Am Südstern

Am 4. August 2023 ist mein Buch „Am Südstern“ erschienen.

Es geht in dem Buch um die Trauer nach Johns Tod, aber genauso geht es auch um Trost. Es geht insgesamt natürlich viel um den Tod, aber ich würde sagen, es geht genauso auch um das Leben.

Ich hatte mir erhofft, damit auch in einen Austausch zu diesen Themen zu kommen, aber dafür müsste ich mich natürlich mehr darum kümmern. Die Tatsache, dass es hier gerade fast drei Monate gedauert hat, bis ich überhaupt mal dazu komme, das Buch auf meine eigene Website zu nehmen, spricht dazu wohl schon Bände. Gefühlt haben das Buch bisher vielleicht fünf Leute gelesen. Wobei es etwa 50 mal gekauft wurde, als ich das letzte Mal bei Books on Demand reingesehen habe. Was natürlich auch schon wieder Wochen her ist. Ich weiß auch nicht. Where to go from here.

Jedenfalls, wo ich überhaupt nach Jahren hier schonmal endlich überhaupt wieder schreibe, und nachdem ich im Backend erstmal tausend Aktualisierungen vornehmen musste, weil ich so lange nicht da war, ein Wunder, dass die Website überhaupt noch steht, also wo ich überhaupt schonmal wieder hier bin, kann ich ja auch mal etwas mehr schreiben.

Zum Beispiel, dass ich seit fast drei Jahren hauptberuflich und festangestellt Lehrerin bin, was ich vor der Pandemie nicht erwartet hätte. Ich hatte hier und da mit dem Gedanken an einen Quereinstieg gespielt, vor allem, wenn ich für den Bundestag mit der Wanderausstellung in Schulen unterwegs war. Ich hatte immer das Gefühl gehabt, nach einer Woche in einer Schule gerade so anzukommen, die Kinder und Jugendlichen kennenzulernen, teils auch das Kollegium, vor allem aber die Schülerinnen und Schüler. Und genau in dem Moment fährt man mit der Wanderausstellung wieder weg, denn sie ist immer nur für eine Woche an einem Ort. Mir fehlte da so ein bisschen eine tiefere Beziehungsebene. Ich hatte öfter gedacht, wenn ich längere Zeit an einer Schule wäre, könnte ich ganz andere Beziehungen zu den Schülerinnen und Schülern aufbauen. Was ich aus der Warte meiner heutigen Erfahrungen bestätigen kann. Zu der Zeit war das aber doch immer nur ein Gedanke. Ich glaube nicht, dass daraus je etwas geworden wäre, hätte es die Covid-Pandemie nicht gegeben. Erst als alle Aufträge storniert wurden und ich recht schnell dachte, dass sich das über eine lange Zeit ziehen wird, kam ich zu diesem Gedanken zurück. Es gab in dem Moment nichts zu verlieren, alles andere stand eh still, warum also nicht in der Zwischenzeit etwas Neues ausprobieren, dachte ich. Ich könnte ja jederzeit schnell wieder zurück. Und so fing das an.

Mitte März 2020 hatte ich meine erste Coronainfektion gehabt, ich hatte eine der letzten Gruppen im Kanzleramt betreut, noch währenddessen sagte mir einer der Sicherheitsbeamten, dass ab dem nächsten Tag geschlossen werden würde. Ich betreute eine 12. Klasse aus Erding oder Freising, das weiß ich nicht mehr genau, jedenfalls kamen sie aus Bayern und gerade aus dem Skiurlaub in Österreich, ich fuhr mit ihnen im Aufzug und alles, damals hatte ja auch noch keiner Masken, die waren noch weit weg, und fünf Tage später war ich krank. PCR-Tests gab es da auch noch keine, bei der 116 117 sagte man mir, ich solle mich einfach ins Bett legen und den Krankenwagen rufen, falls ich Atemnot bekäme. Drei Wochen später war ich wieder gesund, aber dachte mir eben: Das wird dauern, bis wir als Gesellschaft das Ding in den Griff bekommen.

