„Everything in Africa bites, but the safari bug is worst of all.“
(Brian Jackman)
Nach meiner ersten Pirschfahrt träume ich nachts von der Savanne, dem gelben Gras, das sich im Wind bewegt und den Löwen im Gras – ganz so, wie wir es tagsüber gesehen haben. Es fühlt sich absurd real an. Hermann, in dessen Auto ich am nächsten Morgen sitze, lächelt und sagt, er höre immer wieder, dass die Ausländer vom Land und von den Tieren so lebhaft träumen. Und die Geräusche, die wir die ganze Nacht gehört haben, so ein merkwürdiges Kichern, was waren das denn nur für Vögel? Das waren keine Vögel, sagt er, das waren Buschbabys, kleine Feuchtnasenaffen. Er ahmt das Kichern nach und genau, das ist es. Unsere Fahrer und unser Safari Manager sind sehr gut darin, alle möglichen Tiergeräusche nachzuahmen und so lernen wir langsam zu unterscheiden, was wir hören, wenn wir es nicht sehen. (Das Bellen der Paviane, das Keuchen der Hyänen.)
Es gehört mit zu den tollsten Erfahrungen der Reise, abends im Bett zu liegen, diese ganzen Geräusche zu hören und wegzudämmern im Bewusstsein, dass direkt vor der Tür all diese Tiere aktiv sind. Sie tragen einen direkt in diese lebhaften Träume hinein. Ich liebe Einschlafen im Busch. Ich glaube, ich hatte mir vorher vorgestellt, dass das irgendwie beängstigend sein könnte, ist es aber tatsächlich überhaupt nicht.
Unser Safari Manager ist ein Maasai. Sein Vater ist noch in einer traditionellen Siedlung aufgewachsen, als eines von zehn Kindern. In den Fünfzigern, also vor der Unabhängigkeit, verlangten die Engländer von Familien mit so vielen Kindern, wenigstens eines in die Schule zu schicken. Weil Philips Vater der schlechteste Ziegenhüter war, wählte der Vater ihn für die Schule aus. Das Glück der Bildung genoss er also nur, weil er von allen zehn Kindern am Entbehrlichsten war. Er lernte und wurde später selbst Lehrer. Seine Kinder wuchsen außerhalb des Dorfes auf, jedoch haben sie Maa gelernt, die Sprache der Maasai, und auch zeitweise im Dorf gelebt, um die Bindung an den Stamm zu halten. Philip kennt also beide Welten sehr gut und ich bin dankbar, mit ihm ins Maasai-Dorf zu gehen, was mir ansonsten sehr touristisch und/oder übergriffig vorgekommen wäre.
Nach zwei Nächten Ngorongoro fahren wir weiter in die Serengeti. Zuerst sind da noch viele Bäume und einigermaßen viel grün, die Bäume sind oft mit Epiphyten bewachsen und mit Baumflechten behangen. Es gibt viele der für Afrika so typischen Akazien, zuerst flat-top acacias (von denen ich nicht weiß, wie sie auf Deutsch heißen), später Schirmakazien und auch Fieberakazien, mit der gelben Rinde, die ihren Namen vom Gelbfieber haben, oder vom Malariafieber, je nachdem, welcher Quelle man Glauben schenkt. Es gibt, so Hermann, Hunderte Arten von Akazien und als eine unserer Reisenden ihn fragt, ob sie denn alle Dornen haben, sagt er: „Absolutely. Let’s say: if it doesn’t have thorns, it’s not an acacia.“
Es gebe in Afrika aber auch exotische Bäume. Er zeigt auf eine Kiefer und ich denke mir, wie schön das ist: die Vorstellung (im doppelten Sinn) der Kiefer als exotischer Baum.
[Ich interessiere mich eigentlich weniger für Bäume, aber es gehört anscheinend zu meiner conditio africana, dass ich plötzlich restlos alles interessant finde.]
Wir fahren am Grab von Bernhard und Michael Grzimek vorbei. Ich habe als Kind natürlich Serengeti darf nicht sterben gesehen, aber ich kann mich nicht erinnern, dass es einen übermäßig großen Eindruck auf mich gemacht hat. Erst hier vor Ort erwischt mich diese Begeisterung, und es sind überhaupt nicht nur die Tiere, es sind natürlich auch die Menschen und vor allem diese Landschaft: die Luft, die irgendwie anders ist, der hohe Himmel, das Licht, die schönen Farben, die Gerüche und Geräusche. Im Stillen entschuldige ich mich bei den Grzimeks. (Dass ich aber auch immer erst selbst an Orte kommen muss, um zu begreifen.)
