„Ich liebe Dich nicht, aber ich möchte es mal können.“ Auf dem Cover steht ansonsten nur der Name der Autorin, Tessa Korber, also denkt man erst einmal intuitiv, sie wäre das Ich. Eine Mutter, die ihr Kind nicht liebt? Aber nein, bei Bayern 2 erzählte Tessa Korber, wie es zu dem nicht als Zitat gekennzeichneten Titel kam: hier wurde ein Gespräch zwischen der Autorin und ihrem autistischen Sohn montiert. Auf die Frage der Mutter, ob er sie liebe, antwortete der Sohn: „Nein, aber ich möchte es mal können.“ So viel zum irreführenden Titel, der mit Tabubruch spielt und dabei auch deutlich auf die längst überholte, aber unterschwellig noch im öffentlichen Bewusstsein verankerte Theorie rekurriert, Autismus entstehe durch Mütter, die sich dem Kind gegenüber emotional kalt verhielten (Stichwort Kühlschrankmutter). Auf doppelte Weise spielt der Titel mit dem Bild der Mutter, die ihr Kind nicht liebt.
Das Cover dunkel, das Kind darauf nackt, verletzlich, ausgeliefert, schutzbedürftig. Das verstärkt das doppelte Spiel des Titels. Alle typischen Stereotypien im Autismus-Porträt werden erfüllt: das Kind ist alleine zu sehen, ohne Interaktion mit der Kamera. Der Gesichtsausdruck im Profil traurig, ins Leere starrend. Dem Betrachter wird der Eindruck von Einsamkeit und Zurückgezogenheit in sich selbst vermittelt, die fotografische Darstellung verstärkt gängige Stereotypien in der Wahrnehmung von Autismus.
Das ist alles so 20. Jahrhundert. Da ist mal eine Autorin, die so etabliert ist, dass ihr ein Publikumsverlag Raum für das Thema Autismus bietet, und dann kommt dabei sowas Klischeehaftes raus. Schade, eine schöne Chance vertan. „Mein Kind ist kaputt gegangen, es ist einfach zerbrochen“, oh je, im Ernst noch 2012 diese – gegenüber dem Wesen des Kindes so respektlose – Rhetorik? Bitte einmal Jim Sinclair lesen, Don’t mourn for us. Bei Ullstein lese ich folgendes Zitat der Mutter und Autorin: „Schon oft habe ich davon geträumt, mit ihm ganz fest im Arm von einem Hochhaus zu springen.“ Wtf? Offensichtlich ist die Mutter überfordert und braucht Hilfe. Leider ist ein Buch zu schreiben nicht immer die richtige Therapie. Ich hoffe, das Kind ist nicht wirklich in Gefahr.
Und dann ist da noch der Trailer: „Wenn Sie ein behindertes Kind haben, hassen Sie unendlich. Das ist tatsächlich so, Sie hassen die Gesunden, Sie hassen die, die es einfach haben und denken, Sie hätten es schwer…“ Ich will das gar nicht weiter zitieren – es ist meistens nicht schön, wenn jemand seiner Missgunst öffentlich freien Lauf lässt – ich würde mir allerdings wirklich wünschen, dass Tessa Korber nicht so pauschalisierend sprechen würde, denn sie sollte sich zumindest bewusst sein, dass sie nur für sich selbst spricht und nicht für andere Eltern behinderter Kinder. Ich habe ein behindertes Kind und hasse nicht: nicht die Gesunden, und auch nicht die, die es einfach haben, sogar nicht einmal den Kinderchor. So geht es nun wirklich nicht.
Gute Rezension im Deutschlandradio.
Und: ganz großartig: A Life Pretty Full of Love. So geht es.
Den Anfang der Rezension finde ich nicht so gut, wie bspw. die Formulierung „Bei Simon ist das ganz ähnlich. Seine Mutter Tessa Korber, Schriftstellerin im Hauptberuf, ist an ihn gefesselt.“ Da musste ich sofort an ein Bild denken, dass ich erst kürzlich auf einem ganz wunderbaren Portal gesehen habe: http://leidmedien.de/ Ein Online-Portal über Sprache und Behinderung: Wie jemand mit einem Seil tatsächlich an den Rollstuhl gefesselt ist – weil das eben auch oft so geschrieben wird von Journalisten. Ich kann das absolut nachvollziehen was du schreibst: „Das ist alles so 20. Jahrhundert. Da ist mal eine Autorin, die so etabliert ist, dass ihr ein Publikumsverlag Raum für das Thema Autismus bietet, und dann kommt dabei sowas Klischeehaftes raus. Schade, eine schöne Chance vertan.“
Der nächste Publikumsverlag sollte dann ein Buch von dir/euch rausgeben.