Ab Mai 2020 erkundigte ich mich also wegen des Quereinstiegs, im September gab ich den Wust an Bewerbungsunterlagen ab, ich musste sogar Semesterwochenstunden aus dem Studium nachweisen, das war alles ein riesiger Aufriss. Im Dezember 2020 wurde ich zu einem Casting eingeladen (so heißen diese Vorstellungsrunden in Berlin tatsächlich). Alle möglichen Bewerberinnen und Bewerber fahren in eine Schule und stellen sich einer großen Gruppe aus Schulleitungen verschiedener Schulen und Vertretern der Schulaufsichtsbehörde vor. Ich sollte zu einer Schule in Gropiusstadt fahren. Dort war ich noch nie gewesen und fand es alleine deshalb schon angenehm aufregend. Ein Schild, auf dem Casting stand, führte mich zu einer großen Aula. Ich musste erstmal lange in einer Schulbibliothek in der Nähe warten, denn alle Bewerberinnen und Bewerber gingen einzeln in die Aula, um sich dort innerhalb von 2-3 Minuten vorzustellen, das hatte etwas von Speed Dating. Es sollte ein paar Tage dauern, bis man Feedback bekommt, aber kaum war ich an dem Nachmittag wieder zu Hause angekommen, klingelte schon mein Telefon und eine Frau sagte: „Frau Scheele Knight, wir haben Sie ersteigert.“

Es war die Schule, in deren Aula das Casting stattgefunden hatte. Sechs Wochen später fing ich dort an, gleich Vollzeit, mit einem berufsbegleitenden Vorbereitungsdienst. Die achtzehn Monate Referendariat fand ich furchtbar, aber ziemlich am Anfang sagte ein Freund zu mir: „Monika, Du warst doch immer ein zäher Hund, was ist los? Bist du das nicht mehr? Das kannst du doch durchstehen!“ Daran habe ich dann die ganzen achtzehn Monate gedacht: Ich muss mich auf meine Eigenschaft zäher Hund fokussieren. Ich überlebte die Agonie und schloss mit einer passablen 1,7 ab. (Ich hatte in der Zwischenzeit so einen komischen Widerstandsehrgeiz entwickelt, dass ich eine 1 vor dem Komma haben wollte. Ich dachte, ich habe bisher alle meine Abschlüsse mit einer 1 vorm Komma gemacht, was mir zwar immer egal war, aber in diesem Fall wollte ich plötzlich nicht, dass mir ausgerechnet das verhasste Referendariat da die Statistik zerstört. Völlig bescheuert und irrelevant, aber hat mich dann auch ein bisschen mit durchgetragen. Was immer hilft.)

Nun bin ich fast drei Jahre an der Schule, habe im Moment null Ambitionen zu gehen, werde bald sogar noch verbeamtet, und ich glaube, die Kinder geben mir mehr, als ich umgekehrt ihnen. Eine Aneinanderreihung von Zufällen hat mich da hin geführt, wo ich jetzt bin, und wenn ich darauf blicke, ist das auf eine Art umwerfend beeindruckend. What are the chances. Eine Form von Heilung – da komme ich im sehr langen Bogen wieder zu dem Buch zurück, in dem das alles ja noch nicht vorkommt, da das Buch im Januar 2021 endet – also eine Form von Heilung, die ich nicht erwartet habe, nicht hätte abschätzen können und die durch diese Aneinanderreihung von Zufällen irgendwie so geschieht: durch eine Pandemie, durch die Erkenntnisse aus einer frühen Infektion, durch günstige Einstiegsbedingungen wegen meiner Studienfächer, durch ein Casting, das zufällig auch noch an einer für mich genau richtigen Schule stattfand, und durch ein Ersteigertwerden von genau dieser für mich richtigen Schule. What are the chances.

16. januar [tagebuchbloggen like it’s 2005].

Es steht ja alles zur Disposition bei so einem Lebenseinbruch. Manchmal habe ich in letzter Zeit gedacht, dass unsere Wohnung mit 75 qm für Zwei nun eigentlich zu groß ist. Wir brauchen doch nicht so viel Platz. Allerdings sind kleinere Wohnungen in unserem Kiez mittlerweile deutlich teurer als unsere. In Alt-Treptow sind die Mieten in den letzten sieben Jahren ja auch rasant gestiegen. Wir hatten zwar kurz vor der Mietpreisbremse noch die maximale Mieterhöhung bekommen, liegen damit aber immer noch klar unter dem, was Neumieter nun zahlen müssen.

