97 wochen.

Irgendwie muss dieses Weblog auch im Jahr 2018 ankommen, also nun. Wir haben ein Bild gekauft, das ist die große Nachricht zu Beginn des Jahres. Ein Bild der Künstlerin Katia Kelm, von der ich auf Anhieb 3-10 weitere Bilder kaufen könnte, weil mir so viele ihrer Bilder so sehr gefallen. Unser Bild heißt „Der Aufstieg.“ Schon als Katia es das erste Mal auf Instagram gepostet hatte, noch unfertig, habe ich mich sofort in dieses Bild verliebt. Nun also haben wir es gekauft und es hängt in unserem Wohnzimmer, wo es sich so schnell und geschmeidig eingelebt hat, dass es schon nach einer Stunde so war, als wäre das Bild schon immer da gewesen.

In gewisser Weise vervollständigt es uns, nachdem wir letztes Jahr den Grabstein für Johns Grab gekauft haben. Seitdem freuen wir uns praktisch jeden Tag darüber, dass wir den Stein gekauft haben. Auf dem Friedhof haben wir also den Stein und Zuhause jetzt das Bild. Nun haben wir an beiden Orten, die für uns Zuhause sind, einen John-Anker. Ich kann gar nicht so genau sagen, warum mich das Bild so anspricht, vielleicht, weil es dem Tod etwas Leichtes zufügt, definitiv etwas Überraschendes, oder weil es der offensichtlichen Schwere auch eine gewisse Normalität zugesteht, jedenfalls finde ich darin ganz vieles wieder, was mich bewegt und auch, was mir unerwartet begegnet ist in der Trauer. Das ist alles noch nicht zuende gedacht, ich denke ständig andere Sachen, wenn ich das Bild ansehe.

Vielleicht gerade weil Johns plötzlicher und unerwarteter Tod so brutal und in jedem Sinne schwer war, haben wir das Bedürfnis, ihm mit Ruhe und einer Form von Leichtigkeit zu begegnen. An Johns Grab zu sitzen hat etwas Sanftes, das Gegenteil dessen, was passiert ist. Nur dort auf dem Friedhof, am Grab, ist alles ganz klar. Wir haben nichts in der Hand als das. Wir können die Radikalität des Todes nur durch das Gegenteil aufzufangen versuchen. Ruhe und Geduld.

Wissenschaftler sagen, Trauernde brauchen Resilienz. Ich mag das Wort nicht. Hinter dem Fremdwort versteckt man das eigentliche Wort, Widerstandsfähigkeit, und im Widerstand schwingt ein kämpferischer, antagonistischer Unterton mit, der mir unpassend scheint. Ich sage lieber: Ruhe und Geduld. Nicht etwa zu verwechseln mit Gelassenheit oder Zufriedenheit. Ich weiß nicht, wohin mit mir ohne John. Selbstverständlich bin ich weder gelassen noch zufrieden. Aber ich bin ruhig und geduldig. Ich weiß, im Moment muss ich nur ertragen. Ich habe keine andere Aufgabe, denn diese ist schon riesig genug. Die ultimative Ambivalenz auszuhalten zwischen Liebe und Tod.

Vor kurzem bin ich über ein Zitat von Thomas Mann gestolpert: „Beherrscht dich ein Gedanke, so findest du ihn überall ausgedrückt, du riechst ihn sogar im Wind.“ In der Trauer entsteht da eine Leerstelle, weil eine sichtbare Referenz fehlt. Ist man schwanger, sieht man plötzlich überall Schwangere, Kinderwagen und Kleinkinder. Wir beziehen die Welt auf uns, deuten sie auf uns zu, das weiß man alles. Aber den Tod sieht man nicht. Als verwaiste Mutter kann ich keine anderen verwaisten Mütter sehen, es sei denn natürlich ich begebe mich explizit in eine Trauergruppe, die aber schon wieder eine abgeschiedene Welt darstellt. Im Alltag fehlen die sichtbaren Anhaltspunkte und so schwebt man weitgehend referenzlos durch die Gegend, kann seine Gefühle nicht ständig hier und da im Umfeld andocken.

Trauer wird in der Gesellschaft eine Außenseiterstellung zugesprochen. Jemand ist in Trauer: Wenn das gesagt wird, schwingt mit, der- oder diejenige sei im Grunde momentan nicht ganz zurechnungsfähig. Das mag für die ersten Monate tatsächlich durchaus gelten, aber irgendwann ist man wieder zurechnungsfähig, geht arbeiten und beim Griechen um die Ecke essen, lebt ein von außen vielleicht nahezu normal scheinendes Leben. Dann wird angenommen, die Trauer sei vorbei. Mitnichten, sie ist immer noch da, groß und unüberwindbar. Sie hat sich ins Leben integriert, aber das heißt eben nicht, dass sie vorüber ist oder jemals vorüber sein wird. Dieser Sarg wird, wie im Bild, immer wieder aufspringen.

