filme & soundtracks.

Von manchen Filmen bleibt mehr als alles andere die Musik hängen, wie etwa beim Soundtrack von „Garden State“, der eine Weile folgerichtig in jedem Café zu hören war, das man betrat. Es reichte, den Film ein einziges Mal gesehen zu haben: danach versetzte einen das Hören der Musik sofort zurück in die Stimmung des Films, aber Stimmung und Musik verselbständigten sich vom Film. Jetzt „Once“, ein Film, bei dem die besondere Verbindung von Film und Musik natürlich ein weniger unerwartetes Phänomen darstellt, weil es immerhin sowieso schon ein Musikfilm ist. Den Film fand ich sehr schön und die Musik so unglaublich passend, besonders berührend den Song, den Glen Hansard am Anfang alleine in die leere Grafton Street schreit. Aber nachdem ich den Soundtrack ein paar Mal gehört hatte, war irgendwie ein bisschen die Luft raus: bei „Once“ ist es wichtig, die Personen bei der Musik auch zu sehen, am besten wahrscheinlich sogar, die Musik gemeinsam mit ihnen live zu erleben (das Konzert von „The Frames“ diesen Monat in Berlin soll ja sehr toll gewesen sein; sehen kann man ein komplettes Konzert von 2006 hier bei Fabchannel). Nun bin ich mal gespannt, wie es mir beim Soundtrack zu „Laurel Canyon“ ergeht: verselbständigt sich die Musik, geht sie überhaupt ohne den Film?

[Eigentlich muss man natürlich alle Bands live erleben, schon klar, aber schaffen müsste man das mal, mit Job und Kind und allem. Im Weltempfänger läuft gerade Leonhard Cohen, was das sehnsüchtige Erinnern der sogenannten Jugend, der Vor-Kind-Zeiten wahrscheinlich unverhältnismäßig beflügelt und verklärt. Aber nächstes Mal bin ich bei den Frames dabei, und überhaupt, schonmal ein guter Vorsatz für 2009: mehr Konzerte, wieder.]

gerader rauch, verschlungene wege, gemischtes doppel.

Ein Veranstaltungshinweis: am 3. Dezember packen die Übersetzer mal wieder aus, und zwar in der Kulturbrauerei ab 20 Uhr. Bettina Abarbanell und Robin Detje übersetzen Denis Johnsons „A Tree of Smoke.“ Es moderiert der Literatur- und Musikkritiker Tobias Rapp (taz, Spex, Groove).

„Was Sie erwartet: Ein Buch über den Vietnam-Krieg und seinen langen Nachhall. Eine Geschichte, erzählt aus wechselnden Perspektiven: Zu Wort kommen Geheimagenten, amerikanische und vietnamesische Soldaten, eine fromme Krankenschwester. Ein Autor, dessen Sätze „rollen wie Billardkugeln, sich drehen und driften und dann, oft nach dem letzten Komma, ins Loch fallen“ (Jim Lewis). Eine Übersetzung, die dem groben Militärjargon der Figuren ebenso zu folgen vermag wie ihren religiösen Ekstasen, und bei der zwei Stimmen zu einem Stil zusammenfinden.“ [#]

berlin im november.

I
John balanciert auf einem Holzbalken. Ein Mann, eine Frau und ein Mädchen (vielleicht drei bis vier Jahre alt) kommen in unsere Richtung. „Ich will auch machen, was der Junge da macht!“, ruft das kleine Mädchen. Sie springt fröhlich in Richtung des Holzbalkens, steht gerade darauf, als John anfängt, ein Medley seiner komischen Geräusche (irgendwo zwischen Löwe und Affe, durchsetzt mit diversen Zischlauten) zum Besten zu geben. Das Mädchen ist zwar leicht irritiert, scheint aber weiter auf demselben Balken balancieren zu wollen. Vater und Mutter sehen sich allerdings völlig schockiert an, und der Vater ruft dringend und drängend: „Milena, komm sofort her, wir gehen weiter!“ Das Mädchen ist vom scharfen Ton des Vaters erschrockener als von Johns Geräuschen, hüpft sofort von dem Balken und läuft zu den Eltern, die sich ohne uns eines weiteren Blickes zu würdigen umdrehen und mit dem Kind davoneilen. Wir: die Aussätzigen. Und die snobistischen Akademiker-Eltern in Prenzlauer Berg.

