Meines Wissens gab es bisher nur einen Artikel in der Ärzte-Zeitung darüber, dass gerade Änderungen für die Früherkennungsuntersuchungen von Kindern bis zum Alter von 6 Jahren beschlossen wurden. Dabei geht das natürlich alle Eltern etwas an: In Deutschland werden jedes Jahr über 600.000 Kinder geboren und sie durchlaufen alle die sogenannten U-Untersuchungen.
Vielleicht gibt es mehr Aufmerksamkeit, wenn die Änderungen in der Praxis ankommen. Der Beschluss tritt nämlich erst in Kraft, wenn auch das Gelbe Vorsorgeheft neu erarbeitet ist, in dem die Ergebnisse der Untersuchungen festgehalten werden. Doch auch wenn die Vorgaben zur Dokumentation noch fehlen: zur inhaltlichen Neustrukturierung wurde im öffentlichen Plenum des Gemeinsamen Bundesausschusses ein Beschluss gefasst, der auch online einzusehen ist.
Ich bin seit drei Jahren in der Arbeitsgruppe tätig, die diese Neustrukturierung erarbeitet hat, dabei seit zwei Jahren in der Funktion als Sprecherin der Patientenvertretung in dieser AG. (Zur Erklärung: Der Gemeinsame Bundesausschuss ist das höchste politische Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. Dort wird in Form von Richtlinien der Leistungskatalog für mehr als 70 Millionen Versicherte beschlossen. Seit 2004 haben Patientenvertreter ein Mitberatungsrecht in allen Gremien und ich bin seit 2008 über den Deutschen Behindertenrat dabei.)
Was wird anders?
Es wird sich bei den Früherkennungsuntersuchungen einiges ändern. Zunächst einmal die grundsätzliche Ausrichtung: Es wurde ein empirisches Konzept entwickelt, das für eine verbesserte Evidenzbasis der Untersuchungen sorgt. Die Früherkennungsuntersuchungen gibt es seit Anfang der 70er Jahre und sie sind 30 Jahre lang nahezu gleich geblieben. Die Arbeitsgruppe hat sich intensiv mit wissenschaftlichen Studien befasst und aus den übereinstimmenden Erkenntnissen Items für die Untersuchungen erstellt.
Diese Items sind dabei an der 90. Perzentile ausgerichtet, um auch Raum für individuelle Entwicklungsunterschiede zu lassen. Wir haben also versucht, die Untersuchungen erstens auf eine solide wissenschaftliche Basis zu stellen und zweitens einer zunehmenden Pathologisierung entgegen zu wirken. Im Rahmen der Beratungen wurde die Kinder-Richtlinie dabei in den vergangenen Jahren bereits mehrfach geändert, beispielsweise wurden das Neugeborenen-Hörscreening, die Kinderuntersuchung U7a und die Untersuchungen auf Früherkennung von angeborenen Stoffwechseldefekten sowie von Hüftgelenksdysplasie und -luxation eingeführt.
Die neuen U’s berücksichtigen stärker Aspekte der sozialen, psychosozialen, emotionalen und geistigen Entwicklung, da in diesen Bereichen zunehmend Probleme beobachtet werden. Und Eltern erhalten in Zukunft mehr Informationen zu regionalen Unterstützungsangeboten, wie zum Beispiel zu Frühen Hilfen.
Datenschutz: Einführung einer neuen Teilnahmekarte
Auf Initiative der Patientenvertretung wird eine neue Teilnahmekarte eingeführt. Hintergrund hierzu ist, dass die Ergebnisse der Früherkennungsuntersuchungen im vertraulichen Dokument des Gelben Vorsorgeheftes dokumentiert werden. In der Zwischenzeit hat sich – besonders nach Einführung des verbindlichen Einlade- und Meldewesens in einigen Bundesländern – eine Praxis entwickelt, in der beispielsweise Kitas und Behörden zu Unrecht Einsicht in das Gelbe Heft verlangen um sicherzugehen, dass ein Kind regelmäßig an den U-Untersuchungen teilnimmt. Viele Eltern wissen nicht, dass sie nicht zur Vorlage des Gelben Heftes verpflichtet sind.
Eltern werden nicht selten unter Druck gesetzt, zum Beispiel wenn ein Kitaplatz an die Bedingung geknüpft wird, das Gelbe Heft vorzuzeigen (so berichtet aus Bayern). Die Teilnahmekarte bietet Eltern nun die Möglichkeit, bei den entsprechenden Behörden ein Dokument vorzulegen, welches ohne weitere vertrauliche Informationen nur noch die reine Teilnahme an den U-Untersuchungen bestätigt.
Warum war uns das als Patientenvertretung wichtig? Im Gelben Heft stehen sensible Informationen, die ein Kind zudem ein Leben lang begleiten können. Nehmen wir einmal das Beispiel einer Verdachtsdiagnose auf ADS. Wir haben gehört, dass Kitas oder Kindergärten mit diesem Wissen schon versucht haben Eltern zu überreden, dass ihr Kind doch einen I-Status bekommen könnte und dann stünde mehr Personal zur Verfügung. So werden also womöglich Personalengpässe mit Diagnosen zu lösen versucht. So war das nie gedacht.
Ich selbst habe erlebt, dass für die Bewilligung von Johns Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem Gelben Heft gefragt wurde. Die Eingliederungshilfe läuft in Berlin über das Jugendamt und das Jugendamt ist daran interessiert, so viele Informationen über Familien zu sammeln wie möglich. Was dann damit geschieht, welche Schlüsse das Jugendamt daraus zieht etc., darüber haben die Eltern dann keine Kontrolle mehr. Das kann schon gefährlich werden und gesetzlich ist es eigentlich gar nicht erlaubt. Aber da es gelebte Praxis ist, wollten wir als Patientenvertretung etwas tun, um dagegen anzusteuern.
Dass wir uns damit durchsetzen konnten, sah lange Zeit nicht so aus und ist mein bisher größter Verhandlungserfolg, auf den ich auch ein bisschen stolz bin (gemischt mit Bedenken, dass es in der Praxis dann vielleicht aber trotzdem wieder übergangen wird – hierzu ist es auch wichtig, dass die Eltern gut über ihre Rechte informiert werden).
Leider keine stärkere Verankerung der Sozialpädiatrischen Zentren
Abgelehnt wurde unser Antrag, eine bessere Vernetzung mit Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ) in der Kinder-Richtlinie zu verankern. Diese sind nach dem Gesetz spezialisiert auf die Behandlung von frühgeborenen Kindern sowie von Kindern, die von einer dauerhaften Erkrankung, Entwicklungsstörung oder Behinderung bedroht sind. Die interdisziplinäre Arbeitsweise dieser Zentren hat sich aus Betroffenensicht bewährt, aber eine Überweisung dorthin erfolgt häufig viel zu spät. Leider wurde unser Vorschlag hierzu nicht angenommen.
Im Großen und Ganzen bin ich mit dem Ergebnis zufrieden. Nach drei Jahren Arbeit mit teils hoher Sitzungsfrequenz habe ich die Hoffnung, dass wir die U-Untersuchungen verbessert haben. In jedem Fall sollten die Ärzte in Zukunft mehr Zeit für die Früherkennungsuntersuchungen haben (weil sie besser dafür bezahlt werden), und es sollte mehr Raum für Gespräche da sein. Ich hoffe, dass die Eltern dies auch einfordern und zu ihrem eigenen Besten und dem Besten ihrer Kinder nutzen können.