aura.

Richard Farrell in einem schönen Text über epileptische Anfälle: „In those weird seconds, as the aura passed from something subtle to something more sinister, everything that was happening, every detail, every sight, sound and smell, seemed to have happened before in the exact same order and sequence. I became intensely aware of things: the trees, the angle of sun, the curvature of the road, the crisp blueness of the sky, bluer than I’d ever seen it. The road bent around to the right and a guard rail separated it from a low wash filled with reeds. I felt like I knew what was waiting beyond the curve, even beneath the reeds. The world became hyper-real, an intensely emotional feeling, not of the brain or body but, please pardon the over-amped language, of the soul.“ [#]

(Wie sagt man eigentlich zu creative nonfiction auf Deutsch? Wenn man bedenkt, was für ein tolles Genre das ist, sollte man doch auch einen Begriff auf Deutsch dafür haben.)

Interview mit Richard Farrell: „Having two young kids at home makes the concept of a writing space seem romantic.“ [#]

priceless moments am wochenende.

Vater und Sohn auf dem Sofa, Scott spielt Gitarre und singt Paul McCartney’s Put It There, John schmiegt sich an ihn an.

~

[Sowieso totaler Musik-Fan wieder im Moment, das Kind. Ich frage ihn: „Willst Du tanzen?,“ dann kommt er angelaufen und stellt sich auf meine Füße, für ihn heißt tanzen, dass er sich beim anderen auf die Füße stellt und so führen lässt. Was zunehmend schwierig wird.]

~

Gestern auf dem Rückweg vom Mauerpark auf dem Spielplatz an der Gleimstraße, alle vier Schaukeln besetzt, wir stellen uns an, John ganz geduldig zuerst, als sich dann aber vielleicht zwei Minuten lang nichts tut, fängt er an, sich heftig in die Hand zu beißen, ich frage die Kinder, ob einer vielleicht John schaukeln lassen würde, drei sehen weg und tun so, als hätten sie mich nicht gehört, einer springt von der Schaukel und ruft: „Ich mach das! Ich lass ihn gerne schaukeln!“

erleben.

„Soweit meine Erinnerung zurückreicht, hat mir die Intensität des Lebens schon immer Schmerzen bereitet. Ich habe sehr früh verstanden, dass ich in einer Kultur lebe, die Trennung und Abnabelung trainiert. Doch selbst als erwachsene Frau hat alles um mich herum eine Persönlichkeit, von Brombeerblättern bis hin zu Biegungen des Baches, alles um mich herum sind Resonanzen, erweiterte Bilder von mir selbst. Meine Welt ist ein Ort, an dem die Menschen gleichzeitig zu schön und zu schrecklich anzusehen sind, ihre Münder sprechen Worte, die ich manchmal nicht höre, aber ich höre, wie ihr Herz zerbricht. Ich frage mich, wie die Welt es schafft, nicht taub zu werden vom Lärm aufgeregter Herzen und vom Getöse unvergossener Tränen und ungeweinter Freude.“

[Dawn Eddings Prince, Autistin, in: Ethos. Journal of the Society for Psychological Anthropology, Vol. 38, Issue 1, 2010.]

(Dieses Zitat habe ich in der Recherche zu meinem Autismusbuch gefunden. Nur so viel nochmal zur angeblich eigenen Welt, in der Autisten leben.)

unbehagen.

Vorgestern in zibb ein Portrait einer Familie mit zwei autistischen Kindern.

Angekündigt wird der Bericht mit den üblichen Klischees: für Eltern gehöre es zu den schönsten Momenten, ihr Kind in den Arm zu nehmen und zu kuscheln, aber die Eltern von Annika und Sebastian müssten darauf weitgehend verzichten, denn ihre Kinder „sind Autisten, das heißt, sie leben oft in ihrer eigenen Welt, die Nähe und Kommunikation kaum zulässt. Die beiden Geschwister leiden an einer angeborenen und unheilbaren Entwicklungsstörung des Gehirns.“ Stolze 26 Sekunden Intro und wir haben schon die üblichen Schlagworte gehört: eigene Welt, keine Nähe, und natürlich /leiden/ die Kinder an Autismus.

Noch in der Intro allerdings die tröstliche Nachricht an den Zuschauer: die Eltern „versuchen, das beste draus zu machen.“ Was heißt das, dass die Eltern versuchen, das beste draus zu machen? Es impliziert vor allem eine Insuffizienz der Kinder, was sowohl ignorant als auch herablassend ist. Oder würde man bei zwei nicht-behinderten Kindern auch so berichten: die Eltern versuchen, das beste draus zu machen?