Je mehr ich dann darüber nachdachte, umso weniger gefiel mir die Idee eines Umzugs. Diese Wohnung ist doch unser Ort mit John, in dem wir seine letzten sechs Lebensjahre mit ihm verbracht haben. Ich sehe ihn in der Küche, wie er permanent den Kühlschrank öffnet und alle Verstecke von Süßigkeiten kennt. Ich sehe ihn im Wohnzimmer in seiner Sofaecke Musik hören und Tierfilme gucken, ich sehe ihn im Schlafzimmer in unserem Bett rumlungern, ich sehe ihn in seinem Zimmer im grünen Lieblingsstuhl so heftig seinen rudernden Sitztanz performen, dass am Fuß des Wave-Sessels wieder eine Schraube bricht.

John wartet auf den Schulbus 29.10.2013

Das Wohnungsthema mischt sich natürlich sofort mit der Trauer. Umziehen lohnt sich also nicht nur nicht, sondern ich möchte es auch gar nicht. In der Nacht prompt davon geträumt, dass wir wegen steigender Mieten zum Umzug gezwungen werden. Der Traum war wahrscheinlich inspiriert von den Baustellen rund um uns herum, denn in Alt-Treptow werden gerade lauter luxuriöse Prestigeprojekte gebaut: die Treptower Zwillinge zum Beispiel, und die Bouchégärten. Sobald wir das Haus verlassen, sind wir umgeben von Anzeichen für weiter steigende Mieten.

Gequält aufgewacht, entsprechend langsamer Start in den Tag, endlich am Schreibtisch dann als Erstes die Nachricht, dass Andrej Holm zurücktritt.

journal.

Während ich noch immer um die explosive Selbstzerstörung und krasse Selbstdarstellung in Knausis Band 4 herumtapse, google ich natürlich ständig, was es so Neues über ihn gibt – oder Altes, das ich noch nicht gesehen oder gelesen habe. Dabei bin ich auf dieses Interview mit Siri Hustvedt gestoßen. [#]

~

„Leben“ von Karl Ove Knausgård [#]

Karl Ove Knausgaard at the Edinburgh International Book Festival [#]

Homestory [#]

(Seine Frau Linda und er haben ein viertes Kind bekommen, das war mir bis vor kurzem entgangen.)

~

Nächste Obsession: Qualität der Versorgung in der Psychiatrie.
(In der John hoffentlich nie landen wird, aber das weiß man bei einem schwer betroffenen Autisten eben nie, daher bin ich im Gemeinsamen Bundesausschuss nun auch in einer neuen Arbeitsgruppe zum Thema. Die Vorbereitung, also detailliertere Einsicht in die Dinge, macht alles nur noch schlimmer.)

„Psychiatry’s dirty secret is that if you had a severe mental illness requiring hospital care in 1900, you’d be better looked after than you are today. Despite a flurry of media hand-waving about new technologies in psychiatry, the average hospital patient probably does less well now, despite the new drugs, than the average hospital patient a century ago.“ [#]

~

Kelli Stapleton hat letztes Jahr versucht, ihre autistische Tochter umzubringen. Die Berichterstattung in den Medien war damals schon schlecht und sorgte für viele verärgerte Blogposts in der autism community, aber dieser Artikel setzt dem Ganzen die Krone auf: „County Jail Has Been Better Than the ‚Jail of Autism‘.“
Was das wieder für eine Rhetorik ist. [#]

(Es ist absolut lächerlich, das überhaupt sagen zu müssen: Wenn ein Erwachsener ein Kind tötet oder zu töten versucht, dann ist der oder die Erwachsene nicht das Opfer.)

~

Sonst keine News. Möchte immer noch nach Afrika ziehen.
(Not gonna happen.)

den gedanken weiterdenken, man soll das dürfen. [mash-up des zeit-magazins vom 15.03.2012].

Wolken, Melodiefetzen, geometrische Formen,
Im Körper eines Mannes.
Gemeinsam den Berg hoch,
Alleine zurück nach Hause.

Entzückendes Spielzeug, trostlose Steinlawinen:
Die Gesetze der Schönheit.
Das reaktionäre Kleidungsstück,
Gekidnappt,
Ohne den Taxameter einzuschalten,
Ohne Begleitschutz ins schwarze Lager,
Konsterniert und hilflos.