[Trivia: was ich vorher auch nicht wusste: Nach dem Tod von Michael Grzimek, der im Flugzeug in Tansania mit einem Geier kollidiert und dabei gestorben war, ließ Bernhard Grzimek sich scheiden, heiratete die Frau seines verstorbenen Sohnes und adoptierte seine eigenen Enkelkinder.]
Wir kommen in eine wüstenartige Landschaft, in der sich der rote Staub über die paar verbliebenen Bewüchse gelegt hat. Elefanten essen Staub. Hermann: „It’s part of their diet, and actually it’s now part of our diet, too.“ Er lacht und Recht hat er. Beim Fahren atmen wir so viel von diesem Staub ein, dass wir alle sehr viel Wasser trinken, denn der Staub trocknet einen innerlich regelrecht aus. Die kahle, rote Landschaft sieht im Kontrast mit dem tiefblauen Himmel fast surreal aus.
Zwischenstopp in der Oldupai-Schlucht. Wir haben einen Vortrag mit einem Archäologen gebucht. Während meine Gruppe erfreut die Toiletten stürmt, lerne ich den Wissenschaftler kennen und bespreche kurz unseren Zeitplan mit ihm. Schon von diesen wenigen Minuten Vorgespräch weiß ich, dass es gut werden wird, und tatsächlich ist sein Vortrag fantastisch. Die Oldupai-Schlucht wird als Wiege der Menschheit bezeichnet (wenn auch Kenia, Tschad und Äthiopien das gleiche von sich sagen können). Hier wurden Fußabdrücke gefunden, die vor etwa 3,7 Millionen Jahren entstanden und die zeigen, dass die Hominiden offensichtlich schon in aufrechtem Gang über frische Vulkanasche gegangen sind. Nach dem Vortrag haben wir noch Zeit für das Museum. Eine Echse blickt in die Schlucht.
Die Vogelnester sind wohl nur interessant, wenn man die Geschichte dazu kennt: sie gehören einer einzigen Vogelfamilie, die auch nur in einem dieser Nester lebt. Die anderen Nester sind Attrappen zum Schutz vor Angreifern. Die Vogelfamilie lebt in dem Nest, das für Angreifer am Schwierigsten zu erreichen ist und somit ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein falsches Nest angegriffen wird. [Das ist ein bisschen so wie mit uns und dem Datenschutz jetzt.]
Wir kommen in der Lodge in Serengeti an, ich gehe in mein Zimmer und bin begeistert vom Ausblick und vom Affenbesuch auf meinem Balkon.
Wir sehen die typischen, abgerundeten Granitfelsbrocken, Kopjes, die ursprünglich unter der Erde lagen und dann mit der Zeit freigespült wurden. Auf einem der Kopjes liegt ein großer Löwe. An einem Fluss sehe ich zum ersten Mal ein Dikdik, die kleinste Antilopenart, kaum größer als ein Hase.
An einem See die ersten Flamingoschwärme. (Ja, Afrika ist nicht Jenseits von Afrika, aber natürlich muss ich an diese Szene mit den Flamingoschwärmen denken, als Robert Redford und Meryl Streep in seinem Flugzeug an einem See entlang fliegen.) Und dann sehen wir einen Geparden, der eine Gazelle erlegt. Er hält sie lange ganz still, das Maul in ihren Hals gegraben, er wartet geduldig, das ist brutal, aber noch brutaler ist es, als er sich sicher ist, dass die Gazelle tot ist, und er sie zu fressen beginnt. Ein Blutbad. Wir fahren zurück in die Lodge, für heute reicht es mit der Wildnis.
Am nächsten Morgen Wecken um vier Uhr nachts, Abfahrt 4:30 Uhr, um halb sechs kommen wir bei den Ballons an, die mit der aufgehenden Sonne vorbereitet werden, und gegen halb sieben steigen wir im Morgengrauen ein und auf und dazu gibt es nicht viel zu sagen. Das ist erhebend (auch im doppelten Sinn).
Die Ballonfahrt kostet $500 pro Person. Ein Paar hatte einen Tag vor Abreise storniert und die Ballonfahrt, die nicht mehr storniert werden konnte, war also schon bezahlt, deshalb durfte ich kostenlos mitfahren. Was für ein Glück.
Danach Frühstück im Busch, mit einem Plumpsklo als Buschtoilette – Loo with a View.
Serengeti wird von allen Nationalparks mein Favorit bleiben.