walter jens.

Oliver Tolmein hat in der FAZ einen sehr guten Artikel über Walter Jens, bzw. auch über Hans Küngs Gedanken zu Walter Jens geschrieben: „Wer schließt sich ab?“

Ich finde die Erkenntnis sehr wichtig, dass der Fall von Menschen in eine andere Ordnung – sei es durch eine geistige Behinderung oder durch eine Altersdemenz – vor allem das Gegenüber vor ein Problem stellt, nicht zwangsläufig den Betroffenen selbst. Dem Betroffenen selbst mag es im Gegenteil sogar sehr gut gehen, was vielen anscheinend wiederum so unerhört scheint, dass sie das am liebsten ausblenden möchten, und ihm stattdessen womöglich gar unterstellen, er selbst hätte nie so leben wollen. Diese Anmaßung ist nichts als ein Ausdruck der eigenen Hilflosigkeit und des eigenen Unvermögens, den Menschen so zu akzeptieren, wie er geworden ist.

Wenn die Selbst- und Weltvergewisserung in der und durch die Sprache (und/ oder den Intellekt) nicht mehr gelingt, muss eine neue Verständigungsform gefunden werden, die gar nicht mehr auf die Herstellung von Verständlichkeit zielt, und die die Ebene des Verlustes gar nicht zu überkommen trachtet. Wir müssen erst lernen, Menschen zuzuhören, die anders kommunizieren. Wir müssen auch lernen, dass es Menschen gibt, die viel zu sagen haben, auch wenn sie dies nicht sprachlich vermitteln können. Wir müssen auf vielen Ebenen lernen, über unsere Gewohnheiten und Annahmen hinauszugehen. Nicht nur Schönheit, auch Normalität liegt im Auge des Betrachters. Am Ende seines Lebens auf Hilfe angewiesen zu sein, dürfte eigentlich als normal angenommen werden. Wir kommen und gehen nicht alleine in die und aus der Welt.

Bei der Einbindung und Akzeptanz von Menschen mit körperlichen Behinderungen hat unsere Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten viele Fortschritte gemacht. Was aber die Einbindung und Inklusion von geistig Behinderten oder auch dementen Menschen betrifft, liegt noch ein weiter Weg vor uns. Damit werden die Familien noch weitgehend alleine gelassen und sie sind in der Öffentlichkeit auch wenig erwünscht.

Würde ist nicht nur ein politisches Konstrukt, sondern auch eine gesellschaftliche Aufgabe, an der unsere Gesellschaft leider im Moment noch scheitert. Mit der Aufklärung (die Hegel ja als die Wiege des Utilitarismus beschreibt) und mit dem Diktat der Rationalität sind Werte entstanden, die unserer Zeit nicht mehr genügen. Das heißt nicht, dass man sie gleich zum Fenster hinauswerfen muss, aber man muss ihr schonungsloses Diktat überdenken, gerade in einer Welt, in der die Menschen immer älter werden und sich gegen Ende ihres Lebens vielleicht zunehmend jenseits der Rationalität aufhalten. In Liebe zu einem so dispositionierten Menschen kann man das nicht nur annehmen, sondern sogar gut damit leben – schön wäre allerdings, dabei mehr Unterstützung und Zuspruch von außen zu bekommen.

4 thoughts on “walter jens.

  1. Antworten
    gleichgewichtssucher - 13. März 2009

    Das ist sehr schön geschrieben. Dabei fällt mir ein Artikel ein, in dem Inge Jens beschrieben hat, wie erstaunt sie war, als sie entdeckte, daß sich ihr Mann in seiner Demenz nicht unglücklich fühlt, obwohl alles (intellektuelle) was ihn früher ausgemacht hat, nicht mehr existiert. Ein „Mann der Bücher“ erlebt jetzt seine höchste Freude beim Kaninchen füttern. Die Bücher hat er längst vergessen. Nur für manche Beobachter ein Problem, nicht für den Betroffenen !

  2. Antworten
    Wolf - 14. März 2009

    Wenn ich mich im Du sehe, dann bekomme ich Angst, denn ich erkenne mich in Dir. Und deshalb sage ich: der leidet an Alzheimer. Als ob jemand anders leiden würde, denn ich.

  3. Antworten
    mediumflow - 15. März 2009

    Danke! Ein großartiger Post. Und: ich stimme mit Deiner bzw. Oliver Tolmeins Deutung zu Walter Jens vollkommen überein.

  4. Antworten
    Moni - 16. März 2009

    Schon die Bezeichnung „leidet an“ ist eine illegitime Zuschreibung. In Zusammenhang mit Autismus wird das auch immer wieder gesagt: „Er leidet an Autismus.“ Ich glaube nicht, dass mein Sohn an seinem Autismus leidet, die meiste Zeit macht er jedenfalls einen ziemlich glücklichen und zufriedenen Eindruck; manchmal hat er Probleme und Krisen, aber wer hat die nicht?

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