tddl 2010 [die autoren].

Es ist wieder soweit. Bevor auch noch der Bachmannpreis von Stefan Raab und Lena Meyer-Landrut aufgemischt wird, wurden schnell die Autoren für dieses Jahr benannt.

Zunächst einmal muss man die Jury für ihre taktische Leistung beglückwünschen, die Basiskoordinaten Alter, Geschlecht, Nationalität und Herkunft so gerecht wie wohl nur irgend möglich in ihrer Auswahl zu repräsentieren.

Alter:
3 in den Zwanzigern
7 in den Dreißigern
2 in den Vierzigern
2 in den Fünfzigern

Geschlecht:
9 Männer
5 Frauen

Nationalität:
3 Österreich
2 Schweiz
9 Deutschland

Herkunft der deutschen Autoren:
5 aus dem Westen
4 aus dem Osten

Bei den weicheren Verteilungskategorien ergeben sich wie immer nicht zu umgehende Ungleichgewichtungen, so eine Überrepräsentation von Berlin bei den aktuellen Wohnorten:
5 Berlin
2 Wien
1 Rostock
1 Zürich
1 Münster
1 Cottbus
1 Düsseldorf
1 Dublin
1 München

5 der diesjährigen Autorinnen und Autoren waren am Literaturinstitut Leipzig, 1 am Schweizerischen Literaturinstitut. Während im Vorjahr noch 6 Journalisten dabei waren, sind es dieses Jahr nur 4, von denen 3 den Journalismus zudem mehr oder weniger nebenher zu machen scheinen (Janesch, Scholz und Wawerzinek). Der Journalismus ist bei der Auswahl dieses Jahr also deutlich abgestiegen, während das Literaturinstitut wieder an Bedeutung gewinnt.

7 Autorinnen und Autoren scheinen – nach den Informationen auf der Bachmmanpreis-Website zu urteilen – als freie Künstler überleben zu können (Altwasser, Janesch, Kloeble, Mezger, Rossbacher, Wawerzinek, Zander), diese Rate ist wesentlich höher als letztes Jahr, als dies nur 3 waren.

Die anderen Berufe dieses Jahr:  1 Kulturwissenschaftler der Uni Wien (Ballhausen), 1 Studentin (Elminger), 1 Schauspieler und Regisseur (Fries), 1 Deutschlektor (Kleindienst), 1 Journalist (Scharnigg), 1 Sozialpädagogin (Schmidt), 1 Astronom (Scholz).

Außerdem ist eine Entwicklung in szenisch-dramatische Richtung zu beobachten, 5 Autorinnen und Autoren haben dieses Jahr eine Affinität zu Theater, Film und Schauspielerei (Fries, Kleindienst, Kloeble, Mezger, Rossbacher).

Der Trend geht also weg vom Journalistischen (Ausnahme: Scharnigg), hin zum formal-ästhetisch geprägten Hauptberuf. Ich hoffe, dass dies nicht den Anteil unlesbarer Texte erhöht. Was mir außerdem ein bisschen Sorgen bereitet, ist die Quote von Preisen und Stipendien: 13 von 14 Autorinnen und Autoren haben diverse Förderpreise und Stipendien erhalten (Ausnahme: Scholz).

Bei Volker Altwasser heißt es, er habe unter anderem in Langenthal, München, Visby und Schöppingen Stipendien erhalten. Sabrina Janesch war in Danzig, Stuttgart und Berlin. Judith Zander war in Sachsen, Ahrenshoop, Lübeck und Landsdorf. Hoffentlich haben die Autoren alle „Wie man den Bachmannpreis gewinnt“ gelesen, besonders die Passage über das Sekundärgeschreibe und den Literaturbetrieb. Literaturpreise, Aufenthaltsstipendien und Lesereisen bergen große Gefahren: „Das Autorsein führt dazu, dass der Autor sonst nicht mehr viel erlebt, also schreibt er genau darüber. […] Wir lesen die ewig ähnlichen Geschichten über ewig ähnliche Hotels, und immer ist es so einsam.“ (Angela Leinen: Wie man den Bachmannpreis gewinnt, S. 38)

