tddl 2011 [anna praßler: narration im neueren hollywoodfilm].

Die beiden neuesten Stofftiere meines Sohnes: Charlie Brown und Snoopy. Charlie Brown sagt: „That’s the secret to life… replace one worry with another.“

Bevor mehr bestellte Bücher in der Stadtbibliothek ankamen, hatte ich nur noch Anna Praßlers (vor drei Jahren also noch ohne Mittelnamen unterwegs) Narration im neueren Hollywoodfilm zur Verfügung. Ein wissenschaftliches Buch, also wenig Prognoseversprechen für den Bachmannbewerb, dennoch, vor zwei Jahren hatte ich schließlich auch Bruno Preisendörfers Sachbuch Bildungsprivileg gelesen und es war ein kleines bisschen aufschlussreich.

Leider habe ich mit Anna Praßlers Analyse ein Problem, das weniger Anna Praßler anzulasten ist als der deutschen Universitätslandschaft, die ihre Studenten auf fremdwortlastige, meta-theoretische und formal wie inhaltlich möglichst undurchsichtige Diskurse trimmt. Ich halte es der Academia weniger vor, dass sie sich abkapselt (obwohl auch das nicht unproblematisch ist, wenn man von Steuergeldern abhängt), sondern vielmehr, dass sie sich in der Spirale ihres Diskurstaumels von den Werken selbst auch immer weiter entfernt. Jedenfalls breche ich das Unterfangen auf S. 41 ab. Was mir auffiel, waren so Sachen wie doppelte Genitive, etwas altmodische Formulierungen (gleichwohl), qua dies und qua das, und teils nicht gerade elegante Satzkonstruktionen. („Kaum hat Phil den Anruf des Krankenhauses ob Lindas Rettung nach ihrem Suizidversuch an Jack weitergereicht, wendet er sich zum Bett, um Laken und Decken zu ordnen, bis er allzu bald fortzufahren nicht mehr in der Lage ist.“)

Schlüsse für den Bewerb kann ich nicht ziehen, weil all das wohl auf den Zustand des geisteswissenschaftlichen Diskurses zurückzuführen ist und in einem belletristischen oder literarischen Text vielleicht (hoffentlich) so nicht vorkommt.

Buchbesonderheit: oben rechts und ein bisschen auch oben links ist das Cover so angebissen, wie John dies mit Büchern gerne macht. (Ich habe das Buch aber schon so aus der Bibliothek bekommen.)

tddl 2011 [maximilian steinbeis: pascolini].

Am Wochenende wieder mal Ausflug aufs Land, in Bad Freienwalde den Hügel zum Aussichtsturm erklommen, oben dann Pause mit Pascolini.

Eine rasante Geschichte, der erste Tote schon auf S. 28: mit einem schmiedeeisernen Schürhaken wird ihm mit einem einzigen Hieb die Schädeldecke zertrümmert. Trotzdem erscheint mir die Geschichte schnell sehr behäbig. Liegt es am schwerwiegenden Setting in der bayerischen Provinz oder vielleicht doch am Erzählstil? Nägel werden bleckend zwischen den Zähnen festgehalten, Lederhosen sind speckig, der Lauf des Revolvers glänzt schwarz-stählern. Neben einem Wust an Adjektiven, die die Erzählung überladen (und stellt sich nicht jeder Leser eine Lederhose schon von alleine speckig vor?), sorgen ausufernde Beschreibungen für (zu viel) Atmosphäre, so zum Beispiel die Beschreibung eines Flügels:

„Nichts Protziges, kein Renommierstück in schwarzweiß funkelnder Abendgarderobe, sondern ein braves braunes Gerät von behaglichen eins sechzig Metern Länge aus dem Leipziger Hause Blüthner, mit gedrechselten Säulchen und Perlmutteinlage über der Tastatur, geschaffen für jene halb private und halb öffentliche Praxis, die man mit dem schönen Wort Hausmusik bezeichnet. Er stand in dem kleinen Saal im hinteren Teil des Hauses, auf einem niedrigen Podest, in das man links und rechts je drei Stufen eingelassen hatte, als behäbiger Mittelpunkt einer etwas zerzausten Schar, bestehend aus einem Buffetschrank an der Wand, hinter dessen Glasscheiben zerfledderte Stapel von Notenbänden lagerten, aus einer Gruppe zusammenfaltbarer Notenständer, die ihre dürren Metallarme umständlich in alle Richtungen reckten, sowie aus einem in feldgraues Leinen gehüllten Violoncello, das einst dem Professor gehört hatte und seit dessen Ableben nebst Bogen stumm und plump an einer Hakenleiste an der Wand hing.“

Die detailreichen Beschreibungen sowohl der Personen als auch der Orte und Dinge machen mich nach etwa 50 Seiten sehr ungeduldig, Abbruch bei S. 68, mich interessiert das leider nicht weiter. Vielleicht ist es einfach zu heiß und zu schwül für so viel Dichte. Wem fabulierende Texte gefallen, der wird diesen Roman wahrscheinlich toll finden. Mir ist das Ganze manchmal einfach zu Käpt’n Blaubär: „Aus dem dünnen Frühnebel ragte mir eine Ecke des scheinbar verlassenen Gasthofgebäudes entgegen wie ein algenbehangener Schiffsbug. Ich fror mit einemmal unter meinem dünnen Mäntelchen.“

Prognose für den Bewerbstext, wenn er diesem Roman ähnelt: solide, fehlerlos recherchiert, wenig experimentell, leider aber auch sehr ausstaffiert. Durchaus ein möglicher Kandidat für einen Preis, ich sehe die Jury sowas mögen, sie werden sagen, wie schön das erzählt sei und so.

Unklare Physiognomie: eine sandige Kinnlade.

Freundliches Organ: Nase („Seine Nase war ein freundliches, durchaus kräftiges, dabei aber eher abgeplattetes Organ.“)

tddl 2011 [juroren und autoren].

Antonia Baum: Hubert Winkels
Michel Božiković: Hildegard E. Keller
Nina Bußmann: Paul Jandl
Gunther Geltinger: Alain Claude Sulzer
Maja Haderlap: Daniela Strigl
Thomas Klupp: Hubert Winkels
Steffen Popp: Meike Feßmann
Anna Maria Praßler: Burkhard Spinnen
Julya Rabinowich: Daniela Strigl
Leif Randt: Alain Claude Sulzer
Linus Reichlin: Meike Feßmann
Anne Richter: Hildegard E. Keller
Maximilian Steinbeis: Burkhard Spinnen
Daniel Wisser: Paul Jandl

pädagogik paradox.

Autisten-Schule schmeißt autistischen Jungen raus: Es ist nicht das erste Mal, bei Weitem nicht, John hatten sie gar nicht erst genommen, es gibt andere Kinder, die aus den Autistenschulen als unbeschulbar hinausgeworfen und danach in Fürstenwalde bestens beschult wurden. Mir fällt ein Stein vom Herzen, endlich öffentliche Aufmerksamkeit gegenüber der fragwürdigen Praxis des Berliner Landesverbands von „Autismus Deutschland“, Fördergelder einzustreichen und dann die Kinder, für die es diese Fördergelder gibt, nicht zu beschulen. Danke, Christian Füller und danke, Spiegel.

(Es ist merkwürdig zu lesen, wie eine andere Familie genau das gleiche durchmacht, wie wir es hinter uns haben. Ich hatte mit der Mutter letztens lange telefoniert, ihr Kind wird wie John den Weg nach Fürstenwalde gehen.)

tddl 2011 [erste vorbereitungen].