Dass alles im Leben einen Haken hat,
Leidvolle Erfahrung?
Am Arsch vorbei.
Winter, 2010.

Aus der Drei- in die Zweidimensionalität,
Weltfragment.
Präzise hinschauen, vordringen,
Feineinstellung des Blicks,
Und der Handführung.

Hingabe, Intensität, Geduld,
Meditative Geduld,
Glätte und Schwere,
Schweben im Raum,
Einsame Schatten, heller in der Dämmerung,
Abgelöst von der Person,
Ein feines Hellgrau,
Durchscheinend,
Hauchdünn übereinander gelegt,
Kalkig bröckelige Bruchstellen,
Zertrümmert.
Verzweiflung, nahe.

Bilder, die mir sanft zureden,
Aus der Schwebe ins Auge,
Sehr kurze und meist verstreute Zeit.

Die behutsame Übersetzung:
Ästhetischer Prozess von Übertragung
Und Gegenübertragung,
Eine zarte Schattierung,
Eine Höhung,
Eine gewollte Unschärfe,
Unsere Wertschätzung.

Die formlose Riesenkunst unserer Tage:
Wüstes, Übergroßes, Brutales, Verletzendes.
Hochspekulatives Denken.

Von den Menschen fehlt – jede Spur.
Der Tisch, an dem er arbeitet,
Selbstgenügsames Gerät.
Im Ausgeschiedenen, das Aus- und Einstülpen,
Bis zur Selbstverleugnung,
Schicht für Schicht, im Rhythmus des Wachstums.

Die Lebensläufe,
Gehobener Dienst,
Normen verinnerlicht,
Lebensformen, an niedrige Betriebstemperaturen adaptiert,
Blutlungen-, Fieber- und Hungermoos,
Genügsam, unbeirrbar.

Privat und individuell:
Das ist ein Privileg.
Das Begehren, eine öffentliche Angelegenheit,
Projektion, Wunsch, Vorstellung.

Ins Öffentliche sprechen:
Nur so aus der öffentlichen Vereinnahmung,
Verzerrung oder Missachtung,
Das Individuelle wieder herauslösen können.
Sich mit Erfolg dagegen sträuben,
Klassifiziert zu werden.

Doch dieses Unbehagen hat nichts mit Scham zu tun.
Es lähmt mich nicht,
weil ich es nicht zulasse.
Frieden: in der Natur,
Notfalls mit kuriosen Methoden.

Das Leben mit Kindern oder ohne?
Aus den Kinderzimmern vertrieben,
Als Gäste wahrgenommen.

Nach der Pleite mit der Geige:
Formen des Liebens.
Lebendig, dynamisch, wandelbar,
Rollwiderstandsoptimiert,
Warm gestellt ruhen lassen,
Die Kräfte zu sparen.
Ein unverhofftes Geschenk.

Die Stimmung des Blattes zeugt vom Vergehen,
Käme ihr diese Verwegenheit in den Sinn?
Mir ist es gleich.
Ich war immer allein, je mehr ich unter Menschen kam.

Natürlich habe ich einen Traum,
Dafür lebe ich gern.

Symbol der Unterdrückung,
Nur mit Mühe und Schmerzen.
Die geheimen Fotos im Safe,
Während man Gemüse zutraut,
Die Welt zu einem besseren Ort zu machen.
Ungreifbare Ansprüche.

Ein Organismus, der sich entwickelt.
Der sich nimmt, was er braucht.
Die harte Schale der Weichtiere.
An der Spitze:
Konsequenzen,
Vorherbestimmt.

Ein lässiger Flaneur im unwegsamen Gelände,
Die Unauffälligkeit ist sein Luxus.
Manchem Gesicht stünde das nicht schlecht.

Ein Club, in dem man heiraten kann.
Sind Bauern die neuen Friseure?
Eine Generationenfrage.
Diese Lebewesen lassen sich Zeit.

Den Gedanken weiterdenken,
Man soll das dürfen,
Sich Sachen nehmen und weiterdenken,
Eine Metapher? Nein, ein Rezept.

WAAGERECHT: Die Menge macht den Künstler,
Im Fluss des Würfelfalls.

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