tddl 2009 [die bücher, dritter teil].

Samstag Morgen kam das Päckchen mit neun anderen Büchern diesjähriger Teilnehmer, juhu. Ich begann mit Christiane Neudeckers „In der Stille ein Klang“, einem Band von Erzählungen. Was sofort auffällt: viel indirekte Rede, viel Konjunktiv, viele kurze Sätze, abgehackt: „Sie wollte anderes wissen. Wie geht es Dir. Was tust Du. Wie sind sie. Zu Dir.“ Viele, viele Punkte überall, das mag ich nicht so. Lauter abschließende Sätze, sich verschließende Sätze, da bleibt so wenig Luft und Raum für Perspektivenausweitung, Relativierungen. Der Text ist sich zu sicher, hat so was Autoritäres, Distanziertes. Mich als Leserin lässt er dadurch gar nicht in seine Geschichte hineinfinden, aber das mag ja auch genau so von der Autorin beabsichtigt sein.

Sie beginnt die Sätze oft mit Konjunktionen, Adjektiven etc., und meidet klassische Satzkonstruktionen: „Dass sie ihn testen würden, war ihm klar gewesen. […] Arbeitsunfähig werde ihn das machen, hatte er geschrien.“ Hier und da fände ich das nicht schlimm, aber es ist die Regel, nicht die Ausnahme. „In den Laden wird er hineingeschoben“, oder „An seine Eltern musste er denken.“ Warum nicht auch einfach mal: „Er wird in den Laden hineingeschoben“ oder „Er musste an seine Eltern denken“? Mir kommt dieses Satzteileumstellen auf Dauer etwas krampfhaft vor. Wenn zwischendurch mal ein paar normal zusammengesetzte Sätze kommen, erholt man sich kurz, findet fast in den Inhalt rein, aber dann geht es sofort wieder los mit diesem eigenwilligen Stil.

Als formales Experiment vielleicht nicht uninteressant, ich hoffte allerdings, dass es darum nur eine Geschichte lang so sein würde. Leider ging es in der zweiten Geschichte gerade so weiter: „Da fällt der Startschuss. Fort. Herum reißt sich das Ich. Rennt. Flüchtet. Rast. Fort.“ Zwischendurch mal eine Geschichte, „Sauerstoff“, in der dieser Stil nicht so dominant ist, sie gefällt mir gleich besser. Dann aber in der nächsten Geschichte „Unterwelt“ schon wieder: „Stefan steht. Nickt. Und setzt sich.“ Unterwelt, da muss ich an Don DeLillo denken, der ja sagt, in guter Literatur könne nie ein Satz mit „Und“ beginnen. Nundenn, das Buch ist einfach nicht mein Geschmack, mal den Bachmanntext abwarten.

Danach Lorenz Langeneggers „Hier im Regen.“ Im Klappentext heißt es: „Unspektakulärer kann das Setting eines Romans kaum sein, um nicht zu sagen – langweiliger. Aber von wegen: einlässlicher, mitfühlender, um nicht zu sagen kurzweiliger ist sehr lang nicht mehr vom Leben eines Menschen erzählt worden. […] Lorenz Langenegger erweist sich in seinem ersten Roman als ein höchst aufmerksamer Begleiter seines Alltags-Helden.“ Den Beginn und das Ende dieser Einschätzung teile ich, den Mittelteil eher nicht. Ja, das Setting ist unspektakulär, und ja, Langenegger ist ein minutiöser Beobachter eines Menschen, der an der Belanglosigkeit seines Lebens leidet, einlässlich und mitfühlend kann ich auch noch nachvollziehen, aber kurzweilig finde ich das Ganze nicht.

Das Buch beginnt so: „Wenn Jakob Walter erwacht, ist um ihm herum erst einmal nichts. Die ersten Sekunden des Tages, in denen die einen den Schattengestalten ihrer Träume begegnen, andere im Kopf bereits Unerledigtes auflisten und ihr Tagwerk vorbereiten, braucht Walter, um sich im Schlafzimmer seiner eigenen Wohnung zurechtzufinden. Es ist ihm, als ob er jeden Tag zum ersten Mal in diesem Doppelbett neben Edith erwachen würde. Stück für Stück setzt er die altbekannte Welt zusammen.“ Mein erster Gedanke: oh je, muss ich nun 167 Seiten einem solchen Stoffel folgen?