Der einzige andere Gefühlszustand, dem man noch am ehesten zuschreibt, er mache temporär unzurechnungsfähig, ist das Verliebtsein. Trauer ist dem Verliebtsein überhaupt sehr ähnlich, denn Trauer ist pure Liebe zu dem Menschen, der gestorben ist. Und wie die Liebe im Glücksfall bleibt, so auch die Trauer. Wie die Liebe sich nach der ersten Aufregung in das Leben integriert, so die Trauer. Ich weiß nicht, warum mich diese Erkenntnis überrascht hat. Aus der heutigen Warte kommt mir das wie eine Selbstverständlichkeit vor. Ich hatte das vorher einfach nicht begriffen, weil man immer von den Trauerphasen hört und liest und allgemein angenommen wird, es gebe so etwas wie ein Trauerjahr usw. Ich habe einfach in meinem Umfeld und in meinen Lektüren nicht mitbekommen, dass die Trauer so ist: dass sie ein Teil des Lebens werden kann, dass sie bleibt und dass das nicht schlimm ist, weil sie nämlich der letzte Teil der Liebe ist, wenn man diese ganz zu Ende zu gehen gezwungen ist. Dieser letzte Teil bleibt, wie all die anderen davor, er gehört dazu. Trauer ist kein Außenseiter, sondern wie die Liebe (und als Teil der Liebe) mitten unter uns. So wie der Tod mitten unter uns ist, was wir ja aber heutzutage auch eher verdrängen.

Als wir letzten Oktober meine Eltern und meinen Bruder besucht haben, waren wir in der landesgeschichtlichen Ausstellung im Schloss Oldenburg. In einem Raum kann man die Kleider ansehen, die Graf Anton Günther im Sarg getragen hat. Gestorben im Juni 1667, fand die Beerdigung erst vier Monate später statt. Dazu wurde sein Leichnam in einen Sarg gebettet, der nach oben hin am Kopfende ein Sichtfenster hatte, zunächst damit sich das Volk von ihm verabschieden konnte, aber danach wurde er im Keller der Lambertikirche auf einem Hochaltar ausgestellt und die Besucher konnten durch das Fenster den Prozess der Verwesung verfolgen. Laut Informationstafel besuchte 1753 der Cousin von Gotthold Ephraim Lessing, Christlob Mylius, Oldenburg und schrieb: „Ich stieg auch hinunter in das gräfliche Begräbniß unter dem Altare, wo ich diesen Grafen, wiewohl sehr verweset, noch im Sarge liegen sah.“

Mehr als 80 Jahre nach dem Tod konnte man also immer noch den Prozess der Verwesung mitverfolgen. Auf der Informationstafel steht, dass der Sarg schließlich 1937 geöffnet wurde. Nur die Kleidung war noch erhalten. Heute sehen wir uns nicht nur gar keine Verwesung mehr an, heute wollen wir von Tod und Trauer allgemein möglichst wenig reden und wissen. Nicht, dass ich durch das Sichtfenster eines 80 Jahre alten Sarges sehen möchte, aber ein bisschen zu weit getrieben haben wir es mit der Verdrängung meiner Meinung nach schon.

Da stimme ich Caitlin Doughty zu, deren Buch Fragen Sie Ihren Bestatter ich kürzlich gelesen habe. In dem Buch geht es um viele Dinge, die spezifisch amerikanisch sind (zum Beispiel um das sinnlose Einbalsamieren), und insofern lässt sich der Bestseller nur bedingt nach Deutschland übertragen. Aber der Grundbotschaft, dem Tod offener und neugieriger zu begegnen, stimme ich vollends zu. In den letzten Tagen haben wir uns auch einige ihrer Videos auf Youtube angesehen: Ask a mortician.

Ich schreibe das hier alles auch auf, weil ich gerne ein Buch über den Tod schreiben würde, das mehr auf die Gegebenheiten in Deutschland zugeschnitten ist und die Perspektive der Trauer stärker berücksichtigt, die bei Doughty wegen ihrer professionellen Perspektive nahezu ganz fehlt. Die Frage ist allerdings, ob das überhaupt jemanden interessieren würde.

75 wochen.

Fünf Ampeln sind es zwischen unserer Wohnung und dem Alten Luisenstädtischen Friedhof. Wenn wir in Berlin sind, fahren wir noch immer jeden Tag dorthin, am liebsten mit dem Fahrrad.

Johns Grabstein

Lange konnten wir uns nicht entscheiden, was für einen Stein wir auf Johns Grab haben möchten. Ich tendierte eher zu einer Naturstele, aber dann kam alles anders. Als Scott nämlich diesen Stein entdeckte, ein Unikat aus Muschelkalkstein, sagte er spontan: „Der sieht aus, als habe John mit Fingerfarbe drauf gemalt.“ Nachdem wir diese Vorstellung erstmal im Kopf hatten, brauchten wir nicht mehr weiter zu gucken.

Das Aufstellen des Steins war ganz schön aufregend. Dieser Moment, als wir das erste Mal davor standen, den eingemeißelten Namen sahen, das hatte noch einmal so etwas Endgültiges, besonders natürlich auch die Daten. Und die Fotofliese, die extra in Bayern gebrannt worden ist, sie hat 100 Jahre Garantie (wir werden es nicht überprüfen können). Es ist schlimm, den Namen des eigenen Kindes mitsamt Geburts- und Sterbedatum in einen Stein eingemeißelt zu sehen. Ein weiterer Schritt des Abschließens und gleichzeitig des Übergebens an die Ewigkeit. Da braucht man schon wieder ein paar Wochen, um sich davon zu erholen, zumal auch noch dazukam, dass die Krankenkasse Johns geliebtes Dreirad abgeholt hat. Der Moment, als es auf der Ladefläche festgezurrt wurde, wird mir auch in Erinnerung bleiben. Manchmal kommt mir die Zeit vor wie ein Puzzle aus Endmomenten. Wir sind aber sehr froh über unseren Stein.

