the east african travelogue [erster teil: ankunft in arusha].

„There are no foreign lands. It is the traveler only who is foreign.“
(Robert Lewis Stevenson)

Die ganze Zeit möchte ich meinen Reisebericht über Afrika schreiben und schaffe es zuerst tage- und dann wochenlang nicht. Weil so viel passiert ist? Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, das stimmt. Oder weil es so schwer zu beschreiben ist? Alles, was ich sagen möchte, driftet schon im Denken so leicht in zu viel Pathos ab und mir ist natürlich klar, dass dieses Pathos an der afrikanischen Realität vorbeigeht. Afrika, das ist nicht die romantisierte Welt von Jenseits von Afrika.
[„I had a farm in Africa, at the foot of the Ngong Hills.“ Ich höre prompt Meryl Streeps Stimme.]
Heute zieht selbst ein traditionell gekleideter Maasai auch schonmal plötzlich ein Handy aus seiner roten Shouka. Aber vielleicht beginne ich doch lieber am Anfang.

Flug über Istanbul nach Arusha, Ankunft Ortszeit 3:20 Uhr in der Nacht. Mit mir steigen nur eine Handvoll Leute aus, der Rest fliegt weiter nach Mombasa. Das Visum für Tansania hatte ich mir nicht mehr vorher in Berlin besorgt und kaufe es problemlos bei der Ankunft – es kostet vor Ort sogar nur $50 anstatt in Deutschland €75. Mein Gepäck kommt nicht an, der Lost & Found Schalter ist zur Nacht nicht besetzt. Ich darf die Ankunftshalle nicht verlassen und danach wieder reinkommen, kann also dem auf mich wartenden Fahrer draußen nicht Bescheid sagen. Ich hoffe, dass er nicht wegfährt und suche jemanden, der die Meldung zum vermissten Gepäck aufnimmt. Mit ziemlicher Verspätung komme ich dann nach draußen, mein Fahrer wartet noch, und sogar noch jemand vom Büro des Ground Operators, mit dem wir in Tansania zusammenarbeiten. Zwei Leute schlagen sich die Nacht um die Ohren, um mich abzuholen. Ich habe ein schlechtes Gewissen, aber man kann sich hier nicht einfach ein Taxi zum Hotel nehmen.

Wir fahren etwa eine Stunde nach Arusha. Sie haben mich in einem der Geländewagen Marke Land Cruiser abgeholt, mit denen wir die Safari machen werden. Das Fenster lässt sich leicht zur Seite schieben. Draußen ist es dunkel, ich erahne nur die Natur, aber die Luft ist wunderbar, ganz mild. Wir fahren durch vereinzelte Townships, in denen Menschen in der Dunkelheit zwischen Wellblechhütten herumlaufen. Langsam geht die Sonne auf, während wir Arusha erreichen. Den Vorschlag, unser für 10 Uhr geplantes Meeting auf den nächsten Morgen zu verschieben, nehme ich dankbar an und lege mich um sechs Uhr morgens ins Bett. Unter einem Moskitonetz zu schlafen ist gewöhnungsbedürftiger, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich habe noch nie Platzangst gehabt, aber unter dem Netz das erste Mal eine Ahnung, wie sich das anfühlt.

Als weiße Frau in Arusha alleine spazieren zu gehen, erweist sich als nahezu unmöglich. Bei jedem Schritt werde ich angesprochen, ob ich Schuhe kaufen möchte, eine Rundfahrt mit dem Motorrad machen oder eine Safari buchen. Im Buchladen, der im Schaufenster „Books in English“ bewirbt, sind ausnahmslos alle Bücher auf Englisch Ratgeber, wie man geschäftlichen Erfolg erzielt und reich wird. How to become a millionaire. Ich gehe ins Africafé und – kolonialistisches Erbe? – sehe in der Auslage als Erstes eine Schwarzwälder Kirschtorte (die ich nicht esse).

[Trivia: Das Kisuaheliwort für Geld, hela, kommt vom deutschen Heller. Ein Angehöriger der High-Society heißt wabenzi, abgeleitet von Mercedes-Benz-Fahrer.]

