Gelesen: Disability history. Konstruktionen von Behinderung in der Geschichte. Wieder einmal dieses Gefühl, wie schade es ist, dass ein wirklich interessantes Thema so schwer zu lesen ist und der nagende Gedanke, es müsse doch anders gehen, nur wie? Bei meinem Autismus-Buchprojekt stoße ich auch immer wieder gegen diese Wand, es muss anders gehen, nur wie.
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Zwölf Leute im Warteraum der Ausländerbehörde, drei iPads.
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Band of Horses Konzert im Astra. Das Krasse ist der Übergang zwischen der Pflegesituation, einem großen neurologischen Sturm, der einige neue Kratzwunden an den Händen mit sich brachte, und eine Stunde später mit einem Bier in der Hand zwischen lauter Menschen, die so weit von der Situation Zuhause entfernt sind, dass man diesen Unterschied emotional fast nicht verarbeiten kann. Aber wenn die Musik anfängt, ist das Problem behoben, fast ist man wieder das Paar, das sich so viele Nächte auf dem Balkon des Metro Clubs um die Ohren schlug.
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Was ist Pflege? Aus irgendeinem Grund beschäftigt mich diese Frage in letzter Zeit, vielleicht, weil man im Anflug der Pflege-Reform so viel darüber hört und liest, selten wird aber darüber gesprochen, was genau Pflege für die Pflegenden bedeutet, welche Erfahrungen sie durch das täglich gelebte Handeln machen, wie die Pflege sie prägt, ihre Perspektive auf das Leben, oder auch ihre Beziehung zur Gesellschaft.
Pflege als Dienstleistung, „Hilfen zur Erhaltung, Anpassung oder Wiederherstellung der physischen, psychischen und sozialen Funktionen und Aktivitäten des Lebens“, wie es beim Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe DBfK beschrieben wird, das ist für Zuhause Pflegende, für Angehörige nur ein Teil des Ganzen. Von ganz grundsätzlichen Dingen wie füttern, wickeln, baden, anziehen oder auch Diagnostik und Therapien, über das unablässige Beobachten des körperlichen und seelischen Zustandes und adäquates Reagieren darauf, bis hin zu zahlreichen Verwaltungsaufgaben lässt sich vieles recht einfach zusammentragen, aber damit hat man noch keine Erkenntnisse über Sinnfindung und Sinnstiftung gewonnen, die doch so wichtig sind in der Pflege.
Was ist Pflege also? Grundsätzlich ist ziemlich klar, dass Pflege für Angehörige ein Akt moralischer Solidarität, ein Akt der Liebe ist. Pflege heißt, dass man sich einer Verantwortung bewusst ist, diese annimmt und ausfüllt: ein abstraktes Wertebewusstsein wird in die Tat umgesetzt und gelebt. (Vorsicht Pathos:) Dies kann zum Kern der Erfahrung dessen führen, was es bedeutet, Mensch zu sein. Ausgehend von der Idee, dass wir nicht als volle Menschen geboren werden, sondern erst zu solchen werden durch das Kultivieren unseres Selbst und unserer Beziehungen zu anderen Menschen, kann man sich denken, dass in der Pflege große Möglichkeiten eines solchen menschlichen Wachstums liegen.
Klingt sehr moralin, sentimental und utopisch, erst recht, wenn man nur zu genau weiß, wie schwer die Dauerhaftigkeit der Pflege ist, Tag für Tag und Nacht für Nacht, Jahr für Jahr. Die ganze vereinnahmte Zeit und Energie, das Zurückstellen eigener Interessen, das Kräftezehrende, der finanzielle Abstieg, die Rückschläge, die Hilflosigkeit, die Verzweiflung, die unumgängliche Strapazierung der Beziehung der Pflegenden untereinander, die permanente Unsicherheit und Unberechenbarkeit, das veränderte Zeitempfinden, weil man nur noch von einem Tag zum nächsten leben kann, der Druck der Verantwortung, die man niemals wirklich abgibt, nur temporär an andere Hilfskräfte überträgt, aber dennoch auch in dieser Zeit die ganze Zeit spürt, die Ohnmacht.
Dennoch pflegt man, und pflegt gerne, und erfährt in all der Schwere einen Sinn, sogar eine Bereicherung. Die Erfahrung der Empathie, die kleinen Erfolge und das Glück der schönen Momente, Dankbarkeit, Gemeinsamkeit, auch diese Aspekte gehören dazu, und vielleicht am Erstaunlichsten: obwohl man so sehr eingebunden und daher eigentlich sehr fremdbestimmt ist, ausgerechnet auch ein großes Gefühl der Freiheit.
Ohne sich dessen notwendigerweise bewusst zu sein, leben die meisten Menschen mit der Einstellung, ihr Leben unter Kontrolle zu haben, Sicherheit und Selbstbestimmung sind wichtig. Nicht wenige gesellschaftliche und politische Initiativen haben ihre Ursache im Streben danach, diese Selbstbestimmung, Sicherheit und Kontrolle zu stabilisieren und auszubauen. Je mehr die Gesellschaft nach diesen Idealen strebt, umso mehr Verlustängste entwickelt sie, es folgen umso mehr Besitzstandwahrung und Kontrollwahn.
Die Perspektive der Pflege ist diametral entgegengesetzt. Wir haben vor langem den Punkt überschritten, uns in Kontrolle des Lebens zu wägen. Wir haben keine Kontrolle. Mit zunehmender Pflege-Erfahrung wird mir immer deutlicher, dass Kontrolle und Sicherheit im menschlichen Leben nie mehr als eine Illusion sein können, und die Gesellschaft, die dieser Illusion immer mehr hinterher hetzt, kommt mir immer unfreier vor. Dagegen haben wir in den letzten zehn Jahren gelernt, dass wir ohne Kontrolle und Sicherheit und mit eingeschränkter Selbstbestimmung leben können, und sogar gut leben können, und dieses Gefühl ist tatsächlich befreiend.
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Ein sehr gutes Interview: Martha Nussbaum on 21st Century Enlightenment
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