdient werden, von Anwälten in Gerichtsverfahren bis hin zu alternativen Therapeuten, auch wenn ich persönlich dazu „Nein danke“ sage. Im Verlauf der letzten 17 Jahre wurden starke und offensichtlich kaum zu bändigende Theorien befördert, die der nächsten Generation von Eltern nun solche Angst machen, dass sie ihre Kinder nicht mehr impfen lassen.

Eltern sollten sich bewusst werden: Die Geschichte des neuen Masernausbruchs ist in Wahrheit eine Geschichte des Autismus, und diese Geschichte ist wiederum eine Geschichte der Sorte Irrationalität, die aus Leid und Verzweiflung erwachsen kann. Wir Eltern von behinderten Kindern brauchen das nicht und die Eltern von nicht-behinderten Kindern brauchen das schon gar nicht.

Verweise:

Alex Hannaford: Andrew Wakefield, autism inc. The Guardian, 6. April 2013

General Medical Council. Fitness to Practise Panel, Hearing 28 January 2010

Michael Fitzpatrick: MMR And Autism: What Parents Need To Know. London and New York:  Routledge 2004

Michael Fitzpatrick: Defeating Autism: A Damaging Delusion. London and New York: Routledge 2009

überfordert statt überglücklich? schreiben Sie uns.

Was mich an dem Artikel auf ZEIT ONLINE stört:

1. Die Überschrift: „Überfordert statt überglücklich? Schreiben Sie uns“

In einem Qualitätsmedium hätte ich es gerne eine Nummer kleiner. Unser Leben mit einem schwerstbehinderten Kind ist keine emotionale Achterbahnfahrt. Würde man bei einer Familie mit einem nicht-behinderten Kind auch die Wahl geben zwischen überfordert und überglücklich?

2. Der Teaser: „Viele Eltern behinderter Kinder haben uns berichtet: Von Freude, erfolgreicher Inklusion, Liebe und Chancen. Doch ist das die Realität für alle Familien? Melden Sie sich!“

Die implizite Unterstellung hinter der Frage lautet: Das kann doch nicht die Realität für alle Familien sein. Meine Gegenfrage zunächst: Warum ist es so schwer, die Formulierungen von Freude, erfolgreicher Inklusion und Liebe zu würdigen und anzuerkennen? Warum triggern sie sofort dieses „Kann doch nicht sein“? Das ist leider ganz typisch, das begegnet mir nun seit vierzehn Jahren. Es gibt in der Gesellschaft eine anscheinend recht tief verwurzelte innere Abwehr gegen diese positiven Sichtweisen. Ich habe selbst noch nicht herausgefunden, worin das genau begründet liegt, aber eine positive Einstellung wird teilweise geradezu als Angriff empfunden. Das ist wirklich erstaunlich. (Mich beeindruckt das jedenfalls immer wieder. Ist es wirklich so schwer, sich vorzustellen, dass man mit einem schwerstbehinderten Kind glücklich sein kann?) Anstatt jetzt wieder nachzuhaken, dass das doch nicht sein kann, fände ich es viel interessanter, endlich mal an diesem Punkt anzuhalten und das sacken zu lassen: Offensichtlich wird das Leben von einigen/vielen betroffenen Familien nicht als Tragödie empfunden. Punkt. Als Betroffene bzw. Angehörige ist es ein bisschen meine Aufgabe, dies gut zu erklären zu versuchen. Die Aufgabe der Außenstehenden ist es aber, sich Mühe zu geben, es zu verstehen.

Und was heißt überhaupt „Realität für alle Familien“? Wieso sollte es denn eine Realität für alle Familien mit einem behinderten Kind geben? Wir sind genauso individuell unterschiedlich wie Familien mit nicht-behinderten Kindern.

3. „Gleichzeitig wissen wir aus den Recherchen: So einfach ist es nicht immer. Nicht für jeden. Es gibt, auch in Deutschland, Kinder mit Down-Syndrom, die in Heimen aufwachsen.“

Das klingt so alarmierend. Tatsächlich gibt es in Deutschland leider viele Kinder, darunter aber auch sehr viele nicht-behinderte, die in Heimen oder Internaten aufwachsen, weil die Eltern mit ihnen nicht klarkommen oder keine Zeit für sie haben. Das muss nicht immer und nicht primär etwas mit einer Behinderung zu tun haben. Und ganz abgesehen davon heißt „Heim“ nicht automatisch etwas Schlechtes. Es kann zum Beispiel auch sein, dass eine für die spezielle Disposition des Kindes herausragende Schule zu weit weg ist, um jeden Tag zu fahren. Es gibt viele Szenarien, auch durchaus sinnvolle. Weniger Dramatik würde gut tun.

4. „Nicht in jeder Familie wird mit Behinderung offen umgegangen. Manche Eltern haben aus sozialen Gründen keinen Zugang zu Inklusion, sind nicht in der Lage, Förderungsangebote sinnvoll zu nutzen.“

Ich bin seit vielen Jahren in Kontakt mit Eltern- und Selbsthilfegruppen und kenne fast ausschließlich Eltern, die offen mit der Behinderung ihres Kindes umgehen. Es gibt vereinzelt noch Familien, die sich mit der Offenheit schwer tun, aber ich bezweifle, dass sie nun ausgerechnet auf diesen ZEIT-Aufruf hin ihre Einstellung ändern und sich dann dort gleich in der ganz großen Öffentlichkeit zu Wort melden. Auch ZEIT ONLINE selbst wird wissen, dass das höchst unwahrscheinlich ist. Und die Eltern, die aus sozialen Gründen keinen Zugang zur Inklusion haben bzw. nicht in der Lage sind, Förderangebote sinnvoll zu nutzen, haben möglicherweise auch nicht unbedingt die ZEIT abonniert. Diese Passage ist l’art pour l’art. Fondor für den Text. Ich empfinde sie als respektlos, denn wenn man am Schicksal genau dieser Familien wirklich interessiert wäre, würde man die Familien über Betroffenen- und Selbsthilfeverbände zunächst nicht-öffentlich zu kontaktieren versuchen.

