Robert Habeck kritisierte in der Tagesschau das Klimaschutzpaket wie folgt: „Beispielsweise ist der Klimarat, der das Ganze überprüfen sollte, deutlich geschwächt worden. Der Bundestag hat nicht mehr die Möglichkeit, selber Gesetze anzuschärfen, wenn Ziele nicht erreicht sind.“
Der letzte Satz ist ziemlich nebulös. Was meint Robert Habeck damit? Der Gesetzgeber ist der Deutsche Bundestag. Kein anderes Verfassungsorgan kann in Deutschland Gesetze beschließen. Und selbstverständlich hat der Bundestag das Initiativrecht, neue Gesetze oder Änderungen bestehender Gesetze anzustoßen. Es bleibt also erstmal ein großes Fragezeichen und man kann nur spekulieren. Meint Robert Habeck vielleicht die Tatsache, dass im Bundestag die Regierungsfraktionen die Mehrheit haben und sie deshalb Vorhaben der Regierung durchbringen können, solange sich die Koalition einig ist?
Man kann sich natürlich über die Vor- und Nachteile der Gewaltenverschränkung (das Regierungsoberhaupt wird vom Parlament gewählt) streiten. In den USA, wo es diese Verschränkung nicht gibt und das Regierungsoberhaupt von den Bürgerinnen und Bürgern direkt gewählt wird, hat die Regierung nicht automatisch eine Mehrheit im Repräsentantenhaus. Das führt dann u.a. zu Phänomenen wie dem des Haushaltsboykotts, bei dem das öffentliche Leben zum Erliegen kommt und Angestellte, die keinen Lohn erhalten, nicht wissen, wovon sie ihre Miete und Lebensmittel bezahlen sollen. Das könnte bei uns nicht passieren. Jedes System hat Vor- und Nachteile, und die sollte man differenziert abwägen.
In unserem System ist es im Übrigen ja auch nicht so, als ob innerhalb der Fraktionen nicht kontrovers miteinander debattiert und gerungen würde. Der Bundestag macht eben nicht einfach alles, was die Regierung vorgibt. Ich erinnere an das Struck’sche Gesetz, dass noch kein Gesetzesentwurf so aus dem Bundestag herausgekommen ist, wie er hineingegeben wurde.
Robert Habeck weiß das alles natürlich. Aber wenn man keine differenzierte Analyse vornehmen möchte (oder dies aufgrund des Interviewzeitfensters auch nicht kann), dann sollte man sich meines Erachtens einen solchen Satz sparen. Was davon stehenbleibt und bei den Zuschauerinnen und Zuschauern ankommt, ist der schlicht falsche Eindruck, der Bundestag könne selber keine Gesetze auf den Weg bringen bzw. bei Bedarf novellieren.
Natürlich braucht man dafür eine Mehrheit, aber die wird ja gerade durch die Bundestagswahlen für einen Zeitraum von vier Jahren für das Parlament mit Erst- und Zweitstimme von den Bürgerinnen und Bürgern direkt erzeugt. Man kann gerne mit dem Ergebnis der Wahlen unzufrieden sein. Robert Habeck kann sagen, dass er sich eine andere Mehrheit wünscht, und in klassischer Oppositionsarbeit Alternativen aufzeigen und den Bürgerinnen und Bürgern erklären, wie er es machen würde, wenn seine Partei Teil einer Mehrheitskoalition wäre. Aber einfach zu behaupten, der Bundestag könne keine Gesetze „anschärfen“, das ist falsch und meines Erachtens auch kontraproduktiv. Kontraproduktiv in dem Sinn, dass es negative Emotionen gegenüber der Politik schürt: das Parlament sei ineffektiv oder gar irrelevant.
Möchten wir wirklich gerade in dieser Zeit dazu beitragen, das Vertrauen in die Arbeit und Funktionsweise unserer Demokratie zu erschüttern? Genau das scheint mir momentan leider verstärkt und an vielen Stellen zu geschehen, zudem von Menschen, von denen ich es nicht erwartet hätte. So twitterte Igor Levit: „Frage an die Community: warum nochmal ist die GroKo noch da? Was ist ihre Existenzgrundlage, ihre Daseinsberechtigung?“
Ich möchte dagegen fragen: Im Ernst? Die Existenzgrundlage der GroKo sind die letzten Bundestagswahlen. Von einem zweifelhaften Begriff wie Daseinsberechtigung schonmal ganz zu schweigen. Und was soll denn die Alternative zu unserer parlamentarischen Demokratie sein? Ohne das aufzuzeigen, bleibt ein solcher Tweet pure Agitation.
Bei dieser Stimmungslage wunderte es mich dann auch kaum noch, im ZEIT-Podcast mit Rezo zu hören, wie er sagt: „Überhaupt erstmal Monate zu brauchen für so ein Klimapaket, das hätte ich dir in zwei Wochen geschafft, also ohne Scheiß. Also really, ich glaub, ich hätt den Job viel besser gemacht als die Leute. Ich glaub, die worken nicht genug.“
Ich schätze das im Wesentlichen als Dunning-Kruger-Effekt ein. Zumindest erschließt sich aus den Sätzen ein Mangel an politischen Grundkenntnissen, die eigentlich jeder Schüler und jede Schülerin im Sozialkundeunterricht lernt. Bei der Erarbeitung von Gesetzesentwürfen werden viele Personen und Institutionen beteiligt, es werden unterschiedlichste Experten angehört, es wird eine Vielfalt von gegensätzlichen Aspekten bedacht und abgewogen, es werden Konsequenzen antizipiert und eingeschätzt, für über 80 Millionen Menschen in diesem Land. Wer überhaupt mal irgendwo in der Politik gearbeitet hat, weiß, wieviel Zeit und Energie das kostet, und was das für eine Detailarbeit ist. Diejenigen, die auf Bundesebene diese Verantwortung tragen, haben eine 60-Stunden-Woche oder mehr. Dass sie „nicht genug worken“ ist eine absurde, in ihrer Fehleinschätzung eklatant ignorante Aussage.
Warum mir das Sorgen bereitet: Die hier zitierten Sätze von Rezo, wie auch von Igor Levit und Robert Habeck, tragen meines Erachtens zu einem Demokratieverdruss bei, der letztlich Kräfte stärken könnte, die sie eigentlich nicht unterstützen. Die Sätze enthalten im Kern Ressentiments, die ich sonst vorwiegend von Gesprächen mit AfD-Anhängern kenne. Ich wünschte mir, wir könnten im öffentlichen Diskurs rhetorisch wieder etwas abrüsten. Dies sind drei Beispiele aus einer einzigen Woche. Ich finde, es ist höchste Zeit, zu sachlichen und differenzierten Diskussionen zurückzukehren.