Einsam ist es in den Texten, weil die Autorinnen und Autoren ihrem sozialen Umfeld entzogen werden. Die ständige Verschickung von Autoren erinnert an die Tuberkulose-Erkrankungen im 19. Jahrhundert, auch dort brachte die Verschickung an Kurorte einen Prozess der Isolation mit sich, die Erkrankten wurden ihrem Umfeld und ihren Routinen entzogen, lebten an fremden Orten, abgeschieden von ihren Familien, in einer Art Exil, und die isolierenden Lebensumstände leisteten dekorativen, manchmal geradezu lyrischen Assoziationen einer romantischen Weltsicht Vorschub, nicht zuletzt darum wurde die Tuberkulose von Thomas Mann bis H.D. Thoreau in der Literatur ästhetisiert. Weil sich die Medizin der erfolgreichen Behandlung der Tuberkulose erdreistete, muss man die Erkrankung heute durch Aufenthaltsstipendien ersetzen.

Stadtschreibertum ist also die Tuberkulose des 21. Jahrhunderts. Man sollte dieses Konzept überdenken, und Autorinnen und Autoren vielleicht auch mal ermöglichen, feste Beziehungen zu führen, Kinder zu bekommen und lauter Dinge zu tun, die nicht mal so eben zwischen Ahrenshoop und Schöppingen passen, zumal sich daraus potentiell auch Inhalte ergeben könnten, die wir nicht schon zur Genüge seit dem 19. Jahrhundert kennen.

A propos in der Gegenwart angekommen, sehr löblich: 6 von 14 Autoren haben eine Website, das ist eine Verdopplung gegenüber 3 von 14 im letzten Jahr.

Volker Altwasser [#]
Sabrina Janesch [#]
Christopher Kloeble [#]
Daniel Mezger [#]
Aleks Scholz [#]
Peter Wawerzinek [#]

Katalog kommunikativer Knackpunkte: Christian Fries, „verbrachte ein paar wesentliche Jahre in Wien.“

Mehr Infos zu den Autoren auch bei Sopranisse [#]

4 thoughts on “tddl 2010 [die autoren].

  1. Antworten
    Angela Leinen - 3. Juni 2010

    Sehr schön, die Tuberkulose-Theorie! Soll ich Dir nächste Woche ein paar Bücher für die Vorbereitung mitbringen? Schon gelesen habe ich „Unter Einzelgängern“ von Christopher Kloeble, und bis dahin wahrscheinlich noch ein, zwei andere.

  2. Antworten
    Moni - 4. Juni 2010

    Ich gehe heue noch in die Bibliothek und sehe mal, was es da gibt. Gebe dann Bescheid, ob ich noch mehr brauche 😉
    Die Lesung nächste Woche steht natürlich schon im Kalender.

  3. Antworten
    Jochen Brachmann - 11. Juni 2010

    Mir hat die gesamte Abhandlung „tddl2010(die autoren)“ weder was gebracht, noch was gegeben. Was zählt, ist ganz einfach nur, wie gut ein Text ist, der gelesen wird. Nicht mehr, nicht weniger und nix weiter! Und es läßt mich einfach nur noch gääääähnen, mir seit Jahren immer wieder anhören oder lesen zu müssen, wie arm oder gefährdet oder was weiß ich die Autoren alle sind. Die Autoren wissen ganz genau, welcher Sache sie sich aussetzen. Sie können sich im Vorwege genau darüber informieren. Den Wettbewerb gibt´s nun schließlich schon lange genug. Und dann kann oder soll jeder für sich entscheiden, ob er dran teilnehmen will oder nicht. Der Wettbewerb bietet Chancen und hat Risiken. Jeder weiß das seit Ewigkeiten und muss selber wissen, ob er dran teilnehmen will oder nicht.

  4. Antworten
    Angela Leinen - 11. Juni 2010

    Herr Brachmann, haben Sie den Beitrag gelesen? Aber worauf bezieht sich dann Ihr Kommentar?

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