unbehagen.

Vorgestern in zibb ein Portrait einer Familie mit zwei autistischen Kindern.

Angekündigt wird der Bericht mit den üblichen Klischees: für Eltern gehöre es zu den schönsten Momenten, ihr Kind in den Arm zu nehmen und zu kuscheln, aber die Eltern von Annika und Sebastian müssten darauf weitgehend verzichten, denn ihre Kinder „sind Autisten, das heißt, sie leben oft in ihrer eigenen Welt, die Nähe und Kommunikation kaum zulässt. Die beiden Geschwister leiden an einer angeborenen und unheilbaren Entwicklungsstörung des Gehirns.“ Stolze 26 Sekunden Intro und wir haben schon die üblichen Schlagworte gehört: eigene Welt, keine Nähe, und natürlich /leiden/ die Kinder an Autismus.

Noch in der Intro allerdings die tröstliche Nachricht an den Zuschauer: die Eltern „versuchen, das beste draus zu machen.“ Was heißt das, dass die Eltern versuchen, das beste draus zu machen? Es impliziert vor allem eine Insuffizienz der Kinder, was sowohl ignorant als auch herablassend ist. Oder würde man bei zwei nicht-behinderten Kindern auch so berichten: die Eltern versuchen, das beste draus zu machen?

Im Bericht selbst wird die Wendung der eigenen Welt dann erfolgreich totgeritten, insgesamt fünf Mal in vier Minuten begegnen wir dem Klischee von der eigenen Welt, in der die autistischen Kinder angeblich leben. Wir erfahren, beim zweiten Kind seien die Eltern „nicht mehr so tief gefallen“, als die Diagnose kam. Die Aneinanderreihung von stereotypen Wendungen aus dem Wortsetzbaukasten Autismus geht also weiter, hier mit dem gerne zitierten Mythos des Schocks, den die Diagnose bedeutete. Dieser Mythos wird in Berichten über Autismus gerne zitiert, ich kann nur sagen, dass es bei mir überhaupt nicht so war, und ich kenne auch andere Eltern autistischer Kinder, die es nicht so empfunden haben. An den Ausführungen der Mutter im Bericht merkt man, dass sie mit der Frage nach dem „tiefen Fallen“ auch nicht viel anfangen kann, sie antwortet: „Was nützt es, sich da tief fallen zu lassen, es sind unsere Kinder.“

Im weiteren Verlauf sehen wir dann plötzlich Kinder, die eigentlich ganz glücklich aussehen, und eine Familie, die glücklich wirkt. Annika sitzt auf dem Schoß des Vaters und spielt mit ihm. Wie das? Nun, wir erfahren, dass sich Annika zum Beispiel bei Musik doch durchaus öffne (diese Anspielung auf die eigene Welt habe ich oben noch nicht einmal mitgezählt), und wir sehen, dass auch Sebastian sowohl in seinem Rahmen kommuniziert als auch Spaß hat am Blättern in einem Traktorbuch. Das sind also die Kinder, von denen in der Intro gesagt wurde, aufgrund ihres Autismus müssten die Eltern weitgehend darauf verzichten, sie in den Arm zu nehmen und mit ihnen zu kuscheln? Wir sehen, wie Annika in den Armen der Mutter mit ihr durch die Küche tanzt, eine fröhliche und sehr nahe Szene. Je weiter wir in die vier Minuten und sechzehn Sekunden des Berichtes hineinkommen, umso größer wird die Diskrepanz zwischen Bild und Text.

Es lässt sich vielleicht nur dadurch erklären, dass der Bericht auf eine recht krude Weise die These zu transportieren versucht, Annika und Sebastian hätten sich vor allem auch durch eine Verhaltenstherapie aus den USA /geöffnet/. Der Vater sagt bewusst vorsichtig, er denke, die Therapien hätten dazu beigetragen. Die beiden Kinder haben Co-Therapeuten, die fünf Tage die Woche an sechs Stunden pro Tag mit ihnen zusammen sind. Das ist auch ganz verständlich, denn wir erfahren, dass beide Eltern berufstätig sind, da brauchen sie natürlich jemanden, der sich nachmittags um die Kinder kümmert.

Wissenschaftlich ist es dabei allerdings völlig unerwiesen, ob die Verhaltenstherapie einen Nutzen hat. Mein Eindruck ist, dass das Entscheidende der Kontakt an sich ist: wenn die Kinder jemanden haben, der mit ihnen intensiv in Kontakt tritt (das können Einzelfallhelfer, Pflegekräfte, von mir aus auch Co-Therapeuten genannt, sein oder auch die eigenen Eltern, ich würde es aber nicht Therapie nennen, sondern Zusammensein), entwickeln sie sich ganz natürlich weiter. Wie bei jedem anderen Kind findet Entwicklung einfach statt, im Kontakt zu anderen, und das gilt auch für autistische Kinder. Letztlich scheint es mir ebenso einfach wie groß zu sein: solange man ihnen Zeit, Geduld und Liebe schenkt, und sich das Leben gemeinsam schön macht (was etwas ganz anderes ist, als „das beste draus zu machen“), können autistische Kinder gedeihen und auch glücklich sein, gemeinsam mit uns in einer Welt.