Im März brach unser zweites Jahr auf dem Friedhof an. Wir kennen nun schon die Blüte des Magnolienbaums im Frühling, die Rhythmen der Pflanzen. Der kleine Rosenbusch, den wir letztes Jahr im Frühling gepflanzt haben, ist in seinem zweiten Jahr deutlich kräftiger und größer geworden. Er hat den Winter gut überstanden. Scott mausert sich zum Gärtner, er liest ständig über Pflanzen, hat dem neuen Rosenbusch eine Clematis an die Seite gepflanzt. Den Friedhof könnten wir eigentlich schon als unseren Zweitwohnsitz eintragen lassen.

Magnolie

Unsere Rosen im zweiten Jahr

Neben uns ist plötzlich der Sohn von Ilse, Johns Grabnachbarin, aufgetaucht. Wir hatten ihn noch nie getroffen, er war der einzige Nachbar, den wir noch nicht kannten. Er hat das Grab seiner Mutter neu gestaltet und wollte erst den Ginkgo herausnehmen. Er ist der Meinung, Bäume brauchen immer mindestens ein Exemplar der gleichen Sorte in Sichtweite, um sich wohl zu fühlen. Als wir ihm sagten, dass es in der Nähe aber doch noch einen Ginkgo gebe, war er ganz aufgeregt. Scott lief mit ihm hin und zeigte den kleinen Baum. Da kam er zurück und sagte: „Nun steht es fest, der Ginkgo bleibt. Er hat ja einen Kollegen, jetzt muss er bleiben.“ Wir freuen uns drüber.

Ich wollte einfach mal wieder was schreiben. Ich habe immer das Gefühl, es gibt nichts zu sagen. Fast anderthalb Jahre seit Johns Tod, das scheint irgendwie lang, aber für uns ist es ganz kurz. Wir haben uns innerlich nicht bewegt, wir stehen immer noch ratlos in der Ecke, wir kommen aus dem puren Aushalten-Modus nicht raus, denn der ist schon schwer genug zu bewältigen. Das Einzige, was mich effektiv und zugleich wohltuend ablenkt, ist die Arbeit. Je mehr ich arbeite, desto besser, und deshalb arbeite ich gerne und viel.

Johns Grab

Choose between numbness and pain
While looking at the beauty of roses and stones

Das muss ich oft denken, wenn wir da sitzen. Mal sehen, ob sich da irgendwann noch irgendwas bewegt. Wir haben es nicht eilig, wir haben alle Zeit der Welt.

john.

Er war unser Junge mit der Bonbon-Agenda,
der in den Mülleimer beißt,
und die Gitarre wie einen Kontrabass spielt.
Ein Partisan und ein Meister puren Seins.

Dazu noch so viel mehr.

John im Januar 2016

Viele Leserinnen und Leser haben unseren Weg mit John seit mehr als zehn Jahren begleitet. Dafür sind wir sehr dankbar. Letzte Nacht ist John gestorben. Wir sind tief traurig und wir vermissen ihn so sehr.

holding tight.

John, 15.

15 Jahre, mein lieber John. Gestern Abend sind wir zu Deinem Ehrentag essen gegangen, vorgestern hast Du ein neues Dreirad bekommen und Dich wahnsinnig darüber gefreut. Wir wohnen hier bald in einem Erwachsenenhaushalt. Ich habe mich daran gewöhnt, die kleinste in der Familie zu sein. Ich habe mich daran gewöhnt, dass meine Hand in Deiner verschwindet. Manchmal vermisse ich meinen kleinen John. Aus Johnchen wurde zuerst Johnchenmann, weil ich mich nicht so recht verabschieden konnte, aber nun sagen wir beides nur noch selten und immer öfter Johnny.

An einem Tag ist der Spielplatz ein Hit und Du schaukelst begeistert. Am nächsten Tag bist Du empört darüber, dass wir Dich großen Jungen auf einen Spielplatz mitnehmen. Also gehen wir eine Zeitlang nicht, und als wir dann beim Spazierengehen an einem Spielplatz vorbeikommen, stürzt Du Dich auf die Schaukel, als hätten wir sie Dir ewig vorenthalten. Das ist die Pubertät, da können wir vieles falsch machen, es ist keine leichte Zeit jetzt, vor allem für Dich selbst nicht. Wir merken, wie Du nach Unabhängigkeit strebst, aber dabei natürlich in allen Dingen Hilfe benötigst. Diesen Widerspruch können wir für Dich leider nicht auflösen, nur zu helfen versuchen, dass Du dabei einen Weg findest, der gut für Dich ist.

Richtig gefreut hat es mich, dass Du zwei Tage vor Deinem Geburtstag einen Joghurt gegessen hast. Du hast ihn Dir im Supermarkt selbst ausgesucht und Zuhause sofort herausgeholt. Du warst fest entschlossen. Seit 12 Jahren hast Du ein Joghurt-Trauma, weil wir damals, als Du noch ganz klein warst und Tag und Nacht Krampfanfälle hattest, die Antikonvulsiva darunter gemischt haben. Vorher hattest Du Joghurt geliebt, aber mit dem bitteren Beigeschmack der Medikamente schnell verweigert. Danach wolltest Du nie wieder Joghurt anrühren, auch wenn ich noch so beteuert habe, dass nichts hineingemischt ist. Vor drei Tagen aber hast Du also plötzlich einen Entschluss gefasst, einen Joghurt ausgesucht und ihn Zuhause mit großer Freude ganz aufgegessen. Die Aufarbeitung der diversen Traumata dauert lange, aber ich bin froh, dass sie möglich ist und stattfindet.

