Genauso, wie ich lieber weniger kritisch gegenüber dem Internet wäre, hätte ich auch gerne eine weniger kritische Meinung zur Abschaffung der Sonderschulen, aber immer kommt einem diese blöde Wirklichkeit zwischen die schönen Meinungen. John geht nun seit fast vier Wochen auf eine Privatschule in Fürstenwalde. Die Burgdorf-Schule ist ein Förderzentrum Geistige Entwicklung (a.k.a. Sonderschule für geistig Behinderte), spezialisiert auf Autismus.
Die erste Woche war eine Eingewöhnungswoche, ab der zweiten Woche fuhr John dann schon alleine jeden Tag hin und her mit dem Schulbus. Ihn in einen Schulbus zu bekommen, der eine Begleitperson hat (alles andere ist für alle Beteiligten viel zu gefährlich), erforderte in der ersten Woche noch Gutachten des behandelnden Kinderpsychiaters und des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes KJPD, also einiges an Lauferei und bürokratischem Aufwand, aber ging letztlich auch ohne Sozialgericht vonstatten (meine Messlatte mittlerweile: alles, was ohne Gericht läuft, bekommt die Wertung „gut gelaufen“).
Da ich eine Woche lang viel an der Schule war, habe ich erlebt, wie die Kinder ankommen, wie das Personal mit ihnen umgeht, wie der Unterricht läuft. Was soll ich sagen, es ist ein Traum und Lichtjahre besser als die rückblickend noch furchtbarer scheinenden drei ersten Schuljahre, die in Berlin hinter uns liegen. Der Unterschied ist einfach und klar zu benennen: die Menschen an der Burgdorf-Schule kennen sich alle mit Autismus aus und wissen alle Bescheid, wie man damit umgeht.
John fühlte sich auf Anhieb wohl dort und ist nach nicht einmal vier Wochen schon vollstens eingewöhnt, steigt morgens begeistert in den Bus (wir müssen aus Vorfreude sogar schon immer zehn Minuten vorher nach draußen gehen, während er sich bei der alten Schule jeden Morgen geweigert hat, aus dem Auto zu steigen) und er kommt nachmittags entspannt und gut gelaunt nach Hause. Das Ganze nun auch noch: ganz ohne Schulhelfer. Ja, in Fürstenwalde kann er tatsächlich ohne Schulhelfer beschult werden – das wäre in Berlin undenkbar gewesen.
Aus Johns Sonderschule in Berlin hatte man nach und nach qualifiziertes Personal abgezogen und durch unqualifizierte Betreuer ersetzt, das Ergebnis war eine Katastrophe. Aber so wird das von der Berliner Bildungsverwaltung praktiziert: die Signale stehen auf Integration und Inklusion, und weil kein Geld da ist, werden dazu die Sonderschulen ausgehungert. Zusätzlich traurig nur, dass dann in der Integration noch nicht einmal genug ankommt, aber das ist ein anderes Thema.
Letzte Woche war ich wieder einmal zum Thema Schulhelfer und auch Inklusion beim Landesbeirat für Behinderte und erlebte einen weiteren, mehr als frustrierenden Auftritt der zuständigen Mitarbeiterinnen aus der Senatsbildungsverwaltung. Man verwies wieder darauf, dass man in den letzten Jahren doch so viel Personal an die Sonderschulen geschickt habe und ignorierte die Aussage, dass es uns nicht um die Quantität, sondern um die Qualität geht.
Selbst wenn es fünf Erwachsene gäbe, die sich nur um John kümmern sollten, würde das schiefgehen, wenn sie sich nicht auskennen. Stattdessen braucht er noch nicht einmal mehr 1:1-Betreuung, wenn das Personal gut und der Schulrahmen an die Bedürfnisse von Autisten angepasst ist. Wenn man die Schulen mit 55-jährigen ehemaligen Reinigungskräften bevölkert, die noch nie mit Autismus oder geistig Behinderten oder schwerstmehrfachbehinderten Kindern zu tun hatten und keine pädagogische Bildung haben, dann wird man eben immer mehr Schulhelfer brauchen, die das Kind für Kind kompensieren. Und selbst das funktioniert nicht, das habe ich daran erlebt, wie unglücklich John dennoch war. Ein Schulhelfer kann kein ganzheitliches Konzept ersetzen, er ist immer nur Flickwerk.
Unbegreiflich ist mir, warum die Senatsbildungsverwaltung anscheinend kein Interesse daran hat, die immer wiederkehrenden Probleme wirklich in den Griff zu bekommen. Der Berliner Senat arbeitet an einem Konzept zur Umsetzung der Inklusion nach Maßgabe der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. So oft haben wir vom Elternzentrum Berlin schon unsere Bereitschaft gezeigt, an diesem Konzept mitzuarbeiten (die UN-Konvention sieht die Beteiligung der Betroffenen im Übrigen auch ausdrücklich vor), aber unser Angebot wird immer wieder ausgeschlagen.
Es gibt mittlerweile über 20 autistische Kinder aus Berlin, die jeden Tag circa 60 Kilometer weit nach Fürstenwalde und nachmittags wieder zurückgefahren werden. Warum sieht man sich nicht einmal an, warum diese Kinder dort so gut beschult werden können und etabliert auch in Berlin ein solches Schulmodell? Warum sieht man nicht endlich ein, dass es soziale und pädagogische Berufe nicht ohne Grund gibt? Wann wird man verstehen, dass Integration und Inklusion nicht zum Nulltarif zu haben sind? Ach, es ist müßig, aber unsere Arbeit des Elternzentrums geht weiter, wir haben keine andere Wahl. Ich bin erstmal froh, dass es meinem Kind endlich wieder gut geht und wir als ganze Familie uns nun vielleicht, hoffentlich auch von den extrem anstrengenden letzten drei Jahren erholen können.
Ich habe mich sehr gefreut über diesen Bericht und daß John jetzt einen Ort hat, wo es ihm gut geht. Ich finde es katastrophal, wie sich Berlin in den letzten 15 Jahren im Sozial- und Bildungsbereich entwickelt hat. Wie wir wissen gibt es Leute, die als Chefs von Sozialeinrichtungen Maserati fahren können. Vieles kommt auch gar nicht bei denen an, für die es bestimmt ist.
Leider ist meine Erfahrung, dass es vielen Institutionen nicht um die Sache geht, für die sie zuständig sind, sondern vor allem um Öffentlichkeitswirksamkeit. Da wird mit spektakulären Ankündigungen Effekthascherei betrieben. Nur mit dem Ziel öffentlich wahrgenommen zu werden und damit die Institution zu stabilisieren und zu erhalten (Stellenkürzungen zu verhindern). Ich erlebe viel zu oft, dass nicht die Qualität der Arbeit entscheidend ist, sondern die öffentlich verkaufte Institution.
Ich lese hier seit langer Zeit mit und es freut mich sehr für ihren Sohn und für Sie, wenn nun alle Beteiligten Erleichterung durch eine gute Beschulung haben.
Was Politiker angeht, die interessieren sich bis auf ganz wenige Aufnahmen nur für sich selbst und für ihre Partei. Das überträgt sich dann auch auf die ihnen unterstehenden Verwaltungen. Es wird nicht mehr lange dauern, bis das Wort Politiker allgemein als Schimpfwort gilt.