tddl 2009 [der erste morgen.]

Beginn mit Lorenz Langenegger, von dem ich mir ja eine andere Art Text erhofft hatte als im Roman „Hier im Regen.“ Er liest „Der Mann mit der Uhr“, einen Text, der aber leider die gleichen Probleme aufweist wie „Hier im Regen.“ Muss ich also eigentlich nicht viel dazu schreiben, habe ich hier vor ein paar Tagen schon formuliert. (Bemerkenswerter Satz: „Er raffelte einen Apfel.“ Sagt man das in der Schweiz?)

Die Jury ist erstaunlich verhalten, aber da es so viele neue Mitglieder gibt, muss die Jury sich erst beschnuppern. Neue Mitglieder: Meike Feßmann und Karin Fleischanderl zurückhaltend, Paul Jandl wünscht sich mehr städtische Wirklichkeit und weniger Abdriften ins Putzige, sehr gut. Keller: Beschaulichkeit zwischen Kontemplation und Stagnation, meint das positiv als österreichisches Lokalkolorit.

Danach Philipp Weiss mit einem Text, der mich auch überhaupt nicht überzeugt: „Blätterliebe.“ Der Protagonist ist ein empfindlicher Schriftsteller, der an seiner Arbeit leidet, und deshalb in die Notaufnahme rennt, was könnte schlimmer sein. Inhaltlich völlig uninteressant, aber formal? Viel indirekte Rede. Wiederholungen als Stilmittel, aber nervtötend. Zum Beispiel spricht der Arzt ständig „mit hoher Stimme.“ Nach dem vierten Mal frage ich mich, was das wohl für eine besonders hohe Stimme sein muss, und was mit diesem Arzt los ist. „Spieglein, Spieglein, sagte der Arzt mit hoher Stimme, kicherte und beugte sich zu mir hinunter. Wir müssten nun eine klitzekleine Spiegelung vornehmen, wir müssten mir in aller Kürze ins Innerste blicken, sagte der Arzt und wedelte mit einem Schlauch vor meinem Gesicht.“ Klitzekleine Spiegelung? Wedelt mit dem Schlauch? Weiteres Stilmittel: Gegensätze/ Paarungen. Links-rechts, lieben-hassen, Zwillingsschwestern, schreien-lachen usw. Derweil „nimmt sich der Arzt die Brille von der Nasenspitze.“ Sind wir hier bei der Feuerzangenbowle?

Die Jury ist nun etwas schwungvoller. Ijoma Mangold mit einer hervorragenden Kritik: die durchaus vorhandene Fingerfertigkeit des Autors (z.B. humoristisches Moment) nervt, weil man den Mechanismus (Konjunktiv, indirekte Rede, Wiederholungen) sehr schnell begreift, man fühle sich schnell benutzt. Hildegard Keller scheint es, als habe der Text etwas Metaliterarisches, sei vielleicht ein hinterhältiges Märchen auf den Bachmannpreis.

Statt eines Kommentars dupliziert der Autor in der Wirklichkeit seinen Text, in dem sich am Ende das Papier des Protagonisten im Beutel seines Mageninhaltes fand, und so isst der Autor denn auch seinen Text. Keller hatte vielleicht nicht Unrecht mit dem hinterhältigen Märchen auf den Bachmannpreis, aber dennoch gefällt mir das nicht. Der Autor ist 27, Langenegger 29. Was ist mit dieser Generation, wollen die alle die These der Akzeleration widerlegen?

Karsten Krampitz liest einen Auszug aus der Novelle „Heimgehen.“ Mir gefällt sein Text, DDR-Geschichte, endlich mal was Handfestes, endlich mal Dialoge statt indirekter Rede, endlich mal ernstzunehmende Handlung. Dazu noch Dialekt und alles hervorragend vorgetragen. Ein Lichtblick.

Die Jury ist skeptisch. Sulzer ist nicht überzeugt, Meike Feßmann auch nicht, Jandl kann nicht das Politische erkennen, das ihn interessiert hätte – ein guter Einwand. Fleischanderl empfindet eine deutsche Biederkeit, mit der der Autor hundertprozentig identifiziert sei. Sie hat den Text nicht verstanden. Während Paul Jandl, Meike Feßmann und Hildegard Keller (die allerdings kaum noch Deutsch sprechen kann) gute neue Juroren zu sein scheinen, bin ich bei Karin Fleischanderl sehr skeptisch (sie hatte ja auch Philipp Weiss eingeladen). Alain Claude Sulzer hat den Text nicht nur nicht richtig gelesen (Stasi-Spitzel-Frage hat er verpasst), er hat sich sogar so wenig damit befasst, dass er nicht weiß, dass der Text auf einer wirklichen Person beruht. Wundere mich immer wieder, wie unvorbeiretet unbedarft die Leute (gestern Stadler, heute Sulzer) in den Bewerb gehen. (Satz: „Mein Erzähler war kein Spitzel.“ / Krampitz empört)