Im Bericht selbst wird die Wendung der eigenen Welt dann erfolgreich totgeritten, insgesamt fünf Mal in vier Minuten begegnen wir dem Klischee von der eigenen Welt, in der die autistischen Kinder angeblich leben. Wir erfahren, beim zweiten Kind seien die Eltern „nicht mehr so tief gefallen“, als die Diagnose kam. Die Aneinanderreihung von stereotypen Wendungen aus dem Wortsetzbaukasten Autismus geht also weiter, hier mit dem gerne zitierten Mythos des Schocks, den die Diagnose bedeutete. Dieser Mythos wird in Berichten über Autismus gerne zitiert, ich kann nur sagen, dass es bei mir überhaupt nicht so war, und ich kenne auch andere Eltern autistischer Kinder, die es nicht so empfunden haben. An den Ausführungen der Mutter im Bericht merkt man, dass sie mit der Frage nach dem „tiefen Fallen“ auch nicht viel anfangen kann, sie antwortet: „Was nützt es, sich da tief fallen zu lassen, es sind unsere Kinder.“

Im weiteren Verlauf sehen wir dann plötzlich Kinder, die eigentlich ganz glücklich aussehen, und eine Familie, die glücklich wirkt. Annika sitzt auf dem Schoß des Vaters und spielt mit ihm. Wie das? Nun, wir erfahren, dass sich Annika zum Beispiel bei Musik doch durchaus öffne (diese Anspielung auf die eigene Welt habe ich oben noch nicht einmal mitgezählt), und wir sehen, dass auch Sebastian sowohl in seinem Rahmen kommuniziert als auch Spaß hat am Blättern in einem Traktorbuch. Das sind also die Kinder, von denen in der Intro gesagt wurde, aufgrund ihres Autismus müssten die Eltern weitgehend darauf verzichten, sie in den Arm zu nehmen und mit ihnen zu kuscheln? Wir sehen, wie Annika in den Armen der Mutter mit ihr durch die Küche tanzt, eine fröhliche und sehr nahe Szene. Je weiter wir in die vier Minuten und sechzehn Sekunden des Berichtes hineinkommen, umso größer wird die Diskrepanz zwischen Bild und Text.

Es lässt sich vielleicht nur dadurch erklären, dass der Bericht auf eine recht krude Weise die These zu transportieren versucht, Annika und Sebastian hätten sich vor allem auch durch eine Verhaltenstherapie aus den USA /geöffnet/. Der Vater sagt bewusst vorsichtig, er denke, die Therapien hätten dazu beigetragen. Die beiden Kinder haben Co-Therapeuten, die fünf Tage die Woche an sechs Stunden pro Tag mit ihnen zusammen sind. Das ist auch ganz verständlich, denn wir erfahren, dass beide Eltern berufstätig sind, da brauchen sie natürlich jemanden, der sich nachmittags um die Kinder kümmert.

Wissenschaftlich ist es dabei allerdings völlig unerwiesen, ob die Verhaltenstherapie einen Nutzen hat. Mein Eindruck ist, dass das Entscheidende der Kontakt an sich ist: wenn die Kinder jemanden haben, der mit ihnen intensiv in Kontakt tritt (das können Einzelfallhelfer, Pflegekräfte, von mir aus auch Co-Therapeuten genannt, sein oder auch die eigenen Eltern, ich würde es aber nicht Therapie nennen, sondern Zusammensein), entwickeln sie sich ganz natürlich weiter. Wie bei jedem anderen Kind findet Entwicklung einfach statt, im Kontakt zu anderen, und das gilt auch für autistische Kinder. Letztlich scheint es mir ebenso einfach wie groß zu sein: solange man ihnen Zeit, Geduld und Liebe schenkt, und sich das Leben gemeinsam schön macht (was etwas ganz anderes ist, als „das beste draus zu machen“), können autistische Kinder gedeihen und auch glücklich sein, gemeinsam mit uns in einer Welt.

Interessanterweise sehen wir all das in den Bildern dieses Berichtes ganz wunderbar – wenn nur der Text nicht wäre, den man in seinen Stereotypien vielleicht als autistisch bezeichnen könnte, wenn man dazu geneigt wäre, solche Metaphern zu verwenden.

you have to be there to understand.