Mein lieber John, Du machst das super und wir sind sehr stolz auf Dich. Ein großer Kerl bist Du geworden, ein bisschen halbstark, aber richtig so! Clearly, you’re a rebel with a cause.

(Ich lese: Surviving Your Child’s Adolescence. How to Understand, and Even Enjoy, the Rocky Road to Independence von Carl Pickhardt.)

weiter ging es so.

Am Wochenende nach Johns Schul-Ausraster bemerkten wir eine Verletzung, der Kinderarzt überwies uns mit dem Verdacht auf Leistenbruch in die Rettungsstelle, dort wurde aber Entwarnung gegeben: nur ein tiefes Hämatom. [Kleiner Nebenschauplatz Versicherungshürdenlauf: Da die Verletzung aus der Schule kommt, zahlt nicht unsere Krankenversicherung, sondern die Unfallversicherung der Einrichtung, und dafür brauchen wir einen Bericht etc.]

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Dienstag dann wieder Schule, doch danach war John wiederum so aufgedreht, dass er erst um Mitternacht einschlief und am Mittwochmorgen nicht für den Schulbus aufstehen konnte. Der Nachteil an einer 60 km entfernten Schule ist ja, dass man John nicht einfach eine Stunde später hinbringen kann. Wenn er morgens den Bus verpasst, bleibt er den ganzen Tag Zuhause.

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Eine neue Lösung gefunden: nach Problemen beim Geldabholen mit John haben wir am Gendarmenmarkt am Eingang zu einem touristischen Andenkengeschäft einen Sparkassenautomaten entdeckt, der direkt gegenüber von den Behindertenparkplätzen vor dem Konzerthaus liegt. Wenn einer von uns alleine mit John Geld holen muss, kann man dort hervorragend parken, John im Auto sitzen lassen und ihn dabei vom Geldautomaten aus die ganze Zeit im Auge behalten. So haben wir über die ganze Stadt und das Umland verteilt unsere Spezialorte (der perfekte Lidl für uns ist zum Beispiel in Eichwalde, da sind die Behindertenparkplätze nie von anderen Autos besetzt und die Kassiererinnen supernett).

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Gute Doku aus der WDR-Reihe „Menschen hautnah“: Haus Bucken (9 Teile à 5 Minuten). Die Bewohner schließt man doch sofort ins Herz, oder? Ich würde gerne mit John und Scott in so einem Haus leben, aber ich kenne kein Projekt, bei dem die Eltern auch mit dort leben.

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Interessant: Kunst ohne Grenzen – Atelier Goldstein. Kunst von geistig Behinderten.

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Daneben aber auch: mehr Theater! Letzten Sonntag habe ich im Radialsystem Die Stunde da wir zu viel voneinander wussten von Nico and the Navigators gesehen. Daran fand ich besonders die weitgehende Sprachlosigkeit sehr interessant. Heute Abend Das Kohlhaas-Prinzip im Gorki.

teenager in distress.

Gestern ist John in der Schule ausgeflippt. Er hat seine Klassenlehrerin und andere Personen attackiert, seine eigene Hand blutig gebissen und sich das Gesicht aufgekratzt, der männliche Klassenlehrer musste ihn extrem festhalten, um Gefahr von anderen und auch von John selbst abzuwenden. Aus dem Schulbus stieg John am Nachmittag mit einem Riesenpflaster im Gesicht und einer rundum bandagierten Hand.

Wir haben das in letzter Zeit leider wieder häufiger erlebt, zuletzt an Christi Himmelfahrt im Treptower Park. John hatte keine Lust mehr zu laufen, zog uns auf einen Parkplatz und wollte in den nächstbesten silbernen Golf einsteigen. Nur parkte unser Auto auf einem ganz anderen Parkplatz, etwa 20 Gehminuten entfernt. John versteht nicht den Unterschied zwischen unserem Auto und anderen Autos, die gleich aussehen. Das sind diese vielen Kleinigkeiten, die uns das Leben schwer machen. Wie soll man es ihm beibringen? Die einfachste Lösung wäre vielleicht, wenn wir unser Auto bunt gestreift lackieren lassen würden, damit es aussieht wie kein anderes.

Es ist, wie in einem Zickzack-Parcours durchs Leben zu laufen („Da können wir nicht mehr lang gehen, weil sein geliebter Kiosk in dieser Straße geschlossen wurde und er ausflippt, wenn die Rollläden zu sind, also lieber hier abbiegen und die Ecke weiträumig umlaufen“ usw.), wir müssen ständig irgendwelche kleinen Lösungen finden, weil eine große nicht zur Verfügung steht, und dabei lässt sich die Welt aber nicht so gestalten, dass es kein Konfliktpotential mehr gibt (das weiß die Menschheit eh). In der Schule gestern war anscheinend gar kein Grund erkennbar. Wir raten uns so durch den Tag, vielleicht Reizüberflutung?

Eine Idee, die ich in letzter Zeit hatte: vielleicht wäre es gut, eine Art Tandempartner für John zu finden, einen Autisten oder eine Autistin, der/die sprechen kann, John beobachtet und uns möglicherweise Hinweise auf Probleme geben könnte, die wir nicht erkennen. Aber wie soll das funktionieren? Derjenige/diejenige müsste rund um die Uhr an Johns Seite sein. Und es kann ja auch tagelang nichts passieren.

