einer von uns.

Neues Buch eines Vaters über das Leben der Familie mit einem autistischen Sohn: Mark Osteen, One of us.

Kay Wombles: „This isn’t a book that should be offered blithely to all, but instead one that should be carefully proferred to those willing to bear witness, to join an uncertain and painful journey. It will resonate with families going through similar ordeals and perhaps offer them comfort that these decisions can be made, that life can go on, that it is not the worst thing or even the wrong thing to do, that no one in the middle of such decisions is a failure for recognizing that placement in a residential facility is appropriate. It’s one that those of us dealing with the ‚lucky kind of autism,‘ the kind where significant, often phenomenal progress is made, should make time for. Sometimes all we can do is offer to bear witness, to stand and listen, to offer empathy.“ [#]

bloeiende bollen.

Betreden voor eigen risico

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„We only use 10% of our brain“. I don’t know where that idea originated but it certainly took off as a popular meme – taxi drivers seem particularly taken with it. It’s rubbish of course – you use more than that just to see. But it captures an idea that we humans have untapped intellectual potential – that in each of us individually, or at least in humans in general lies the potential for genius. [#]

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Nachtrag aus der Schweiz. Dass elf normale Kinder weniger stressen als ein einziges autistisches zu Hause, eine unangenehme Wahrheit. Man will das nicht so sagen, ich will das nicht so sagen, aus Liebe natürlich nicht, aber es ist tatsächlich so. Die Kinder waren zwischen fünf und 15, besonders auf die beiden Fünfjährigen musste ich natürlich gerade in der Stadt, in Bern und Luzern, sehr achten, damit sie nicht auf die Straße laufen oder andere gefährliche Dinge tun, zwei wilde fünfjährige Jungs halt, im Zweifelsfall nahm ich den einen oder anderen auf die Schulter, die Zehnjährigen testeten meine Grenzen, all das Übliche, ich also an zweien der neun Tage mit diesen elf Kindern unterwegs und abends war ich groggy, natürlich, aber in keinster Weise vergleichbar mit dem Groggy in Berlin. Ich frage mich seither, woran das genau liegt und komme immer wieder nur zum Naheliegenden: Kommunikation, die Möglichkeit, miteinander zu sprechen, miteinander zu verhandeln, das tatsächliche Gemeinsam, das ist alles eine ganz andere Ebene. Mir gefällt das populäre Zitieren einer eigenen Welt nicht, in der Autisten angeblich leben, aber ich weiß, warum man sich dieses falschen Bildes bedient, wie sonst kann man diese andere Ebene beschreiben, in der man auch miteinander ist, aber auf eine so fundamental andere Weise?

[Andere Ebene, andere Weise, es zeigt sich die Hilflosigkeit des Ausdrucks.]

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Es gehört zum Leben dazu, dass die Menschen nicht ahnen, in welchem Luxus sie leben.

Die Kinderlosen ahnen nicht, wie viel Zeit und Freiheit sie haben, bis sie Kinder bekommen und es ihnen plötzlich aufgeht. Dass man ständig da sein muss, die schwierigen Nächte, der Schlafmangel, das Gebundensein, immer, die Sorge, die Verantwortung, die Unfreiheit. All das genießt man dann auch noch, findet es sogar toll, und das ist es auch, es ist tatsächlich prima, klasse, wunderbar. Human beings are crazy, indeed.

Diejenigen, die nichts mit geistigen Behinderungen, genauer gesagt vielleicht: diejenigen, die nichts mit Nonverbalität zu tun haben (nicht Sprachlosigkeit, denn Sprache gibt es: Verhalten ist Sprache, Verhalten wird sogar massiv zur Sprache), ahnen nicht, was das für ein anstrengendes Leben ist, ahnen nicht, wie aber sogar auch das auf eine ganz und gar stressige Art tatsächlich prima, klasse, wunderbar ist.

[Aber vielleicht ahnen sie es doch.]