„I visited the National Gallery of Art when I was three months pregnant with my daughter Iz, who is now thirteen. I had never been fond of abstract art, but upon walking into a room full of Rothkos — experiencing their luminous, subtle color play in person, at full scale, I wanted to fall to my knees and shout, „I’m sorry! I get it now!“

It’s like that with Leo. You have to be there, watching, intensely, in person, to understand what he’s about. If you focus only on the obvious things — not speaking much, getting easily frustrated, obsession with food — you’ll miss the little things, the sly things, the actions that reveal not just his capability but his potential.“ [#]

an später denken.

Sonntag waren wir in der Matinée, Barenboims Klavier-Zyklus in der Staatsoper im Schillertheater, Schubert. Immer noch große Barenboim-Fanin. Wenn ich das Geld hätte, würde ich zu jedem seiner Konzerte gehen, ich glaube nicht, dass ich daran ermüden könnte.

Montag Nachmittag habe ich Isas Wirsing-Quiche nachgekocht. Ich möchte immer auch mal ein Rezept von Anke nachkochen, aber Isa hatte schon wieder ein Rezept, dessen Zutaten ich gerade Zuhause hatte, einen halben Wirsing, also voilà. Lecker, sehr lecker.

Montag Abend war ich im Haus Rosemarie Reichwein der Spastikerhilfe Berlin beim Vortrag An später denken von Carola von Looz, die Betreuungsrichterin und selbst Mutter einer Tochter mit geistiger Behinderung ist.

Wenn Eltern ein Kind mit einer schweren geistigen Behinderung bekommen, leisten sie einen Schwur: „Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, damit es Dir gut geht. Ich werde mich um Dich sorgen, solange ich lebe. Ich werde immer für Dich da sein.“ Aber was kommt danach? Was ich vernommen habe: eine sanfte, aber deutliche Warnung, dass Eltern dazu neigen, zu feste Strukturen für ihr Kind zu planen. Zeiten ändern sich, Umstände ändern sich, Menschen ändern sich. Die Strukturen, die man plant, sollten so flexibel sein, dass sie auch mit solchen Veränderungen noch funktionieren. Am besten geeignet: Netzwerke. Sie sind offener und zugleich sicherer als eine Engführung, die beispielsweise an eine einzige Betreuungsperson gebunden ist. Verwandte, Freunde, Nachbarn, Ärzte, Therapeuten: diejenigen, die mit dem Kind bzw. dann erwachsenen Menschen mit Behinderung zu tun haben, sollten einander kennen, Kontaktdaten haben, und eine gute Meinung voneinander (wozu man selbst beitragen kann).

Das innere Leben eines Menschen bleibt weitestgehend sein Geheimnis. Das gilt im Besonderen, wenn jemand nicht sprechen kann, aber dennoch gilt auch für ihn oder sie: das Leben findet in der Seele statt, gespeist von Sinneseindrücken. Keine Regelungen, die Kinder zu Statisten in ihrem eigenen Leben machen. Nicht zu viel vom Eigenen vorgeben. Zulassen, dass sie nicht nur durch die Eltern abgeleitete Beziehungen haben.

Was macht ein erfülltes Leben aus? Viele Eltern konzentrieren sich in der Sorge um ihr schwerbehindertes Kind darauf, dass es jederzeit sicher und schmerzfrei sein soll. Für unser eigenes Leben hingegen sind das nicht die Kriterien, die ein erfülltes Leben ausmachen. Wichtiger ist uns zum Beispiel, dass wir schwierige Situationen gemeistert haben, dass wir daran gewachsen sind. Wichtiger sind uns Kontakte zu Menschen. All das gilt auch für einen Menschen mit einer schweren Beeinträchtigung. Glücklichsein begründet sich nicht alleine in Schmerzfreiheit und Sicherheit.

Die erste Beerdigung, die das eigene Kind besucht, sollte idealerweise nicht die des Vaters oder der Mutter sein. Auch Trauer muss eingeübt werden.
(Methoden an die Hand geben, Trauer zu verarbeiten.)