Im Hotel elende Versuche, mit dem Lost & Found am Flughafen zu telefonieren und etwas über mein Gepäck herauszufinden. Jemand vom Hotel bringt mir netterweise einen Beutel mit Deo, Zahnbürste, Zahnpasta, Shampoo und einem grünen T-Shirt mit der Aufschrift Jambo Tanzania. Da die Klimaanlage nicht funktioniert, oder ich sie zumindest nicht ans Laufen bringen kann, öffne ich das Fenster. Ich bin beeindruckt von den Bananenbäumen, die fast ins Zimmer ragen und merke erst spät, dass sie Heimat recht großer, merkwürdig aussehender Insekten (einer Grillenart?) sind, die ich mit dem Öffnen des Fensters in mein Zimmer einlade. Argh, bestimmt ein totaler Anfängerfehler. Dann also erstmal Insektenjagd.

Bäume vorm Fenster

Obwohl ich am ersten Tag noch fast gar nichts wirklich gemacht habe, bin ich erschöpft. Das bloße Sein wird anstrengend, wenn alles ungewohnt ist. Ich kann gar nicht anders, als in jeder Sekunde alles wahrzunehmen, weil eben alles anders ist. Alleine wenn ich nur von meinem Zimmer zum Restaurant durch den Garten laufe, ist das kein schnödes Laufen von A nach B, weil die unbekannten, erstaunlich starken Düfte der blühenden Pflanzen in der Luft hängen. Im Restaurant schlägt die Köchin ein Ei für ein Omelett auf und das Eidotter sieht ganz hellgelb aus, fast weiß. Alles riecht anders, alles sieht anders aus, bis hin zum Eigelb, ohne Scheiß. Das ist ebenso faszinierend wie erschöpfend.

Für das Meeting werde ich am nächsten Morgen schon wieder gleich von zwei Leuten abgeholt. Die Reisegruppe kommt am Abend an und bis dahin haben wir alles tiptop vorbereitet. Auf dem Weg zum Flughafen nehmen mich meine neuen afrikanischen Kollegen, die sich schnell als sehr sympathisch und nett herausgestellt haben, mit in ein kleines Café, weil wir viel zu früh dran sind. Das Café besteht aus einer bunt angemalten Hütte und ein paar roten Plastikstühlen und -tischen, die draußen in den Sand gestellt wurden. Im Gegensatz zum Africafé in der Innenstadt, in dem nur Touristen gewesen waren, bin ich hier die einzige Weiße. Es gibt traditionelles Essen, ugali (eine Art Polenta) und afrikanischen Eintopf. Als ich zum Bezahlen reingehe, bin ich ehrlich gesagt froh, dass ich die Küche nicht vor dem Essen gesehen habe.

Einer meiner Reisenden wird im Rollstuhl aus dem Flughafengebäude gefahren. Er hat eine Halbseitenlähmung, wie ich später erfahre von einem Absturz in einer Cessna. Einen eigenen Rollstuhl hat er nicht mitgebracht, weil er am Stock langsam selbst laufen kann. In den Lodges sind die einzelnen Hütten aber teils recht weit voneinander entfernt und das Gelände ist uneben und hat Gefälle, sagt mein afrikanischer Kollege. Er ruft gleich unsere Lodges an, die zum Glück alle einen Rollstuhl haben.

Mein Gepäck wurde gefunden und soll in der Nacht mit dem nächsten Flugzeug aus Istanbul ankommen. Nach drei Tagen ist es da, was für eine Erleichterung, gerade rechtzeitig für unsere Abreise aus Arusha in Richtung Ngorongoro-Krater. Wir fahren zum ersten Mal in unserem Konvoi von sechs Land Cruisern: meine Gruppe hat 26 Personen, jeweils sechs passen in ein Auto und der Safari Manager und ich wechseln zwischen den Autos.