Stimmt natürlich auch überhaupt nicht, dass man nicht ahnt, in welchem Luxus man lebt, mir ist unser Luxus doch sehr bewusst: dass wir eine tolle Schule gefunden haben, dass wir richtig gute Helfer haben, dass Deutschland trotz aller Kritik noch ein gutes Gesundheitssystem hat (zumindest ein besseres als die USA), dass wir so viel Hilfe und Unterstützung bekommen, dass dies trotz aller Kritik noch ein Sozialstaat ist, in dem wir leben.

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Irgendwann, ich stand in der Telefonzelle neben dem Hotel in Interlaken, sah ich auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen schwerstbehinderten Teenager, ausflippend, meltdown, neurological storm, dem Verhalten nach wahrscheinlich Autist, mit seinem Betreuer oder Vater vorbeigehen und wurde überwältigt von dem Bedürfnis, hinüber zu laufen und mich ihnen anzuschließen, ich wollte sagen: „Ich gehöre zu Euch, nehmt mich mit.“
So schwer fiel es mir, die Sorglosigkeit einer normalen, wohlhabenden, richtig netten Reisegruppe zu ertragen.

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Jede Nacht Alpträume im Hotel, psychologisch lächerlich einfach gestrickt, die ganzen Ängste und Dramen um John, morgens dennoch jeden Tag unglaublich erholt gefühlt, sogar so erholt, dass mir die ganze Schweiz schon vorkam wie ein einziger Wattebausch. Die Reise, eine Aufarbeitung. Ist ja schön, dass mein Unterbewusstes und ich mal drüber gesprochen haben.

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A propos einfach gestrickt: auf Texel gab es in Den Hoorn gerade das Kunstprojekt Klifhanger, darunter auch die Bloeienden Bollen, Strickmützen auf Zaunpfählen, hat mich ein bisschen an Guerilla Knitting erinnert.

bloeiende bollen

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Im März schrieb ich noch, dass meine Reisen nur in Büchern stattfinden, Hamam Balkania las ich da gerade, ausgerechnet. Meine kleine Arbeitseskapade nach Prag im Herbst 2010 hatte John nicht gut aufgenommen, so ahnte ich im März nicht, dass sich das mit dem Reisen 2011 noch ändern sollte. Im Frühjahr kam das Angebot für die Schweiz im Juni, wir beschlossen einen weiteren Versuch. John wird bald elf Jahre alt, es heißt langsam loslassen lernen, sowohl für John als auch für mich, und siehe da, dieses Mal ging es schon viel besser. John ist in der neuen Schule hervorragend angekommen und Scott und John kamen Zuhause auch gut zurecht.

Jetzt erhielt ich nach der Schweiz ein neues Angebot, nämlich im September auf einer zweiwöchigen Reise zu arbeiten. Die Reise fällt in keine Schulferien, Scott und ich haben hin und her überlegt, schließlich habe ich zugesagt und werde also im September wieder für meine alte Chicagoer Firma als Travel Director Extraordinaire im Einsatz sein, neun Tage auf einem Schiff auf der Donau von Deutschland (Passau) über Österreich (Melk, Wien) in die Slowakei (Bratislava), nach Ungarn (Budapest), Serbien (Belgrad) und Rumänien (Drobeta Turnu Severin), von Widin aus mit dem Bus noch für zwei Nächte nach Bulgarien (Sofia) und für drei Nächte nach Griechenland (Thessaloniki). Von wegen, Hamam Balkania nur in Büchern. Es sieht im Juli anders aus als im März.

[Eine Reisegruppe ohne Kinder, dafür werden wir aber zu dritt über hundert Leute betreuen.]

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„Miranda July has come to personify everything infuriating about the Etsy-shopping, Wes Anderson-quoting, McSweeney’s-reading, coastal-living category of upscale urban bohemia that flourished in the aughts.“ Hihi. [#]

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Noch ein paar Texel-Fotos. Ich könnte da morgen hinziehen, ehrlich.