II
Ich kaufe mit John bei Lidl ein. Er streift durch die Gänge und bewundert die Verpackungen, die er sich so gerne ansieht. Weil ihm das so gut gefällt, macht er dabei seine glucksenden Mir-geht-es-gut-Geräusche. Zwei etwa sechsjährige Mädchen beobachten, wie er mit den Fingern gegen die Verpackungen schnipst (ein Zeichen seiner Anerkennung der Formen und Farben, seine Kommunikation mit den Dingen). Die beiden Mädchen tuscheln und als wir ganz bei ihnen in der Nähe stehen, sagt das eine Mädchen laut und bestimmt, direkt in Johns Gesicht: „Du bist echt ekelhaft.“ Ich bin schockiert, und sehe mich nach den Eltern um, die aber nicht zu sehen sind. Also gehe ich auf das Mädchen zu, sie sagt nach einem Blick in mein wütendes Gesicht gleich präventiv: „Ich habe nichts gesagt!“ Das zweite Mädchen verdrückt sich in den Nebengang, aber die kleine Idiotin habe ich eingekesselt. Ich erwidere: „Ich habe genau gehört, was Du gesagt hast. Komm mir nicht so.“ Sie: „Aber meine Freundin hat auch über ihn gelacht!“ Ich: „Das habe ich gesehen, aber das ist keine Entschuldigung für Dich. Du hast meinem Sohn etwas gesagt, das nicht in Ordnung war. Eins musst Du Dir merken: Es gibt ganz viele unterschiedliche Menschen auf der Welt, und die haben alle genauso ein Recht hier zu sein, wie Du. Das kannst Du Dir am besten für Dein ganzes Leben merken.“ Sie hört mir natürlich kaum zu, und ich lasse sie gehen. John hat nämlich in der Zwischenzeit angefangen, herzerweichend zu weinen. Ob er das Mädchen nun verstanden hatte, und darum weinte, oder ob er einfach intuitiv auf die Spannung zwischen mir und dem Mädchen reagierte, das weiß ich nicht. Wir, die Aussätzigen. Und die verwöhnten, hochnäsigen Blagen der snobistischen Akademiker-Eltern in Prenzlauer Berg.

Warum die schlechten Erfahrungen immer hier, an der Grenze zwischen Mitte und Prenzlauer Berg? Kann das noch Zufall sein? Selbst wenn John das größte Theater an der Supermarktkasse macht, hat uns in hier noch nie jemand vorgelassen, ganz im Gegensatz zu Friesoythe, meinem kleinen Heimatort, in dem uns schon häufiger Leute vorgelassen haben, obwohl ich dort viel seltener einkaufen gehe. In Berlin, jedenfalls in diesem Teil der Stadt, hat man keine Zeit für Wärme, Rücksicht, Mitgefühl und ähnlichen Quatsch. Hier sind wir hart und unnachgiebig, Leid passt nicht in unser Leben, Menschen, die anders sind, möchten wir in unserem Viertel am liebsten gar nicht haben, wir sind erfolgreich, schick gekleidet und unsere Kinder lernen schon mit fünf Jahren Chinesisch, da haben wir keine Zeit, irgendwelche behinderten Kinder an der Kasse vorzulassen, die sollen doch woanders hingehen, zum Beispiel in den Wedding, da müssen wir dann gar nichts davon wissen, dass es sie gibt; aber wenn sie wirklich darauf bestehen, hier zu wohnen, dann müssen sie sich eben damit abfinden, dass wir ihnen bestenfalls die kalte Schulter zeigen, wenn wir uns und unsere Kinder nicht gerade demonstrativ von ihnen wegzerren.

III
Im Park Sanssouci muss ich Johns Windel wechseln. Wir gehen auf die Schloss-Toilette, auf der nichts los ist. Die Toilettenfrau zeigt uns sofort die größte Kabine, in der ich ihn am besten wickeln kann. Als wir wieder herauskommen, schenkt sie John ein gebasteltes Papierschiffchen und redet freundlich mit ihm. Dass er nicht antwortet, stört sie nicht. Ich sage: „Er kann nicht sprechen“, woraufhin sie sagt: „Ich weiß. Aber er versteht bestimmt, wenn man ihm etwas schenkt.“ Die nette Toilettenfrau in Potsdam.