Vielleicht sind es auch die Hormone. Vorerst müssen wir einfach mit den Lehrern im Gespräch bleiben. Zum Glück ist Johns Schule sehr engagiert, sie setzen ihn jetzt nicht sofort als unbeschulbar vor die Tür. Ich mache mir aber verstärkt Sorgen um seine Zukunft. Lange geht John sowieso nicht mehr zur Schule, und was kommt dann? Vier Jahre vergehen so schnell, Plätze sind rar, es wird schon Zeit für uns, Einrichtungen anzusehen. Werkstattfähig wird John nicht sein, damit fällt die größte Option im Behindertenbereich für uns leider von vorneherein aus. Die Alternative zur Werkstatt ist eine Fördergruppe, in die er von 8:00 Uhr bis 15:00 Uhr gehen könnte. Da werden wir uns bundesweit umsehen und im Zweifelsfall auch umziehen. Meine Arbeit ist ja ortsunabhängig, auch das wieder ein kleines Glück im Unglück.

Wir wussten, dass das mit der Pubertät schwierig wird, es ist also keine Überraschung. John ist mittlerweile etwa 1,90 m groß. Er hat definitiv mehr Kraft als ich. Leider hat er eben auch gemerkt, dass er seine Größe sehr effektiv einsetzen kann (um es mal freundlich zu formulieren). John muss nun verstehen lernen, dass er seine Kraft nicht maximal ausspielen darf. Da aber das Verhalten seine Sprache ist, gestaltet es sich schwer, ihn auf andere Wege zu lenken. Außerdem scheint das Ausflippen oft auch nicht gelenkt zu sein, John hat im Krisenmoment manchmal selbst gar keine Kontrolle über sich. Er spielt seine Kraft dann nicht aus, sondern ist ihr selbst ebenso ausgeliefert wie wir es sind.

Ich hoffe, dass wir gemeinsam mit der Schule und unserem Einzelfallhelfer Fortschritte machen, bevor nur noch ein medikamentöser Lösungsansatz bleibt. Ganz praktisch gesehen überlege ich, einen Pflegekurs zu machen, um Techniken zu erlernen, wie man die körperliche Pflege einer erwachsenen Person am besten handhabt. Wenn John nachts im Tiefschlaf ist, kann ich ihm zum Beispiel kaum noch die Windel wechseln. Ich würde gerne etwas mehr tun können, denn mittlerweile bleibt ja fast alles an Scott hängen, der John zum Glück aber noch halten kann. (Wie lange?)

[Ich habe vor Kurzem ein ganz gutes Weblog entdeckt: Living with autism. Besonders gefallen mir daran auch die Erläuterungen zu ethischen Fragen. Das beschäftigt mich immer wieder, ich hatte es in einem Kommentar beim Nuf letztens kurz angesprochen, es geht dabei aber nicht nur um Fotos. Ich schreibe zum Beispiel aus ethischen Gründen auch ungern übers Ausflippen. Andererseits müssen nicht nur wir als Eltern damit klarkommen, sondern auch die gesamte Umwelt. Kinder und Erwachsene wie John haben früher in Heimen und Anstalten gelebt, in denen sie sediert und im Zweifelsfall auch fixiert wurden, was der Großteil der Gesellschaft allerdings bequem ignorieren konnte. Doch John lebt bei uns Zuhause, wir leben mitten in Berlin, und leicht zu ignorieren ist John sicher nicht. Im Zuge der Deinstitutionalisierung müssen nicht nur wir als Eltern, sondern auch die Gesellschaft allgemein Wege finden, mit Menschen wie John umzugehen, und dazu gehören eben auch die Sach,- Auto- und Fremdaggressionen.]

john needs a hug.

Letztes Wochenende war ich bei Trackback zu Gast. Ein bisschen abgelenkt, weil John um mich herumwuselte.

[Nach bald zehn Jahren Bloggen habe ich jetzt erst gemerkt, dass der Name meines Weblogs anscheinend missverständlich ist, denn der Name meint nicht mich, sondern das Medium (daher auch nicht im Femininum).]

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Am Sonntag haben wir uns den Marathon angesehen. John fand es interessant, musste sich dann aber nach einiger Zeit ausruhen. Die Zeiten, da ich ihn tragen konnte, sind natürlich längst vorbei. Nun ist er schon einen halben Kopf größer als ich. Das mit dem Ausruhen macht er jetzt so, dass er sich herunterbeugt und den Kopf auf meine Schulter legt. Dann halten wir an und warten.

John ruht sich aus

Irgendwann ist John plötzlich fertig mit dem Kopfablegen und läuft weiter. Das ist sein neues Ding. Vielleicht braucht er aber zwischendurch auch einfach nur immer mal wieder eine Umarmungspause.

14.

John 14

Edeltraud hatte wieder fantastische Kuchen gebacken und John hat die Kerzen fast ausgepustet, aber sich dann doch nur nach vorne gebeugt und es mit einem geschlossenen Mund angetäuscht. Er wusste wohl irgendwie, dass man diese Bewegung macht, hat das Pusten dann allerdings nicht hinbekommen.
So aber auch eine lustige Lösung.