Strandhausreihe

Muscheln am Strand

Noch eine Strandhausreihe

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„The malware of medical science“: Die Pharmaindustrie lässt Studien nicht durchführen, um Medikamente tatsächlich zu testen, sondern um Ärzte dazu zu bringen, sie häufiger zu verschreiben. Nichts wirklich Neues oder Erstaunliches, aber als Beispiel in seiner Dreistigkeit Klarheit bezeichnend:  „Just when you thought the pharmaceutical industry had used up every dirty trick in the book, it has been revealed that a ’study‘ of the epilepsy drug gabapentin (aka Neurontin) was never really intended to investigate the medication, but was primarily intended to get doctors to prescribe it more often.“ [#]

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In diesem oder ähnlichem Sinn: „Has America become a nation of psychotics? You would certainly think so, based on the explosion in the use of antipsychotic medications. In 2008, with over $14 billion in sales, antipsychotics became the single top-selling therapeutic class of prescription drugs in the United States, surpassing drugs used to treat high cholesterol and acid reflux.“ [#]

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Wie gefährlich alternative Therapiemethoden sein können, zeigt sich am Beispiel der Familie Wendrow. Die Wendrows hatten über gestützte Kommunikation (FC – facilitated communication) versucht, der autistischen Tochter Kommunikation zu ermöglichen, dann aber schrieb die Tochter mittels FC angeblich, dass der Vater sie missbraucht habe, die Eltern wurden angeklagt, die Familie auseinander gerissen, der Vater saß 80 Tage im Gefängnis, davon 74 in einer Einzelzelle, 106 Tage lang war die Familie insgesamt getrennt, bevor das Ganze ad acta gelegt wurde, weil sich erwies, dass die Tochter gar nicht gestützt schreiben kann.

Die ganze, lange, traurige Geschichte: „Family’s life unravels with claims dad raped daughter“ [#]

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Die neue Wertschätzung der Tiere nach Texel.

Tierwanderung

Schmetterling

Schaf

Wie gesagt, morgen, hinziehen, könnte.

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Gewalt und Taten, die die Gesellschaft in keinem anderen Zusammenhang dulden würde, werden bei schweren Behinderungen plötzlich geduldet: eine Mutter erdrosselt ihren autistischen Sohn mit einem Gürtel und muss nicht ins Gefängnis. „Mother walks free from court after strangling autistic son with belt“ [#]

tddl 2011 [thomas klupp: paradiso].

Wenig Zeit, aber kurz bevor heute Abend endlich der Bewerb eingeläutet wird, schnell noch: ein tolles Buch, dieses Paradiso. Schade, dass ich nicht mehr Zeit zum Schwärmen habe, aber wir kommen gerade vom Strand und es müssen Ankes Spaghetti gekocht werden.

Meine Favoriten nach der höchst subjektiven Vorbereitung, deren Auswahl nur aufgrund von Erhältlichkeit in der Stadtbibliothek getroffen wurde:

1. Thomas Klupp
2. Gunther Geltinger
3. Linus Reichlin

tddl 2011 [linus reichlin: der assistent der sterne].

Aus dem Wattebausch Schweiz zurückgekehrt, haben mich die Sommerferien als Kontrastprogramm gleich zu Texels rauem Wind geführt und mir bleibt nur noch wenig Zeit zum Bachmannvorbereiten, Pflege und Betreuung nonstop sei Dank. So laufe ich also aufgrund von Johns Schlafstörungen schon morgens um halb sieben mit ihm am Nordseestrand herum, nunja. Ich habe trotzdem Linus Reichlins Assistent der Sterne gelesen, und zwar vollständig. Das liegt vor allem daran, dass der Krimi schöne Sommerurlaubslektüre ist, Belletristik also und daher wohl eher wenig Voraussagekraft für den Bewerb, hat mir aber gut gefallen. Die Dialoge haben mich zwar hier und da nicht überzeugt (auch zweimal so was in der Art von Minuspunkt 43: „Da kommt Franz, der, wie Du weißt, Dein Vater ist“), aber es ging mir mit Linus Reichlins Krimi so, wie es Angela mit Maximilian Steinbeis gegangen ist: es war mir irgendwann egal, ich wollte Hannes Jensen trotzdem weiter begleiten. Wenn mir Beschreibungen zu lang wurden oder ein Thema wie das ewige Trara um die Lesebrille mich anfing zu nerven, habe ich es nach Angelas Rezept einfach übersprungen, das klappt ganz gut, hätte ich auch eher schonmal anfangen können.