Konvoi

Auf dem Weg aus der Stadt heraus sehe ich eine Wellblechhütte, die kaum größer ist als ein Dixie-Klo, ein Loch aus dem Blech geschnitten als Tür, und ein kleineres als Fenster, und in bunten Farben steht mit dem Pinsel draufgemalt: „Hair Cut Saloon.“

Weitere Straßenimpressionen von unterwegs im Bild (unterschiedliche Orte und Transfers):

Ole's Hotel

Straßenszene

Straßenszene

Wasserstelle

flausch am donnerstag.

Hier ein paar Bilder von der Safari in Tansania und Kenia. Ein Bericht der Reise folgt hoffentlich in den nächsten Tagen, nur soviel erstmal: es war sehr ereignisreich. Eine meiner Reisenden hat sich schwer verletzt und so lernte ich die nächtliche Notaufnahme eines entlegenen Buschkrankenhauses kennen, und dann kam der Terroranschlag in Nairobi, durch den wir unsere Pläne für die Reisegruppe spontan umdisponieren mussten.

Ostafrika selbst war nichts anderes als fantastisch, ein absolutes Sehnsuchtsland.

Giraffenpaar (Ngorongoro)

Elefantenkind (Serengeti)

Gazelle (Ngorongoro)

In der Lodge in Lake Naivasha

Zebras (Ngorongoro)

(Mehr Bilder bei Flickr: als Slide Show oder als Set.)

13.

Zu Johns Geburtstag sind wir in die Therme Bad Saarow gefahren. John mag den Strömungskanal dort, und überhaupt den riesigen Pool, er lässt sich von drinnen nach draußen gleiten und schwimmt in alle Nischen. Das klappt sehr gut mit ihm, sie haben dort auch eine komfortable Behinderten-Umkleide, in der wir ihn gut umziehen, duschen und wieder anziehen können. Ein Ausflug nach Bad Saarow ist immer toll: nur eine Stunde entfernt von Berlin und man kann am Scharmützelsee auch schön spazieren gehen. Wir fahren so zwei- bis dreimal im Jahr hin und es entspannt unglaublich. John schien sehr zufrieden mit unserer Wahl der Geburtstagsgestaltung.

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Johns Candy Grabber

An seinen Geschenken hatte er zunächst nicht so wahnsinnig viel Interesse, machte viele Pausen, aber am Ende hat er sich doch gefreut. Leider hatte er in der Therme wohl wieder zu viel Salzwasser getrunken und zudem zu viele Süßigkeiten gegessen, so dass er mitten in der Nacht mit Durchfall aufwachte. Die Nacht war dann sehr ruppig. „Aber was ist schon eine Party ohne Schmerzen hinterher, die Sünden wiegen schwer, doch begehen kann man nie genug.“

[Wenn es ein passendes Element of Crime-Lied zu einer Situation gibt, ist sie immer gleich viel leichter zu ertragen.]

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Ansonsten, liebes Tagesbuch, war ich letzte Woche bei der Vernissage Comics aus Berlin. Bilder einer Stadt, die ein Freund von mir kuratiert hat. Atak ist natürlich dabei und Fil und Tim Dinter. Schöne Ausstellung im Rahmen des Literaturfestivals, kann ich empfehlen.

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Außerdem hatten wir Elternabend in der Schule. Bin ich die einzige Mutter, die Elternabende gut findet? (Ich lese allerorten Elternabend-Bashings.) Ich freue mich immer sehr darauf, die Lehrer zu sehen und von ihnen zu hören, was in der Klasse los ist, was sie im neuen Schuljahr vorhaben und wie sie die Kinder erleben. Vielleicht liegt es daran, dass John nicht spricht und ich deshalb umso mehr auf die Berichte der Lehrer angewiesen bin? Alleine schon seine Klasse zu sehen und wie sie dort alles gestalten finde ich toll. Neuerdings hat jede Klasse ein Smart Board und diese Woche kommen noch iPads dazu. Das Vorhabenthema ist dieses Jahr Lebensgestaltung. John macht in der Schule momentan anscheinend gut mit, und beim anschließenden großen Elternabend in der Aula gab es auch gute Nachrichten: keine weiteren Kürzungen, sogar im Gegenteil. Die letztes Jahr von der brandenburgischen Bildungsbehörde geplante Kürzung der verlängerten Schulzeit liegt auf Eis und die Kinder dürfen bis auf Weiteres doch zwei Jahre länger in die Schule gehen.