Die Beschreibung des Aufstehens dauert dann noch an, auf dem Stuhl erkennt er seinen Pullover zunächst nicht, und verrätselt das dann, überhaupt wird jedes kleinste und banale Detail seziert und nicht selten verrätselt. Offensichtlich leidet der Protagonist an seinem belanglosen Alltag, und begegnet dem Leiden durch künstliches Aufladen des Gewöhnlichen. So unsympathisch er einem auf den ersten Seiten war, so bleibt er: „Immer wenn er wegfährt, löst er eine Rückfahrkarte. Er kann sich nicht vorstellen, wie sich das Wegfahren ohne Rückfahrkarte anfühlt.“ Mann, Mann, so ein Dussel. Es ist ja immer sehr gewagt, einen so unsympathischen Protagonisten zu haben, man möchte eigentlich nicht unbedingt weiterlesen.

Die Figur des Jakob scheint mir auch ein kleines bisschen unausgegoren: einerseits soll der Mann ein Verwaltungsangestellter sein und langweilig, andererseits hat er coole Elemente, trägt beispielsweise eine Umhängetasche (wobei nicht dabei steht, ob von Freytag). Mir kommt es so vor, als ob Langenegger eine sehr gewöhnliche Figur erschaffen möchte, aber sich manche Ästhetisierungen dabei hier und da doch nicht verkneifen kann. Die Geschichte um den verschwundenen Rolf finde ich mäßig interessant, und sollte Rolf am selben Tag gestorben sein wie Jakobs Schildkröte, je nun. Am Ende tut der Protagonist gegenüber seiner Frau so, als habe er das ganze Wochenende die Wohnung nicht verlassen: er hat also durch seine Reise nach Locarno und Rolfs Tod eigentlich nichts dazugelernt und bleibt der gleiche Stoffel, der er auf der ersten Seite war, auch deprimierend.

Leider ist der Text vor allem sehr inkompatibel mit meiner Lebenswelt, in der das Kind um vier Uhr morgens aufgestanden war, wie wild durch die Wohnung rannte, Gegenstände herumschleuderte, schließlich das Sofa als Trampolin missbrauchte und zerbrach. Um sechs Uhr hatte ich schon einen Auftrag für den Tag: zu Obi und Materialien zur Sofareparatur kaufen, dann Sofa reparieren. Wenn man um vier Uhr nachts schlagartig aufstehen muss, bleibt für schöngeistige Reflektionen über das Erwachen zum Beispiel leider keine Zeit, und darüber ein paar Stunden später von einem Mann zu lesen, der anscheinend keinerlei Verantwortung trägt in seinem Leben und am eigenen Nichtstun leidet, dazu habe ich auch keine Lust. Manchmal ist es ja schön, etwas zu lesen, das eine ganz andere Welt beschreibt als die eigene, aber in diesem Fall ist es leider nicht so. Dies ist eine zeitgenössische Ennui-Geschichte, und Anfang Zwanzig hat mich das mal interessiert, da habe ich auch Joris-Karl Huysmans gerne gelesen, aber das ist eine Lebenshaltung, die die meisten ja dann doch hinter sich lassen, wenn sie erstmal im Leben stehen anstatt es von außen zu betrachten. Vielleicht ist der Autor einfach noch zu jung. Er kann nämlich gut schreiben, das muss man wirklich sagen, aber vielleicht hat er noch nicht genug zu erzählen. (Andererseits ist er 29 Jahre alt, ist also auch nicht mehr allzu jung. Im Zweifelsfall kann man sich wahrscheinlich auch noch mit 50 in einem Kokon des Ästhetizismus bewegen.) Vielleicht muss sich der Autor einfach noch ein paar Jahre am Leben reiben, und dann bekommt man ein schönes Buch von ihm zu lesen, das kann ich mir gut vorstellen. Ich bin gespannt, ob beim Bewerb vielleicht schon etwas anderes kommt.

1 thought on “tddl 2009 [die bücher, dritter teil].

  1. Antworten
    Fritz Brett - 25. Juni 2009

    Zufällig gerade vorbeigestolpert. Mir gefällt das analytische Interesse an Redeform und Stilistik. Bin selbst immer wieder erstaunt darüber, wie viele deutsche Schriftsteller gar nicht schreiben können. Oder nur schlecht. Wenn es dann auch noch an Vorstellungskraft und Emotion fehlt, bin ich meistens nach 3 oder 5 Seiten fertig mit einem Buch. Die Möglichkeiten, durch Wortumstellungen einen eigentlich inhaltsarmen Text aufzupudeln, bietet meines Wissens auch nur das Deutsche. Man möchte den Leuten sagen: Übersetz das mal ins Englische und dann sauber zurück ins Deutsche … ^^ Was bleibt dann übrig? Ich hätte allerdings gedacht, in Klagenfurt wären nur halbwegs virtuose Leute zugelassen … Seltsam. Jedenfalls dankeschön für diesen Blog, merke ich mir mal.

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