vitaminlobby.

Bei meiner Hausärztin komme ich mir vor wie bei einem Versicherungsvertreter. Was sie alles anbietet, steht auf einer langen Liste am Eingang, von Sauerstofftherapie über Homöopathie bis zu Vitaminspritzen. „Heutzutage muss man als Hausarzt viele Zusatzausbildungen haben, sonst kommt man nicht mehr zurecht“, sagt eine junge Ärztin und hangelt sich von einer Weiterbildung zur nächsten. Meine Hausärztin hat das, wie die ganzen Zertifikate beweisen, die überall herumhängen, anscheinend schon hinter sich. Und so werde ich denn gefragt, ob ich nicht eine Vitaminspritzenkur machen, günstig ein Nahrungsergänzungspaket aus den USA bestellen, oder einmal wöchentlich draußen auf dem Platz am Qi-Gong teilnehmen möchte. Nein, nein und nein. Das unangenehme Abwehren der vielen Vorschläge hinterlässt den schalen Geschmack von Versicherungsvertretertum, fast traue ich mich schon nicht einmal mehr, mein Rezept für das Schilddrüsenmedikament abzuholen. Eine Vitaminspritze kostet zehn Euro, empfohlen wird eine Serie von mindestens sechs Spritzen. Wieviel Prozent des ärztlichen Einkommens wohl schon aus solchen Leistungen stammen, die der Patient selbst zahlt?

„Der Ruf von Vitaminzusätzen ist unverwüstlich. Keine andere Substanzgruppe verfügt über ein ähnlich positives Image – irgendwo zwischen Allheilmittel und Jungbrunnen“, zitiert das Securvita-Magazin den Wissenschaftsautor Dr. Werner Bartens. Dabei zeigen Studien, dass zu viel Vitamin C und Betakarotin das Risiko von Lungenkrebs nicht etwa senken, sondern steigern.

Mich erinnert diese Frage an zwei Erlebnisse, die sich binnen kürzester Zeit ereigneten: zuerst reisten Verwandte meines Exmannes nach Chicago und sollten für die Familie in Deutschland unbedingt Vitamine mitbringen, weil man die doch in den USA viel besser kaufen könne. Wenig später reiste eine der amerikanischen Reisegruppen in Berlin an, und noch auf dem Weg vom Flughafen zum Hotel kündigte mir eine der Reisenden an, dass sie als Erstes eine Apotheke finden wolle, weil man doch in Deutschland viel bessere Vitamine kaufen könne als in den USA.

Das positive Image zwischen Allheilmittel und Jungbrunnen funktioniert offensichtlich sogar noch besser, wenn man ein bisschen geographische Distanz beimischt, was ja eigentlich auch nur logisch ist: könnte man die Wunderwaffe einfach nebenan in der Drogerie kaufen, müssten ja alle Menschen optimal versorgt sein und damit würde der Versprechungs- und Hoffnungscharakter ausgehebelt, während es natürlich wesentlich vielversprechender ist, sich von weit her zu versorgen. So verzehren die Deutschen amerikanische Vitamine und die Amerikaner die Vitamine aus Deutschland, das ist die globale Vernebelung.

Aber mit dem Gesundheitssystem hat man ja sowieso geradezu täglich seinen Spaß. Letzte Woche ging ich mit John zur Kinderärztin, um eine Heilmittelverordnung für ein neues Kommunikationssystem abzuholen. Als wir eintraten, legten gerade zwei Mütter Bescheinigungen vor, dass ihre Kinder auf eine Kinderfreizeit fahren, daraufhin studierten zwei Sprechstundenhilfen eingehend eine Deutschlandkarte: es wurde darum gefeilscht, ob die Kasse die FSME-Impfung (Zecken) zahlt. Die Kinder fahren nach Bayern, sagten die Mütter, die Sprechstundenhilfen konnten aber den kleinen Ort auf der Karte nicht finden. Anscheinend wird die Impfung nur für bestimmte Bundesländer gezahlt, die besonders gefährdet sind. Schließlich glaubten die Sprechstundenhilfen dann doch einfach den Müttern, dass sich der Ort in Bayern befindet. Resigniert seufzte die eine: „Okay, wenn sie wirklich nach Bayern fahren, dann bekommen sie die Impfung kostenlos.“

Die Ärzte als Versicherungsvertreter, die Sprechstundenhilfen als Feilscher auf dem Fischmarkt.

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