5. „An der seelischen Last, die durch die Sorge um ein nicht gesundes Kind entsteht, zerbricht so manche Partnerschaft.“

Soll hier impliziert werden, dass es bei Familien mit einem behinderten Kind mehr Trennungen gibt als bei Familien mit nicht-behinderten Kindern? Es gibt meines Wissens eine ganz alte Studie, die zu dem Ergebnis kam, und die seither bereits mehrfach widerlegt wurde. Zuletzt las ich sogar, dass Beziehungen zwischen Eltern eines behinderten Kindes oft widerstandsfähiger seien, weil die gemeinsame intensive Erfahrung zu einer tiefen Verbundenheit führen kann. Ja, sicher kann eine Partnerschaft zerbrechen, aber auch das muss nicht primär etwas mit der Behinderung des Kindes zu tun haben.

6. „Mehrere Mitarbeiter von Hilfseinrichtungen haben in Gesprächen mit ZEIT ONLINE betont: Die meisten Mütter, die zu ihnen kämen, seien alleinerziehend. Spätestens drei Jahre nach der Geburt des behinderten Kindes.“

Man hat also mit Mitarbeitern von Hilfseinrichtungen gesprochen. Warum nicht mit betroffenen Familien selbst? Dass zu Mitarbeitern von Hilfseinrichtungen mehr alleinerziehende Frauen kommen, ist zudem doch noch kein Hinweis darauf, dass es bei behinderten Kindern wirklich mehr alleinerziehende Mütter gibt. Ein klassischer Fehlschluss Cum hoc ergo propter hoc. Weil sie alleinerziehend sind, brauchen die Mütter vielleicht mehr Hilfe von außen: das kann ich mir schon vorstellen, es lässt aber keinen Umkehrschluss zu. Und dass die Mitarbeiter es „betonen“ und nicht einfach nur sagen, macht den eh schon würzigen Text vielleicht noch eindringlicher, aber nicht besser.

7. „In den Reaktionen auf unser Dossier klingen Probleme aber nur leise an. In den Erzählungen fehlen häufig die Väter, vom Job der Mutter ist wenig zu lesen.“

Wenn in den Reaktionen auf das Dossier die Väter fehlen oder vom Job der Mutter wenig zu lesen ist, dann zeigt das nur, wie subjektiv und selektiv Leserreaktionen sind. Möchte man diese Perspektiven porträtieren, könnte man – auch hier wieder der Hinweis – zum Beispiel Betroffenen- und Selbsthilfeverbände kontaktieren. Meiner Erfahrung nach sind die Väter in Familien mit einem behinderten Kind überwiegend gleichwertig engagiert, und ich kenne auch viele berufstätige Mütter mit einem behinderten Kind. Alles nicht schwer zu finden.

8. „Meist sind es die Frauen, die uns schreiben, die ihr Leben komplett auf das behinderte Kind ein- und umgestellt haben. Aber hätte sich manche davon ihr Leben mit Kind vielleicht doch anders vorgestellt?“

Hier kommt wieder dieser leicht herablassende und trotzige Unterton heraus, dass man sich das doch anders vorgestellt haben muss. Dabei: meines Wissens hat sogar niemand behauptet, dass er oder sie sich das Leben mit Kind nicht anders vorgestellt hätte. Ich habe das zumindest noch nie so gelesen: „Ich habe zwar ein behindertes Kind, aber das Leben mit Kind ist genauso, wie ich es mir vorher vorgestellt habe.“ Die meisten Mütter werden doch eher sagen, dass sie sich das Leben mit Kind natürlich anders vorgestellt hatten. Aber, so what? Geht das nicht irgendwie sowieso allen Eltern so? Hätte sich manche Mutter eines nicht-behinderten Kindes ihr Leben mit Kind nicht vielleicht auch anders vorgestellt? Ist es nicht geradezu ein fundamentaler Bestandteil der Erfahrung des Elternseins, dass wir uns das vorher gar nicht richtig vorstellen können und dann in die neue Situation hineinwachsen? Wie jede andere Mutter sind wir Mütter von behinderten Kindern auch keine Plattenspielernadel, die in dieser Rille hängen bleibt.

Das ist das grundlegende Problem mit dem Text: Hier werden fortwährend die falschen Fragen gestellt.

Diese Fragen könnte man allen Familien stellen. Sie dringen nicht zum Kern dessen vor, was vielleicht einen Unterschied ausmachen könnte.

9. „Gibt es Väter da draußen, die ihre Familie nach der Geburt eines nicht gesunden Kindes verlassen haben?“

Gibt es die? Wenn ja, dann melden sie sich auf diesen Aufruf hin bestimmt gerne.

Ach, das ist wirklich traurig, leider.

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