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Gelesen habe ich Karen Blixens Jenseits von Afrika, Hemingways Die grünen Hügel Afrikas und Beryl Markhams Westwärts mit der Nacht.

[Ich ahne schon, dass ich mit zu vielen Impressionen in Afrika ankommen werde, es erinnert mich ein bisschen daran, wie ich zum ersten Mal nach New York kam und mein Kopf viel zu voll von verinnerlichten Bildern war, die man doch alle nur erstmal wieder überwinden muss, um selbst sehen zu können.]

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Dann waren wir auch noch im Kino und haben Frances Ha gesehen, was okay war, aber ich musste die ganze Zeit an Happy-Go-Lucky und In Search of a Midnight Kiss denken, beide ähnlich, aber für meinen Geschmack besser.

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Eine beschäftigte Woche mit viel abendlichem Ausgehen: nochmal ein bisschen Sommer tanken. Morgens ist es jetzt immer schon merklich dunkler, wenn Johns Schulbus um die Ecke biegt. Bald werden wir ihn wieder im Dunkeln verabschieden und empfangen, ich mag kaum dran denken.

John freut sich über ein neues Bilderbuch

jambo.

Ich fliege nächste Woche das erste Mal in meinem Leben nach Ostafrika und schon in der Vorbereitung meiner Reise tun sich für mich ganz neue Welten auf. So war ich in der sogenannten Erlebnisfiliale von Globetrotter in Steglitz und habe mich dort reisemedizinisch beraten und impfen lassen. Bis ich gegoogelt hatte, wo ich mich impfen lassen kann, wusste ich gar nicht, dass das Institut für Tropenmedizin überhaupt eine Zweigstelle in einem Outdoor-Geschäft hat. Macht natürlich Sinn, wie man so sagt. In der innenarchitektonisch sich nahtlos ins Verkaufskonzept einpassenden Bambuskabine ist schnell eine Spritze gesetzt und tritt man nach dem kleinen Gelbfieberpiekser wieder hinaus, locken Safarihüte, Wanderschuhe und Rücksäcke. Schön fände ich, wenn übers Soundsystem dazu noch die Zikaden zirpten, aber man kann nicht alles haben, selbst als Personalunion von Konsument und Patient nicht.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat ganz Berlin mit ihrer Arztkampagne zugekleistert: „Ich bin Fachärztin. Ich bin eine aussterbende Art.“ Wenn man die Plakate sieht, will man den abgebildeten Ärztinnen und Ärzten sofort sanft mitfühlend übers Haar streichen. Doch Rettung naht: statt in der eigenen Praxis im zweiten Stock Vorderhaus ein tristes Berufsleben als Versicherungskaufmann für individuelle Gesundheitsleistungen zu fristen, werden sie sich bald ins bunte Leben stürzen. Frauenärzte könnten sich in Babygeschäften eine Kabine bauen, zum Beispiel gestaltet in der Form eines schwangeren Bauches. Mit dem frischen Ultraschall-Ausdruck in der Hand kaufen die werdenden Eltern bestimmt gerne ein paar Bodys, Schühchen und Rasseln. Zahnärzte könnten sich in Drogerien niederlassen, Hautärzte in Solarien und Augenärzte bei Dussmann. Erst gerade las ich dort in einem Afrika-Reiseführer und merkte, dass sich bei mir langsam die altersbedingte Weitsicht einstellt, da wäre mir eine Augenarztkabine gerade recht gekommen.

Aber ich schweife ab. Nächste Woche fliege ich das erste Mal in meinem Leben nach Ostafrika. „Jambo“ heißt „Hallo“ und „Sitaki kununua chochote“ heißt „Ich möchte nichts kaufen.“

für welchen spass ich bezahlt werde.

 Kandersteg, auf dem Weg zum Oeschinensee

Kandersteg, auf dem Weg zum Oeschinensee.