John pustet fast die Kerzen aus

Meine Top 3 Wünsche für Johns Zukunft (von denen ich denke, dass sie für sein Leben und seine Lebensqualität wichtig sind):

Kommunikation: Eigene Wünsche besser ausdrücken zu können, wie schön das für ihn wäre (wie auch das Erlebnis eines gelungenen wechselseitigen Austauschs).

Toilettenbenutzung: Ein ganz pragmatischer Punkt, aber in der alltäglichen Pflege und auch für Johns Wohlbefinden wichtig. Als es im Sommer heiß war, haben wir schon gemerkt, dass ihn die Windeln nachts nervten. In der Hitze klebt das natürlich auch. Und überhaupt: Wie soll er sich altersgemäß von Eltern und Betreuern mehr abgrenzen, wenn er gleichzeitig noch die Windeln gewechselt bekommen muss? Das ist für John auch eine schwierige Auseinandersetzung zwischen Streben nach mehr Unabhängigkeit einerseits und Abhängigkeit bei grundlegendsten Bedürfnissen andererseits. Die Windeln ganz loszuwerden wäre ein Riesenschritt der größeren Selbständigkeit für John, wie auch der alltäglichen Flexibilität aller Beteiligten.

Sozialverhalten: John wird sein Leben lang mit Gruppen unterschiedlichster Menschen zusammenleben. Einige machen vielleicht komische Geräusche, so wie John selbst komische Geräusche macht. Aber nur weil er sie selbst macht, heißt es noch lange nicht, dass er die Varianten von anderen gut verträgt. Da prallt manchmal so einiges aneinander und aufeinander. Wenn John damit nicht umgehen kann, wird er zum Außenseiter, auch bei Betreuern und Pflegern. Scott hat das bei seinen Praktika in Wohnheimen für erwachsene Autisten immer wieder erlebt. Je sozialverträglicher die Bewohner, desto besser haben sie es auch mit den Mitbewohnern und Pflegekräften. (Ist ja auch logisch.)

Ich sehe John bei allen drei Wünschen, nicht zuletzt dank seiner tollen Schule, auf einem guten Weg.
14 Jahre: Way to go, Munchkin Bunchkin.

[Geburtstage sind ja aber auch große Tage für die Eltern. „Congrats to 14 years of excellent parenting“, da können wir nur hoffen, dass das stimmt.]

was seither geschah.

Johns jährliches Gartenfest in der Schule, immer kurz vor Schuljahresende, war wieder sehr schön. Wie diese Jungs aufwachsen und groß werden, da werde ich ganz sentimental. Vor vier Jahren saßen da noch lauter Kinder und jetzt war ich direkt ein bisschen erschrocken: Da sitzt nun eine Gruppe von jungen Männern.

Einer von Johns ebenfalls nonverbalen Mitschülern bediente beim Grillen perfekt sein Kommunikationsgerät. Er bildet damit ganze Sätze: „Ich möchte bitte eine Bratwurst“, sagte dann das Gerät für ihn. Großartig.

John benutzt seinen Go-Talker zwar auch, drückt aber oft etwas, was er nicht wirklich will, zum Beispiel: „Bitte trinken“ statt „Ich habe Hunger.“ Einzig zuverlässig ist Johns Ja-Gebärde (die genaugenommen die Bonbon-Gebärde ist, aber John hat sie zu seiner Ja-Gebärde gemacht und sie funktioniert in allen Zusammenhängen). Wir haben versucht, die Gebärdensprache auszuweiten, sind damit aber auch noch nicht weiter gekommen, und auch nicht mit dem Tablet oder dem Sprechen an sich. Es wäre so schön, wenn er – auf welche Weise auch immer – besser kommunizieren könnte, was er möchte.

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Das Halbfinale der Weltmeisterschaft habe ich in Sachsen im Info-Mobil des Bundestags angesehen, auf dem Marktplatz in Pulsnitz. (Der neue Job ist sehr interessant, aber darüber werde ich hier wohl eher nicht viel schreiben können, fragt mich im RL danach.)

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Das WM-Spiel gegen die USA war unspektakulärer als erwartet, in diesem deutsch-amerikanischen Haushalt. Scott war eigentlich auch für die deutsche Mannschaft, weil er erst hier zum großen Fußballfan wurde und alle deutschen Spieler und Teams kennt und verfolgt. Ihm lag genau wie mir daran, dass beide weiterkommen, und so kam es dann ja auch. Wir haben fast jedes Spiel der WM gesehen, danach bin ich nun erstmal fußballmüde, zumal Werder immer noch eher dümpelt, momentan reicht es mir, im Nachhinein anzusehen, wie Bremen gespielt hat. (Ich war nicht einmal beim Spiel, als sie zum Saisonauftakt gegen Hertha nach Berlin kamen, shame on me.)

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Zu Beginn der Sommerferien haben wir Johns Medikament um die Hälfte reduziert. Wir haben immer wieder daran gedacht, aber nach einem gescheiterten Reduktionsversuch letztes Jahr war es schwer, einen neuen Anlauf zu nehmen. Zuversicht wächst nicht auf Bäumen. Andererseits war unser Leidensdruck schon sehr hoch, weil das Medikament als Nebenwirkung so appetitanregend war, dass John nichts anderes mehr im Sinn hatte als Essen. Wir konnten nirgendwo mehr hingehen, weil er an jeder Ecke nur essen wollte. Zudem immer die Kontrollen auf mögliche Organschädigungen, es ist ja klar, dass man da massiv in den Körper eingreift. Nochmal den hervorragenden Dokumentarfilm Ihr Name ist Sabine angesehen und wieder gedacht: Wenn wir jetzt nicht davon loskommen, wann dann? Wenn John erwachsen und noch größer und stärker ist? Leichter wird es kaum werden, zumal nun auch die Pubertät kommt (bei John wie bei vielen schwer autistischen Kindern später, aber so langsam dann doch).