Während Spanien von Deutschland wegen des Rumgurkens enttäuscht ist, bin ich alles andere als enttäuscht von Spanien: die Polizei in Barcelona hat elf Monate nach dem (ungemeldeten, weil erst in Frankreich bemerkten) Diebstahl unserer Kamera selbige bei einer Festnahme inmitten von lauter Diebesgut sichergestellt, sich die Fotos angesehen, auf einem Bild vom Pool entdeckt, dass der Name des Ferienhauses in den Beckenrand eingefliest war, die Besitzer des Ferienhauses in England ergoogelt und ihnen das auf dem Chip gespeicherte Datum des Poolbildes gemailt, die Besitzer machten uns aufgrund des Vermietungszeitraums als Besitzer der Kamera aus, leiteten uns die Mail der Barcelonaer Polizei weiter (gmail-Account, wtf? Ist aber wirklich die Polizei) und nun bekommen wir nach Kommunikation zwischen London, Berlin und Barcelona tatsächlich unsere Kamera samt aller verloren geglaubten Urlaubsbilder zurück. (Ich stelle mir vor, wie die Polizei sich durch 500 Bilder klickt, um irgendwie herauszufinden, wem die Kamera wohl gehören könnte, das ist also Polizeiarbeit, Tatort, take that.)

Aber ich wollte über den Bewerb schreiben, der dieses Jahr unverschämterweise nicht im Juni stattfindet. Man hat ihn in den Juli und damit in die Sommerferien verschoben, wenn ich vollauf mit Johnchenmann beschäftigt bin und keine Zeit für den Bewerb habe.

(Wieder mal eine schöne Frage von Denis Scheck in der letzten Sendung Druckfrisch: „Stören Kinder beim Denken?“ Schade, dass Hannelore Schlaffer keine Kinder hat und die Frage daher nicht beantworten konnte. Katzen stören jedenfalls nicht beim Denken, sagte sie. Das glaube ich gerne, ha.)

Werde ich den Bewerb also dieses Mal ganz sich selbst überlassen? Zuerst dachte ich das, dann aber konnte ich natürlich der Versuchung nicht widerstehen, mir die Autorenliste anzusehen. Die haben dieses Jahr lustige Nachnamen wie Klupp und Popp, unmöglich, das so einfach zu ignorieren! Autoren wurden entwurzelt und umgetopft (Rabinowich) und studierten Theaterwissenschaften (Haderlap), was meinen ehemaligen Dozenten Schwind sofort auf die Palme gebracht hätte, ich sehe ihn vor meinem inneren Auge im Mainzer Philosophicum explodieren: „Es gibt nur eine Theaterwissenschaft! Woher soll dieser Plural kommen? Was sind denn das für verschiedene Wissenschaften? Wer hier meint, er studiere Theaterwissenschaften, der kann gleich nach Hause gehen.“

Unmöglich, den Bewerb ganz sich selbst zu überlassen. Also klickte ich gleich weiter zu Vöbb und suchte mir mein Vorbereitungspaket zusammen, das wird einem durch das Internet heute aber auch alles viel zu leicht gemacht. Die Bibliotheks-Schlagwörter zu Thomas Klupps „Paradiso“ übrigens: Junger Mann ; Reise ; Bindungslosigkeit ; Belletristische Darstellung. Die Inhaltsbeschreibung: Der junge Ich-Erzähler fährt per Anhalter nach München. Auf der Fahrt trifft er Menschen unterschiedlicher Art. Diese Begegnungen sind willkommener Anlass, die eigene unreife Lebens- und Wertewelt auszubreiten.

Habe ich natürlich sofort bestellt, die Ausbreitung unreifer Lebens- und Wertewelten. Das macht der Bewerb mit einem.

Anzahl der Inselschreiber im Bewerb: 1 (Geltinger). Wir werden zur Zeit des Bewerbs auf Texel sein, angeblich mit Internetanschluss, also theoretisch mit Stream-Möglichkeit. Solange ich noch keine inhaltlichen Aussagen treffen kann, ist Geltinger wegen Inselkoinzidenz mein vorläufiger Favorit.