Das Bewusstsein der eigenen Biografie ist sehr wichtig, für jeden Menschen. Ein Kind mit einer schweren geistigen Behinderung, zumal wenn es nicht spricht, kann dieses Bewusstsein aber nicht selbst durch die Zeit transportieren, und andere Bezugspersonen wechseln meistens im Laufe der Zeit. Dies ist die besondere Aufgabe der Eltern. Wir sind Zeitzeugen des Lebens unserer Kinder. Mit uns stirbt alles, was wir nicht aufgeschrieben haben beziehungsweise hinterlassen. Frau von Looz regte an, einen sogenannten Lebensordner anzulegen, in dem alles Wichtige dokumentiert wird: Umzüge, wichtige Veränderungen, Highlights im Leben, Reisen, Krankheiten etc. Wer sich das Schreiben nicht selbst zutraue, könne sich an ein Schreibbüro wenden. Fotos sind dabei natürlich auch von großer Bedeutung.
(Ich muss an den bewegenden Moment denken, als Sabine sich das Video ihrer Reise nach New York ansieht, in Ihr Name ist Sabine.)

Wichtig neben Personen sind aber auch Bilder von Orten, Zimmern, Gegenständen und Wegen. All das wird irgendwann weg sein, anders sein, aber die Bilder können es der Tochter oder dem Sohn in Erinnerung rufen.

Fotos von Ritualen der Familie. Die innigen Momente, die so wesentlich sind, und von denen man dennoch – ausgerechnet – meistens keine Abbildung hat.

Was mir dabei einfiel, und was im Vortrag nicht erwähnt wurde: Weblogs haben das natürlich alles revolutioniert. Wenn ich nur daran denke, wie lange ich schon Kristina Chew lese oder Shannon des Roches Rosa, um zwei Beispiele zu nennen: würde ich Charlie oder Leo begegnen, wenn sie 40 oder 50 Jahre alt sind, dann wüsste ich, wann sie Fahrrad fahren gelernt haben oder ihr erstes iPad bekamen, welche Apps Leo mochte und dass Charlie immer gerne Burritos aß.

Bildnis des Weblogs als Lebensordner.

Interview: My baby rides the short bus, natürlich KQED.

was man im februar wissen muss.

Was man noch so an Wärme im Herzen trägt, droht sich im Februar bekanntlich langsam dem Ende zu neigen, da stellt man sich gewisse Fragen, zum Beispiel in Erinnerung an das – for lack of a better adjective – großartige (wundervolle? überraschend berührende? aushebelnde? ) Konzert im Festsaal Kreuzberg: wann gibt es endlich wieder ein neues Album der Great Lake Swimmers? Am 3. April.

Keine Tourdaten für Europa und hm, das ist noch ziemlich lange hin. Versuchen wir es anders: wann kommt Jon Hamm endlich zurück? Am 25. März.
(„For those of you that have been anxiously counting down, that marks 525 days since the Season 4 finale. Oh how we’ve missed you, Don Draper.“)

Schon besser, sind aber immer noch über fünf Wochen. Gibt es vielleicht einen richtig, richtig guten Film, der die Seele von jetzt bis ganz dahin stärken kann? Zum Glück ja: Die Frau mit den 5 Elefanten.
(„Warum übersetzen die Menschen? Das ist die Sehnsucht nach etwas, was sich immer wieder entzieht.“)

Ansonsten: Hamann-Schokolade
(„Erich Hamann, Sohn eines kinderreichen Memeler Reeders und Kapitäns, musste sehr früh ein Handwerk erlernen. Erich wurde Konditor.“)

und TLC anstatt mit dem Partner zu lange darüber zu diskutieren, ob Radioheads OK Computer oder Kid A das bessere Album ist.

e-books can’t burn.

„The literary experience does not lie in any one moment of perception, or any physical contact with a material object (even less in the “possession” of handsome masterpieces lined up on our bookshelves), but in the movement of the mind through a sequence of words from beginning to end. More than any other art form it is pure mental material, as close as one can get to thought itself. Memorized, a poem is as surely a piece of literature in our minds as it is on the page. If we say the words in sequence, even silently without opening our mouths, then we have had a literary experience—perhaps even a more intense one than a reading from the page. It’s true that our owning the object—War and Peace or Moby Dick—and organizing these and other classics according to chronology and nation of origin will give us an illusion of control: as if we had now “acquired” and “digested” and “placed” a piece of culture. Perhaps that is what people are attached to. But in fact we all know that once the sequence of words is over and the book closed what actually remains in our possession is very difficult, wonderfully difficult to pin down, a richness (or sometimes irritation) that has nothing to do with the heavy block of paper on our shelves.“ [#]

(Schöner Text von Tim Parks, interessant auch der Gedanke, dass e-books das Browsen weniger ermöglichen als Bücher, irgendwie ja entgegen der Intuition.)

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