Du hast Recht, es sind natürlich auch in der Rezension beim Deutschlandradio Stereotypien drin. Ich habe mich schon fast damit abgefunden, dass es anscheinend nicht ohne geht. Das Problem ist, glaube ich, dass noch immer fast gar keine Bereitschaft da ist, umzudenken oder sich überhaupt damit zu befassen, wie vereinnahmend und diskriminierend die Rhetorik ist.
Ich fände es toll, wenn ich die Möglichkeit bekäme, es mal anders zu probieren, aber es sieht nicht danach aus. Mein Exposé hat der Agent mit auf die Buchmesse genommen und bisher haben wir lauter Absagen bekommen. Der Zugang zum Autismus sei nicht so spannend wie in anderen Erzählungen (klar, kommen ja auch keine besonderen Begabungen vor), es ließe sich nicht vermarkten, weil John aktuell gar nicht mehr verreisen möchte (das ist nunmal leider der Verlauf seines Autismus, es ging mir doch gerade darum, offen und ehrlich darüber zu schreiben), die Kombination von Reisen und Autismus sei zu speziell, der Text sei zu sachlich und zu wenig emotional (dabei ist das ja gerade gewollt: von diesem Schicksalsding wegzukommen, aber aus der Schublade sollen wir wohl nicht rausgelassen werden) usw. An den Absagen habe ich vor allem wieder einmal gesehen, wie sehr bestimmte Erwartungshaltungen über das Leben mit einem behinderten Kind in der Gesellschaft verankert sind. Es wird wohl nicht die Notwendigkeit gesehen, diese Narrative und Zuweisungen zu überdenken. Ich hatte bei den meisten das Gefühl, dass sie meinen Text und das, was ich damit machen möchte, gar nicht verstanden haben. Kann ja auch mein Fehler sein.
In den meisten Fällen haben sie ganz ehrlich gesagt, dass sie nicht sehen, dass sich das verkaufen lässt. Ich glaube nach wie vor, dass es Leser finden könnte. Hier lesen doch auch Leute mit. Es stehen noch vier Verlage aus, aber die Hoffnung ist gering, dass einer von ihnen es wagt. Wir machen dann die deutsche Version auch alleine, dauert dann halt länger, im Februar kommt der Text ja erstmal auf Englisch.
Tessa Korber war bei Bettina Böttinger in der Talk Show Kölner Treff zu Gast. Dort erzählte sie, dass sie tatsächlich starke psychische Probleme hat, acht Jahre lang Antidepressiva nahm und sich im Mai diesen Jahres selbst in die Psychiatrie eincheckte. Alles sehr traurig, aber es ist grundsätzlich eben ihr Problem, nicht das ihres Sohnes (für den ist es wahrscheinlich schwer, eine psychisch kranke Mutter zu haben).
In der Talk Show sagte sie, dass ihr Sohn nun im Alter von 12 Jahren im Heim lebt und dort sehr glücklich sei. Vielleicht ist es für ihn dort tatsächlich einfacher und besser als Zuhause, gut möglich. Immerhin erkennt die Autorin mit dieser Aussage an, dass ihr Sohn durchaus glücklich sein kann, diese Akzeptanz schien sie vorher nicht zu haben, als sie von einem kaputten Kind sprach und immer dachte, man müsse doch was tun. Sie erzählt, daran sei ihre Ehe gescheitert: ihr Mann habe irgendwann das Kind einfach so akzeptiert, wie es ist, und sie habe immer weiter gedacht, man müsse doch was tun.
Bei allem Mitgefühl für die Mutter bleibt meine Kritik, dass sie eine Prägung der Sichtweise auf Autismus vornimmt, anstatt das eigene Problem anzuerkennen.