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Lustige Sachen sagen meine Reisenden hier in der Schweiz:
„Being a little patient is like being a little pregnant.“

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„What I lack in talent, I make up for in enthusiasm. Which even makes it worse, of course.“

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Von 21 amerikanischen Reisenden lesen drei herkömmliche Bücher und der Rest hat eReader dabei, größtenteils kindle, und diese Menschen sind fast alle über 70 Jahre alt. So viel zur Zukunft des Buchs als Buch?

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Ich habe John Greens The Fault in Our Stars gelesen und sehr gemocht.
[„Writing does not resurrect. It buries.“]

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UND: Ich bin in der etwas absurden Lage, mich bei bestem Alpenwetter auf Ostafrika vorzubereiten. Ich habe kurzfristig meine für September geplante Donau-Reise mit einer zweiwöchigen Safari in Tansania und Kenia getauscht. Die Flüge sind gebucht und sobald ich wieder in Berlin bin, muss ich mich um Impfungen kümmern (Hepatitis, Tetanus, Gelbfieber), Malariaprophylaxe-Tabletten besorgen (aber nicht Lariam) und die beiden Visa beantragen. Ich war noch nie in Ostafrika und noch nie auf einer Safari, was für ein neues Abenteuer also.

Wir dürfen für zwei Wochen nur eine kleine Tasche mit dreimal Wechselwäsche mitnehmen. Wir sind die ganze Zeit in offenen Jeeps unterwegs, in die anscheinend nicht mehr Gepäck reinpasst. Wie mir Safari-erfahrene Kollegen sagen, ist es aber völlig normal, dass alle die ganze Zeit die gleichen Klamotten tragen. In den Lodges, in denen wir übernachten, kann man die Kleidung über Nacht waschen lassen. Strom gibt es in den Lodges nur zu bestimmten Zeiten und Internet wohl auch nur sporadisch. Der Grenzübergang zwischen den Ländern soll dauern und ein inner-kenianischer Zwischenflug in einer kleinen Maschine ist, sagen wir es mal positiv, ziemlich flexibel in seinen Abflugszeiten. Mal sehen, wie ich diese ganze Organisation so hinbekomme. Eine Kollegin hat mich gut vorbereitet, die Firma hat mir viele Unterlagen geschickt und ich google mich fleißig durch Erfahrungsberichte, um wiederkehrende Probleme vielleicht schon vorauszusehen. Neben den Jeepfahrern haben wir in jedem Auto einen erfahrenen Safari-Führer, so dass ich zum Glück kein Lokalwissen haben muss und mich auf das Organisatorische konzentrieren kann.

Meine Kollegin sagte: „Ich fasse es nicht: sie schicken die Frau nach Ostafrika, die meinte, den Rest ihres Lebens auf Texel Schafe fotografieren zu können! Du wirst ausflippen.“ Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das wohl sein wird, diese ganzen Tiere zu sehen. Im September ist gerade die Regenzeit vorbei, die Tiere wandern in großen Mengen und wir haben die Chance, wirklich sehr viele beobachten zu können. Die Tage werden früh beginnen, die erste Ausfahrt ist wohl meistens schon um sechs oder halb sieben morgens. Unser Itinerary liest sich für mich lustig, denn es besteht ausschließlich aus Jeepfahren – entweder zum Beobachten oder zum Fahren von einem Nationalpark in den nächsten. Hach, ich freu mich, aber ein bisschen ängstlich bin ich auch, und zu schade, dass ich meine beiden Männer nicht mitnehmen kann.

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Eine Nacht in Arusha
Zwei Nächte am Ngorongoro-Krater
Zwei Nächte in der Serengeti
Zwei Nächte im Amboseli Nationalpark
Zwei Nächte am Lake Naivasha
Drei Nächte im Masai Mara Game Reserve
Dayroom im Nairobi Safari Club

le luc.

Morgen lasse ich meine beiden Männer mal wieder alleine und fliege nach Zürich, fahre von dort zweieinhalb Stunden in den Wattebausch Meiringen, regle ein paar letzte Dinge, nur um früh am nächsten Morgen wieder in den Zug nach Zürich/Flughafen zu steigen und meine Reisegruppe abzuholen.