IV
Wir fahren im ICE und John wird die Reise lang. Mehrmals schon sind wir durch den ganzen langen Zug gelaufen, ich muss aber noch irgendwie eine Stunde bis Berlin rumbringen. Also nehme ich ihn mit ins Bord-Restaurant und kaufe ihm überteuerte Nudeln. Die verspeist er denn auch mit viel Freude. Eine halbe Stunde erkauft. Als ich bezahlen möchte, fragt die Kellnerin, ob er ein Eis essen darf. Ich, etwas irritiert: „Ja, schon.“ Sie zückt ein Eis hinter ihrem Rücken hervor und strahlt: „Das möchte ich ihm so gerne schenken!“ John freut sich, eine weitere Viertelstunde ist gesichert, wir sind schon kurz vor Spandau. Ich bedanke mich bei der Kellnerin, sie lächelt auf eine Weise, die ganz unaufdringlich und angenehm sagt: „Ich weiß Bescheid“. Vielleicht hat sie ein autistisches Kind in der Familie. Oder vielleicht ist sie einfach nur ein netter Mensch. Die patente Kellnerin im Bord-Restaurant des ICE Hannover-Berlin. Wenn die Toilettenfrauen und Kellnerinnen nicht wären, Menschen, die mir immer wieder zeigen, dass es auch anders geht, dass wir eben doch keine Aussätzigen sind, wenn es nicht auch solche Erfahrungen gäbe, dann würde ich vielleicht bald verzweifeln.

details.

Abends um elf saß ich auf dem Sofa und reparierte mit Sekundenkleber einen alten, scharzen Schuh. Er gehörte einer Frau aus der Reisegruppe, sie hatte sich zwei Tage lang mit ihrem Mann darüber gestritten, dass ihr Schuh kaputt sei, sie ihn aber nicht wegwerfen wolle, nur repariert haben, da sie in den Schuhen so gut laufen könne. Er aber wollte partout kein entsprechendes Geschäft mit ihr suchen. Ich erklärte mehrfach: das Hotel an der Friedrichstraße lag ungefähr 300 Meter von „Mister Minit“ im Bahnhof Friedrichstraße entfernt, how to get there, it’s very easy. Aber direkt am Hotel gab es ein Schuhgeschäft, und der Mann machte es zu einer Grundsatzdiskussion, nach mehr als 30 Jahren Ehe wird noch immer, oder gerade drum, um alles hart gefochten. Heutzutage noch Schuhe zu flicken, das sei doch lächerlich, nein, er bestand auf neuen Schuhen, man habe doch mehr als genug Geld. Da ich ständig in diese Diskussionen eingebunden wurde, und auch nicht wollte, dass sich das auf die Stimmung der ganzen Reisegruppe auswirkt, bot ich der Frau also am zweiten Tag an, nach der spätabendlichen Führung durch die Gemäldegalerie (donnerstags immer bis zehn geöffnet) die Schuhe vom Hotel aus mit Nachhause zu nehmen, und am nächsten Morgen repariert wieder mitzubringen, ein paar Minuten früher als das Treffen der Gruppe in der Lobby. Um kurz nach zehn kam ich also abends Nachhause, würde um kurz nach sieben wieder losmüssen, um das Kind in die Schule zu bringen und dann die Gruppe zur Besichtigung des Holocaust-Mahnmals abzuholen. Ich suchte den Sekundenkleber und saß dann des Nachts auf dem Sofa und klebte den ausgeleierten Schuh einer alten Kanadierin. Wie man aber auch immer in solche Situationen kommt, woher dieses Bestreben, Konflikte zu lösen, Harmonie herzustellen, auf alle Teilnehmer in der Gruppe Rücksicht zu nehmen. Das geht natürlich auf eigene Kosten, viele Frauen in diesem Job machen das, während Männer meistens cooler sind, die Leute sich selbst überlassen können, und dabei am Ende genauso viel oder wenig Trinkgeld bekommen, finanziell lohnt sich das nicht, nur viele Karten und Notizen bekomme ich am Ende immer: „Dear Monika, thank you for all your effort in making the city of Berlin a ‚wunderbar‘ place. We especially loved your personal touches, like getting us the English booklet at the concert hall and fixing my shoe.“

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