Auffällige Redewendung: Ein Polizist deckt Jensen und umschreibt das: „Ich durfte mir nichts anmerken lassen. Ich habe ziemlich den Rücken hinunter geschwitzt.“

tddl 2011 [leif randt: leuchtspielhaus].

Festgefahren seit knapp einer Woche, Leif Randts Leuchtspielhaus. Letzten Montag zu lesen begonnen, schnell uninteressiert weggelegt, und wenn ich seitdem abends die Reisegruppe sich selbst überlasse, will es auch nicht funken, eine Seite hier, eine Seite da, ich komme nicht weiter. „Im UK“ heißt es immer, vielleicht schreibt man das im coolen Alter so, ein Kauderwelsch aus Englisch und Deutsch sowieso, ausgerechnet ich sollte mich darüber nicht beschweren, aber die Masse geht für mein Empfinden übers Erträgliche hinaus. Manchmal kommt man nicht drumrum, in diesen Fällen könnte man schon, wenn man wollte, aber Leif Randt will offensichtlich nicht (wird in Rezensionen als „experimentell“ gelobt). Member heißen die Mitglieder einer Gruppe zum Beispiel, dabei wäre Mitglieder wirklich eine einfache Alternative. Abbruch bei S. 35, es geht leider gar nichts mit diesem Buch und mir, scheint mir leeres London-Getue, Kritiken sagen aber was anderes, vielleicht passt es einfach gerade nicht, jedenfalls macht Leif Randt in seinem Videoporträt einen sehr sympathischen Eindruck und ich hoffe für den Bewerb auf einen Text, der mir besser gefällt.

Die Mitglieder (Members) meiner amerikanischen Reisegruppe sind dieses Mal ganz unterschiedlichen Alters, sonst arbeite ich mit Pensionären 60+, jetzt zum ersten Mal für ein Familienprogramm mit Großeltern, Eltern und Kindern (im Alter von 4-17). Zu zweit betreuen wir eine Gruppe von 36 Personen. Das „Swiss Family Adventure“ hat seine Basis in Interlaken, Ausflüge und Aktivitäten bisher: Käsealp Gental (sehen wie Käse gemacht wird plus Verkostung), Engstlenalp (Wanderung), Aareschlucht, Meiringen, mit den Kindern in der Kletterhalle gewesen, Bern, Schiffstour auf dem Thunersee, Thun, Spiez, mit den Kindern Kühe in einem Holzschnitzgeschäft in Interlaken angemalt, Militärbunker in Stanstad, Luzern, Jungfraujoch, Wanderung vom Restaurant Allmend nach Wengen. Heute Abend Schweizer Fondue, morgen noch Grindelwald, Mini-Golf mit den Kindern, Rosenlaui-Schlucht und wenn die Zeit reicht Reichenbachfälle, abends Abschlussfeier (Graduation Ceremony and Farewell Party), mit den Kindern haben wir eine Fotoausstellung vorbereitet. Macht viel Spaß. Zuhause haben Vater und Sohn eine Woche lang sturmfreie Bude, es scheint alles okay zu sein. Berufliche Perspektiven sind vonnöten, wenn das so gut klappt, könnten wir das öfter mal machen.

Fotos aus der Schweiz hier.

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