Wenn ich meine Unterlagen zugeschickt bekomme, ziehe ich als Erstes immer die Liste mit den Passinformationen raus und sehe mir die Geburtsdaten an. In der kommenden Gruppe sind vier Menschen älter als 80 Jahre. Als Nächstes sehe ich mir die medizinischen Informationen an. Einer bringt ein Atemgerät mit, ein paar Sonderwünsche fürs Essen, nichts Dramatisches auf diesen Informationsbögen, aber damit sie mitreisen können, schreiben die meisten erfahrungsgemäß eh nichts rein, selbst wenn sie was haben. Das merkt man alles erst on site, wer Herzprobleme hat, und seine Medikamente in den USA vergessen usw. Mein schlimmstes Erlebnis war bisher eine Frau in Berlin, die einen Schlaganfall hatte (aber sie war binnen zwei Stunden im Krankenhaus an der Lyse und hat ihre Sprache zurückgewonnen). Die Transitorische Ischämische Attacke in Amsterdam, der gebrochene Knöchel in Antwerpen, die Thrombose in Berlin, der blutende Tumor in Rumänien mit anschließender OP in Budapest, das war natürlich auch alles nicht ohne. Es passiert viel mit diesen älteren Menschen.

In meiner Schweizgruppe ist eine Reisende 54 Jahre alt, alle anderen sind um die siebzig oder eben noch älter. Es könnte schwierig werden, denn die Schweiz ist die körperlich anspruchsvollste Reise: viel wandern (wobei es dazu oft mit Gondeln, Bussen und Elektro-Vans Alternativen gibt, aber eben auch nicht immer), enge Zugverbindungen, also schnelles Umsteigen mehrmals am Tag erforderlich, aktuell Hitze im Tal und oben auf den Bergen natürlich immer dünne Luft. Da klappt einem schon der eine oder andere mit Kreislaufproblemen um. Ich bin gespannt, wie es dieses Jahr wird. Die letzten beiden Jahre waren ja toll, und letztes Jahr hat mir die Gruppe zum Abschluss einen iPod Touch geschenkt, was so schön war, aber auch eine Ausnahme.

Mein Itinerary habe ich auf den letzten Drücker fertiggestellt.

Erster Arbeitseinsatz also nach sechseinhalb Wochen Ferien. Nach dem Urlaub in der Bretagne sind wir in Berlin fast jeden Tag rausgefahren an einen perfekten Badesee, den wir für uns entdeckt haben und ausgiebig genossen: ein Behindertenparkplatz direkt vor der Badestelle, eine geräumige Behindertentoilette, in der man John gut umziehen kann, ein schöner Spielplatz, alles sauber, also ohne Scherben im Sand und ohne Ölfilm auf dem Wasser, da Motorboote dort nicht erlaubt sind, höchste Wasserqualitätsstufe (bei John auch wichtig, weil er beim Baden den halben See leer trinkt), nette Leute dort, viele Familien und viele Ältere, die mit dem Fahrrad und nur einem Handtuch im Fahrradkorb angeradelt kommen, einmal ans gegenüberliegende Ufer schwimmen und wieder zurück, und wieder abfahren mit ihrem Rad.

Unser Badesee

Gelesen habe ich diesen Sommer viel, aber vieles ist auch schnell vorbeigezogen. Sehr gut gefallen hat mir Pia Ziefles Suna. Den zweiten Teil von Joachim Meyerhoffs „Alle Toten fliegen hoch“-Zyklus, Wann wird es endlich wieder so wie es nie war, fand ich nicht ganz so toll wie den ersten Teil Amerika, aber immer noch gut. Am Nachhaltigsten beeindruckt hat mich Joachim Bessings Untitled. Was hat mich dieses Buch gequält, aber trotzdem hat es eine unglaubliche Kraft. Das „radikalste Icherforschungsbuch seit Strindberg“ fand ich es zwar nicht, denn in der Disziplin ist Karl Ove Knausgård für mich nicht zu toppen (sein dritter Teil Spielen kommt im Herbst, juhu!), aber ansonsten stimme ich Rainald Götz in Bezug auf Bessing zu.