Interessanterweise sehen wir all das in den Bildern dieses Berichtes ganz wunderbar – wenn nur der Text nicht wäre, den man in seinen Stereotypien vielleicht als autistisch bezeichnen könnte, wenn man dazu geneigt wäre, solche Metaphern zu verwenden.

2 thoughts on “unbehagen.

  1. Antworten
    Moni - 3. März 2012

    Ja, ich weiß. Aber leider gibt es auch Studien, nach deren Ergebnis andere Therapieformen erfolgreicher seien, z.B. AIT habe besser abgeschnitten als ABA etc. Meisten kann man sich ansehen, wer die Studie in Auftrag gegeben hat oder veröffentlicht, und dann weiß man Bescheid. Das grundsätzliche Problem ist doch, dass es gar keine wirklich zuverlässigen RCT-Studien, doppelblind und mit Kontrollgruppe, dazu geben kann, denn das „Potential“ der einzelnen Kinder kennt man im Voraus nicht und die Ergebnisse sind darum nicht neutral auswertbar, man kann darum auch noch nicht eimal zuverlässige Vergleichsgruppen etablieren, ganz abgesehen davon, dass man aus ethischen Gründen nicht einer bestimmten Gruppe von Kindern bewusst eine schlechtere Behandlung zukommen lassen kann etc. etc. etc.

    Das ist ein weites Feld, ich meinte mit meinem Einwand nur: Beweise, die EBM-Kriterien entsprechen, wird es nicht geben können, für keine Therapieform. (Das ist auch der Grund, warum die Krankenkassen das nicht bezahlen, wir Eltern können von Glück sagen, wenn es die Sozialämter tun.) Ich bestreite auch überhaupt nicht, dass ABA autistischen Kindern nützen kann. Der Vater formuliert es in dem Bericht ja sehr schön, nämlich auch so bewusst vorsichtig. Tatsächlich glaube ich, dass es bei ABA Ansätze gibt, mit denen man sehr gut arbeiten kann, tut John ja auch, gerade beim Toilettentraining war ABA vielleicht entscheidend für seine Fortschritte, aber in anderer Hinsicht gibt es eben auch TEACCH und PECS und Gebärdensprache… Jedes Kind wird eine Kombination von Ansätzen haben, die bei ihm oder ihr funktionieren oder nicht. Das macht die Aufgabe ja gerade so zeitintensiv, das erstmal herauszufinden, zumal es sich dann natürlich mit der Entwicklung immer wieder ändert und als Aufgabe damit immer bestehen bleibt.

    Allerdings sind dies alles Strategien, die zur Erlernung bestimmter Alltagskompetenzen beitragen, ich empfinde das als eine ganz andere Ebene als die emotionale Ebene des „Öffnens“, des Zulassens von Nähe etc. Letztere Ebene war bei John schon immer da, ohne Therapien. In dem Bericht werden meines Erachtens zwei Ebenen durcheinander geworfen, das meinte ich mit dem kruden Transportieren der These.

    Natürlich brauchen wir Eltern viel Unterstützung mit unseren schwer autistischen Kindern, auch das ist klar. Wir werden sie nur nicht von der Krankenkasse bekommen können – das sehe ich in meiner Arbeit im Gemeinsamen Bundesausschuss ganz deutlich, dass wir da keine Chancen haben. In den USA hat man sich auf ABA als Argument eingeschossen, um Gelder locker zu machen. Was dann tatsächlich gemacht wird in Einrichtungen, unterscheidet sich stark, heißt aber alles ABA. Ich kenne persönlich ein autistisches Kind, das zwei Jahre lang in den USA in einer der führenden ABA-Schulen war, ohne dass irgendeine Veränderung eingetreten wäre. Aber das sind dann so Kinder, die aus den Studien wieder rausgenommen werden. Interessant hierzu auch das Buch „Boy Alone“ von Karl Taro Greenfeld. Um die nötige Unterstützung zu bekommen, müssen wir meines Erachtens anders rangehen.

    Ganz abgesehen davon hat mich die ABA-Sache an dem Bericht gar nicht gestört, der Vater selbst war ja zum Glück bewusst vorsichtig, gestört hat mich dieses journalistische Herumreiten auf der eigenen Welt, in der die Autisten angeblich leben. Mir ist bewusst, dass diese Formulierung aus Hilflosigkeit entsteht, nämlich aus der neurotypischen Hilflosigkeit, mit Worten beschreiben zu wollen, wie Autisten erleben. Diese Hilflosigkeit kenne ich auch, die Metapher von der eigenen Welt liegt da nahe, aber sie ist mir eine zu einfache Lösung des viel komplexeren Problems. Fünf Mal in vier Minuten muss ich das wirklich nicht hören, das wird den Kindern und der Familie nicht gerecht.

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