Die Googletreffer zu Erfahrungsberichten mit Psychopharmaka erwiesen sich als erwartbar widersprüchlich. Ein halbwegs seriös wirkender Mann sagte, man bemerke eine Reduktion sofort, die ersten paar Tage seien die schlimmsten. Ein anderer, ebenso seriös wirkender dagegen schrieb, man merke überhaupt erst nach vier Wochen etwas, wenn das Depot im Körper so richtig runtergefahren sei. Nun, wir hatten sechseinhalb Wochen Ferien und gönnten uns den Luxus, uns zu zweit auch die ganzen sechseinhalb Wochen Vollzeit um John zu kümmern.

John bekam vor den Sommerferien morgens und abends je eine halbe Tablette Dipiperon 40 mg. Da die Probleme mit seinem Schlaf-Wach-Rhythmus massiv sein können, entschlossen wir uns, die Morgendosis wegzulassen, so dass er wenigstens über Nacht noch etwas Beruhigung hat. Anfangs merkten wir tatsächlich gar nichts, John war froh über die Ferien und alles war wie immer. Wir fuhren nach Frankreich und an die Mosel in Urlaub, alles super.

Nach etwa vier Wochen traten für uns wahrnehmbare Veränderungen ein. Plötzlich tauchten wieder stereotype Verhaltensweisen auf, die wir seit der Medikation nicht mehr gesehen hatten, obsessives Sandrieseln zum Beispiel. Bald war es kaum noch möglich, auf einen Spielplatz zu gehen, weil John sich so in das Rieseln hineinsteigerte, dass es ihn selbst ganz unglücklich machte und seine Finger ganz krampfig wirkten, bis er schließlich ausflippte. Und einen 1,80 m großen Teenager muss man erstmal über den ganzen Spielplatz hinweg aus dem Sand herausbewegen, wenn er außer Kontrolle ist.

Auch das von John so geliebte Baden wird zum Problem, weil er sich mit den Händen so ins Platschen reinsteigert, dass er irgendwann nur noch schreit. Sie sind also wieder da, die Stereotypien, und sie machen John das Leben schwerer. Er ist zudem auch deutlich unruhiger geworden. Andererseits hat der frenetische Essenszwang merklich abgenommen. Wir müssen einfach beobachten, wie es sich weiter entwickelt. Ein problemloser Zustand steht leider so oder so nicht zur Debatte. Wir müssen das kleinere Übel herausfinden, das, womit er insgesamt noch den glücklichsten Eindruck macht.

Wir hatten einen Termin bei seinem Kinderpsychiater, haben alles genau besprochen. Einen großen Optimismus gibt es nicht, aber zumindest eine leise Hoffnung, dass John ohne Medikamente leben könnte. Wir sind aber durchaus allen Alternativen gegenüber aufgeschlossen, denn es könnte nach wie vor auch sein, dass es John mit Medikamenten schlicht besser geht als ohne. Eingeführt hatten wir das Medikament ja hauptsächlich wegen der massiven Aggressionen, die einfach nicht mehr zu bewältigen waren. Diese sind bisher – toi, toi, toi und knock on wood – noch nicht wieder aufgetaucht.

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Als wir von Lothringen aus einen Tagesausflug nach Luxemburg machten, hing dort der Himmel voller Regenschirme.

Regenschirme in Luxemburg

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Noch was Positives zum Thema Essen, denn allgemein ist das für John ein großes Thema. Ich hatte noch nicht so darüber nachgedacht, aber bei unserem jährlichen Termin zur Weiterbewilligung der Eingliederungshilfe sagte unsere Sachbearbeiterin, dass Essen für die meisten Menschen mit einer geistigen Behinderung eine extrem große Bedeutung hat. Erstens strukturieren die Mahlzeiten den Tag und zweitens ist das eine der Hauptbeschäftigungen.

(Schlafen, essen und verdauen – immer noch dreht sich darum unser Leben.)

[Dafür kann John sich auch mit übermorgen 14 Jahren noch so unbändig freuen wie ein ganz kleines Kind, oder im Gegenteil seinen Ärger/ seine Traurigkeit/ seine Frustration so unbändig auslassen.]

[100% pures Sein. Bei der Freude ist das wahnsinnig toll anzusehen.]

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Hier ein schönes Bild von John bei einem Tagesausflug nach Stettin.