John ist in den Ferien sehr gewachsen und ist jetzt genauso groß wie ich. Ein komisches Gefühl, wenn er so gleich groß neben mir steht. Es kommt mir ein bisschen unwirklich vor, immerhin ist es nicht einmal dreizehn Jahre her, dass es ihn gar nicht gab, unvorstellbar alles, irgendwie. Jemand sollte mal einen Text darüber schreiben, wie es ist, wenn das eigene Kind plötzlich genauso groß ist wie man selbst, das ist so strange, aber warum? [Komisch auch dieser Impuls, bei noch-unklaren Gefühlen immer gleich zu denken: „Dazu muss es doch etwas zu lesen geben“, als ob das Lesen immer alles lösen/erklären könnte.] Auf jeden Fall einer dieser großen Momente, die einen hier und da unerwartet ereilen.

Mit zwölf Jahren also 1,78 m groß, und die Sandalen in Größe 44 sind John in den Ferien auch zu klein geworden. Wir waren so beeindruckt, dass wir ihm in der Bretagne ein respektvolles „Le“ in seinen Namen eingebaut haben und ihn jetzt gerne Jean-Le-Luc nennen (gesprochen mit der anerkennenden Intonation von Samuel L. Jackson in Pulp Fiction, wie er John Travoltas Übersetzung von Burgern in Frankreich wiederholt: „Royale With Cheese“).

[Die neue Dankbarkeit, dass John in einem Alter, in dem andere Kinder wahrscheinlich schon ganz woanders sind in ihrem Denken und Sein, immer noch eine große Innigkeit zu uns hat. Wie er sich gestern nach dem ersten Schultag, der ihn sichtlich angestrengt hatte, mit mir ins Bett kuschelte und mir seine Schnüffelküsschen gab – eine Mischung aus schnüffeln und gleichzeitig küssen, die er in den letzten Monaten erfunden hat – da dachte ich, wie schön das doch eigentlich auch ist: Er bleibt nah. Trotz Pubertät, die ja dennoch auch eingesetzt hat; ein wilder Mix aus normaler und anderer Entwicklung.]

noch zwei dokus.

Aus irgendeinem Grund ist hier also die Zeit der Verlinkungen auf Autismus-Dokumentationen ausgebrochen, aber keine Angst, nach diesem Post ist es damit auch schon wieder vorbei.

Pascals Welt (via ronsens)

Autismus in den USA: Louis Theroux: Autism – Extreme Love
So viel Plastik, fiel mir auf, und sehr starker Fokus aufs Konditionieren der Kinder. Die Eltern scheinen auf eine ganz andere Weise hilflos als zum Beispiel die Müllers in „Pascals Welt.“ Die kulturellen Unterschiede zeigen sich gerade im Vergleich dieser beiden Dokus sehr stark.

b.sucht.

Bettina Böttinger hat drei Autisten besucht und die halbstündige Dokumentation finde ich sehr gelungen. Autismus wird zwar anfangs als Krankheit bezeichnet und das stimmt nicht so ganz, denn wenn auch viele Autisten andere Krankheiten haben (zum Beispiel wie John eine Epilepsie), so sind doch auch viele Autisten ganz gesund. Es ist eine Behinderung. Ich wünschte mir, dass Redaktionen sich vor dem Senden oder Drucken mal an jemanden wenden, der oder die auf solche Fehler hinweisen kann, aber grundsätzlich ist das wirklich ein schöner Beitrag, weil er die Breite des Spektrums zeigt und weil er gar nicht bloßstellt.

Besonders den schwer beeinträchtigten Julius, den Bettina Böttinger zuerst im Heim besucht, in dem er wohnt, und später bei seinen Eltern, habe ich natürlich sofort ins Herz geschlossen, weil mich vieles an ihm an John erinnert (obwohl John ja schon noch schwerer beeinträchtigt ist und gar nicht mehr spricht). Das, was seine Eltern sagen, konnte ich auch gut nachvollziehen.

Den Beitrag kann man noch in der WDR-Mediathek ansehen.

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