Erste Lektüre nun: „Pascolini“ von Maximilian Steinbeis

das leben lebt. (so vor sich hin.)

Mit Sohn und Mann in alten Gipsbrüchen spazieren gegangen (Sperenberg)
Ganztägige Sitzung, Patientenvertreterin (Mitte)
Mit Sohn und Mann auf einen Wasserturm gestiegen (Joachimsthal)
Mit Sohn, Mann und einer Freundin am Paul-Lincke-Ufer spazieren gegangen (Kreuzberg)
Mit zwei Freundinnen am Savignyplatz Essen gewesen (Charlottenburg)
Mit Sohn und Mann durch den Treptower Park gelaufen (Treptow)
Den kleinen Franz besucht (Prenzlauer Berg)
Onkel und Tante die geliehene Grillpfanne zurückgebracht (Charlottenburg)
Mit dem Kind zum Friseur gegangen (Kreuzberg)
Die Post einer befreundeten abwesenden Familie aus dem Briefkasten geholt (Schöneberg)
Mit Sohn, Mann und ehemaligem Einzelfallhelfer bis abends halb elf auf der Terrasse herumgesessen (Treptow)
Mit Sohn und Mann um die Krumme Lanke gelaufen (Zehlendorf)
Mit Freunden und Mann auf der Dachterrasse des Waschhauses Essen gewesen (Köpenick)
Zwei Bibliotheken (Treptow, Kreuzberg)
Mit Mann Before night falls angesehen (Treptow)
Mit Sohn und Mann zum Termin beim Kinderpsychiater (Schöneberg)
Mit Freunden Zuhause Tee getrunken (Treptow)
Zahnarzt (Mitte)
Mit Sohn und Mann ins Krankenhaus gefahren (Neukölln)
Johns Fuß nur verstaucht, nichts gebrochen, Kind aber Zuhause statt in der Schule (Treptow)
Meine Eltern zu Besuch (Prenzlauer Berg)
Immerhin die ersten 98 Seiten meines Autismusbuchprojektes überarbeitet (hätte laut eigenem Zeitplan sein sollen: 200)

flourish. (is happiness overrated?)

„People find meaning in providing unconditional love for children,“ writes Dr. Brooks, who is now president of the American Enterprise Institute. „Paradoxically, your happiness is raised by the very fact that you are willing to have your happiness lowered through years of dirty diapers, tantrums and backtalk. Willingness to accept unhappiness from children is a source of happiness.“ [#]

rise to me.

„Hey Henry, can you hear me,
let me see those eyes
this distance, between us
can seem a mountain size
but boy, you are gonna stand your ground
they rise to you you’ll blow them down
let me see you stand your ground
they rise to you you’ll blow them down“

(The Decemberists, Rise to Me. Ich weiß nicht, wie oft ich das neue Album der Decemberists schon gehört habe, aber erst heute lese ich zufällig, dass Colin Meloy einen vierjährigen Sohn hat, der Autist ist, und dass dieses Lied davon handelt, ein autistisches Kind großzuziehen. Vielleicht hat es mich unbewusst deshalb angesprochen und jetzt fällt der Groschen.)

wege 2011.

Gut, dass in meinem Küchenradio immer Deutschlandfunk läuft, so hörte ich in der Reihe „Lebenszeit“ letzte Woche Freitag einen sehr interessanten Beitrag über häusliche Pflege (mit Audio-Link). Zu Gast unter anderem einer der Organisatoren des Sternmarschs „Wege 2011,“ die Organisatoren treten mit einer geradezu revolutionären Idee auf: sie wollen, dass die Pflegeleistungen für Zuhause Pflegende den Leistungen angepasst werden, die für Pflegeeinrichtungen bezahlt werden, und sie wollen damit dem eklatanten Ungleichgewicht im Pflegegesetz entgegenwirken, das von der natürlichen Selbstausbeutung der Angehörigen lebt.

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