John in Stettin

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Ziele der Eingliederungshilfe:
•    Verkehrs- und Wegetraining (Straßenüberquerung mit und ohne Ampel)
•    Förderung des musikalischen Empfindens und Ausdrucks
•    Spielplatzbesuche
•    Erkunden des Wohnumfeldes
•    Ankleidetraining
•    Training des Ess- und Küchenverhaltens
•    Einsatz des Talkers zur Vertiefung der Ereignisse in Schule und Familie sowie zum Üben der selbstständigen Artikulation von Bedürfnissen
•    Training des sozialen Verhaltens im Kontakt mit anderen Kindern
•    Einkäufe und Verhaltenstraining in Geschäften

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Im Schulzeugnis steht zum Lernfeld Mathematik: „Das Erarbeiten von Mengen bis 5 wurde beim Kochen, Einkaufen und beim Erledigen seiner täglichen Ämter durchgeführt. John zählte so z.B. jeweils beim Tischdecken 4 Teller, Becher, Messer u.ä. ab, wobei er Hilfe und Unterstützung benötigte. Beim Einkaufen zählte er 2-Mal Quark u.ä. ab, wobei er beim Kochen mit Handführung 5 Kartoffeln oder andere Lebensmittel abzählte. Über Erfolge freute er sich sichtlich.“

John ist jetzt ins 8. Schuljahr gekommen und das klingt bestimmt alles nach so wenig für ein Zeugnis aus dem 7. Schuljahr, aber ich kann mir ehrlich gesagt noch nicht einmal vorstellen, dass er überhaupt 4 Teller abzählen kann. Ich nehme an, das geht alles mit Handführung.

(Aber wenn man John in der Küche ein paar Teller in die Hand gibt, kann er sie ins Wohnzimmer zum Esstisch tragen. Das macht er recht zuverlässig, es kann aber natürlich auch sein, dass er sich auf dem Weg überlegt, lieber ins Schlafzimmer zu gehen. Dann stellt er die Teller einfach auf der Kommode im Flur ab und lässt seine Aufgabe im Stich, dann muss man hinterher und ihm sagen: „Monsieur, Konzentration! Die Aktivität lautet: Teller zum Esstisch.“ Dann kommt er meistens mit zurück und vollendet seine Aufgabe.)

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Was ist eigentlich los mit Neil Young? Das Album A Letter Home gefällt mir nicht und auch seine Autobiographie Waging Heavy Peace hat mich kein bisschen überzeugt. Ich war eher genervt. Vielleicht habe ich aber auch generell ein Musikproblem im Moment? Jürgen Teipels Mehr als laut hat mir nämlich auch nicht gefallen. Ich brauche neue Musik-Inspiration.

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Letzte Woche habe ich zwei Tage lang eine sehr interessante Fortbildung im Gemeinsamen Bundesausschuss mitgemacht. Ein Statistiker des BQS-Instituts für Qualität und Patientensicherheit hat uns die Lineare Regressionsanalyse und die Logistische Regressionsanalyse nahe gebracht, damit wir als Patientenvertreter im Unterausschuss Qualitätssicherung das Thema Risikoadjustierung besser verstehen. Das ist, einfach gesagt, zum Beispiel ein wichtiges Thema, wenn man die Qualität von Krankenhäusern vergleichen möchte. So behandelt ein Krankenhaus vielleicht viel mehr Patienten mit Risikofaktoren als ein anderes, und dann ist es wahrscheinlich, dass in Ersterem mehr Patienten Komplikationen erleiden oder sterben als im anderen. Um also die Qualität der Versorgung in Krankenhäusern vergleichen zu können, muss man eine Risikoadjustierung vornehmen. In der Schule war ich in Mathe ja noch sehr gut, hatte es gar als schriftliches Prüfungsfach im Abi, aber das ist sehr lange her und ich musste schon ganz schön kämpfen, den Rechnungen einigermaßen zu folgen.

Weswegen ich das aber schreibe: Ich musste bei dieser ganzen Statistik die ganze Zeit auch an das Internet, Überwachung und Big Data denken. Am Ende steht nach aller Komplexität hier wie da doch die eher frustrierende und simple Erkenntnis, dass die Ergebnisse natürlich extrem stark davon abhängen, welche Kriterien man am Anfang überhaupt in die Berechnungen einbezogen hat, und wie. Die Frage der Modellgüte und doch wieder Churchill: „Ich glaube nur der Statistik, die ich selbst gefälscht…“

Interessant dazu (also zum Thema Internet, Überwachung und Big Data) fand ich diesen Vortrag von Maciej Cegłowski. „Big data has this intoxicating effect. We start collecting it out of fear, but then it seduces us into thinking that it will give us power. In the end, it’s just a mirror, reflecting whatever assumptions we approach it with.“

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Nächste Woche fliege ich wieder nach Paris. Ich werde zum ersten Mal mit der Smithsonian Institution aus Washington, D.C. unterwegs sein. Das ist alles ein bisschen anders als die Alumnigruppen, ich bin schon gespannt. Lauter neue berufliche Herausforderungen dieses Jahr, aber das ist natürlich super (solange es immer so gut klappt). Im Oktober bin ich dann mit kanadischen Alumni in der Normandie, da ist das Programm an Kanadas Gedenkstätten angepasst, auch darauf bin ich gespannt, weil ich bisher vor allem die US-amerikanischen Stätten dort kenne.

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Zum Geburtstag übermorgen bekommt John sein eigenes iPad. Mal sehen, ob er das doch noch für sich entdecken kann. (Da John nicht weiß, dass das ein großes Geschenk ist, haben wir ihm auch noch andere Dinge gekauft, zum Beispiel Wimmelbücher, die er sich immer noch gerne ansieht. Darüber und über Süßigkeiten wird er sich wohl mehr freuen als über das eigentlich große Geschenk.)

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P.S.: Ich weiß, ich komme spät zur Party, aber: Ich habe mich richtig gut unterhalten gefühlt bei der Spanischen Fliege in der Volksbühne.

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P.P.S.: Das mit dem Bachmannpreis hat dann doch nicht geklappt dieses Jahr. Zu viel Arbeit, schade. (Erst recht, weil ich doch so gut vorbereitet war.)

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