Außerdem: ich hätte nicht gedacht, dass ich das mal sage, aber ich vermisse nach Moor und Stadler wirklich Ernst A. Grandits. Der war zwar immer ein bisschen schusselig, besonders bei der finalen Abstimmung, aber er hatte so eine angenehme Zurückhaltung, die dieser Moderatorenaufgabe sehr zu Gesicht steht. Mit Clarissa Stadler hat man nun eine Moderatorin, die zu allem eine Meinung hat, inhaltlich viel zu sehr eingreift, da ist sie keine Moderatorin mehr, sondern gebärdet sich als zusätzliches Jurymitglied, besinnt sich dann hier und da auf ihre Aufgabe, korrigiert sich sogar („Wir haben diskutiert … äh … Sie haben diskutiert“). Sie hat Burkhard Spinnen den Juryvorsitz quasi aus der Hand gerissen. Mal sehen, ob das morgen noch genauso ist, oder ob sie ein paar dezente Hinweise erhält.

1 thought on “tddl 2009 [der erste morgen.]

  1. Antworten
    wawerzinek - 26. Juni 2009

    Peter Wawerzinek, Bachmannpreisteilnehmer früherer Jahre, hat für kurze Zeit Hoffnung geschöpft und sich sofort wieder beruhigt, dennoch meint er:

    Das Wunder Krampitz ist möglich

    Karsten Krampitz zum Bachmannpreis einzuladen ist für sich genommen eine mutige, hoffnungsvolle Tat gewesen, ein Zeichen allen, die auf das Wunder innerhalb der Literatur warten. Vom schreibenden Tellerwäscher in die weltweite Millionenauflage. In diesem Sinne ist die Jurorin Hildegard Elisabeth Keller als Vorreiterin zu loben. Man darf sie auch eine weibliche Robin Hood unter den sieben Kritikern titeln. Die Voraussetzungen für einen derartigen Geniestreich sind in Klagenfurt durchaus gegeben, wenn auch zu fürchten ist, dass sie nicht genutzt werden. Heutzutage haben sich nicht mehr so viele Autoren dichtgedrängt dem Urteil von Jury und Publikum zu stellen. Die strikte Vorauswahl nach dem Prinzip: Vorgestellt wird nur noch, was in den Töpfen der Verlagen köchelt, schließt die Einladung von Talenten und angehenden Dichtern aus dem Nix hervor aus. Von der Straße als Mädchen und Junge aus dem Volke ist da nichts möglich. Karsten Krampitz erhält ja auch nur seine Chance, weil es für ihn einen kleinen Verlag gibt, der sich selbstbewusst in die Reihe der großen Etablierten einzureihen weiß, mitzureden wünscht und behaupten wird. Nur eben normalerweise ist das Krampitzwunder ohne den Verlag als schützendes Dach über den Autoren schon im Vorfeld ausgeschlossen. Schwer vorstellbar, nahezu kühn der Wunschgedanke, das Talent Krampitz würde stellvertreten für so viele nichtrelevante Schreiber seines Schlages in Klagenfurt entdeckt und als Sieger auf die heilige Auslegware gebeten. Krampitz könnte sich somit entfalten, die in ihn gesetzten Erwartungen beweisen. Früher wäre das möglich gewesen. Das heutige bittere Fazit lautet: Es wird kein Krampitzwunder geben. Was war ist vorbei und soll auch gar nicht wieder Brauch werden. Das Vergangene kommt nie wieder. Büchermachen ist wie Ölgeschäft geworden. Es geht um Profit und Auflagenhöhe, ehe es um Qualität und Originalität gehen kann. Vorbei die Zeiten und unvorstellbar weit entrückt, als sich die Texter noch von sich aus bewerben konnten. Die Chance von einen am Bachmannpreis irgendwie Beteiligten und Juroren als Kandidat vorschlagen zu werden, war früher gegeben, vor allem für wirklich völlig unbekannte Leute. Das ist nicht mehr möglich. Man hat behauptet, es würden zu viele Hausfrauentexte und Manuskripte von Hausmannskostgängern zugeschickt. Der Wust sei nicht zu bewältigen. Eine bewusst ins Feld gerückte Lüge, denn jeder halbwegs intakte Kritiker kann nach ungefähr einer Seite Text, die Qualität ermessen. Die Schreiber bemühen sich von Anfang an gut zu sein oder liegen von Beginn an daneben. Fakt ist: Der Schreiberling aus der Masse wird auch gar nicht mehr gewünscht. Einfach zu viel Risiko bei der Ausschlachtung seiner Talente. Zu viel Arbeit an ihm. Zu groß die Gefahr, dass der unbekannte Schreiber als Preisträger ins Rampenlicht gestellt, dann einem kleinen Verlag die Treue schwört und die großen Verlage gar nicht auf ihn zugreifen können. Zu schnell kann ihnen sozusagen durch den unsicheren Kandidaten das gute Geschäft entwischen. Und das muss binnen eines halben Jahres unter Fach sein, sonst lohnt die Mühe nicht.
    Wie ist das Krampitzwunder aber doch noch zu schaffen? Ich sage mal so: Bei vierzehn Autoren und fünf Preisen, lautet die Rechnung, jeder dritte ist eingefangen und vor die Wahl gestellt, Erdbeere zu sein, nicht saure Kirsche. Krampitz Muss nur die schönste Erdbeere von allen Bewerbern werden und sich sofort an einen Superkonzern verkaufen. Dann werden wir von ihm hören und seinen Namen wie den von Christa Wolf und Günter Grass im Munde führen. Keiner der fünf Preisträger sein, heißt auf der ganzen Linie zu verlieren. Früher, ja früher war es sogar angeraten und gut, kein Preisträger zu sein wie Durs Grünbein zum Beispiel, um dann unbeobachtet, beobachtet in Ruhe seinen Weg nach Oben gehen zu können. Heute werden Preisträger zu flink und brutal versuchsweise als Kaninchen nach oben geschossen und fallengelassen, wenn die Verkaufsvorstellungen nicht die erwarteten Erträge einspielen. Siehe Thomas Lang, längst geerdeter Preisträger von 2005. Damals konnten sich die Juroren im ersten Abstimmungsdurchgang nicht einigen. Es kam zwischen dem von Burkhart Spinnen eingeladenen Autor Thomas Lang und der von Iris Radisch nominierten Julia Schoch zu einer Stichwahl um den Bachmannpreis. Der Preis ging schließlich mit einer Mehrheit von fünf Stimmen an den Autor des Textes: Am Seil. Thomas Lang stand die Spannung während die Jury ihre Begründungen abgab ins Gesicht geschrieben und mehr als die Begründung von Burkhard Spinnen für Lang ist 2009 nicht zu vermelden: Ars moriendi, drückte Spinnen aus. Die Kunst zu sterben oder Gebrauchsanweisung für einen Abgang zu Lebzeiten zu sein verdient den Ingeborg Bachmann Preis.
    Karsten Krampitz ist mit „Heimgehen“ an den Start gegangen. Sein Novellenauszug brachte die Frage nach dem, was da ist, dem was noch kommen könnte aufs Tapet. Sein Text habe so brennend interessiert, man spricht von Rollenprosa, die eine Weile fesselt, Märtyrer- und Spitzelgeschichte. Man wisse nicht, wohin sich die Geschichte entwickeln könne, kann keinen politischen Menschen entdecken, nennt den Stoff durch und durch deutsch und bieder und findet schließlich, dass er nur so schlecht abschneidet, weil der Vortrag so toll war. Die Figur ist für Spinnen so wenig „verortbar“ wie ihm Krampitz als schreibender Typ nicht schmecken kann. Spinnen kennt sich in unteren Schreibfederwelten längst nicht mehr aus und setzt auf die starken, vorwärtsdrängenden Faktoren innerhalb des Literaturbetriebes: Ich fühle mich so, als hätte ich jedes meiner Beine in einem kleinen Kanu und schön langsam gehe ich in den Spagat über, so Spinnen. Das Erlebnis Krampitz als Phänomen wird ausgespart und vom Publikum auch nur moniert, weil Krampitz unglücklicherweise Monate zuvor nichts weiter gewollt hat als Publikumsliebling zu werden. Keine gute Wahl für einen der alles, den Pott will. Das Publikum wird immer nur empört raunen und auf dem ORF-Gelände wild durcheinander reden, dem Ganzen die positive Wende geben, Schubkraft verleihen, die es braucht, um das Krampitzwunder in den literarischen Kosmos zu schießen, bringt kein noch so gut gelauntes Publikum auf. Die Kraft hätte Krampitz selber im Tank haben müssen. Einzig durch einen Text, extra für den Vortrag in Klagenfurt geschrieben, unabhängig von seinem Mutter-Verlag. Aber das eben sieht die Maßgabe nicht vor. Es wird das Krampitzwunder für keinen Kandidaten geben, weil der ungebundene, spontane Text zum Wunder (bis vier, fünf Jahre nach der Wende noch möglich), durchs strenge Reglement strikt untersagt ist.

    Peter Wawerzinek, 26. Juni 2009

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Scroll to top