Bei fast allen meinen deutschen Freundinnen, die Kinder bekommen haben, war dies mit einem recht lange andauernden Kürzertreten im Beruf verbunden. Gründe dafür gab es genügend, vor allem für die, die nicht in Berlin leben. Es gab kaum Betreuung für Kinder unter 3 Jahren und später kamen die kurzen Schulzeiten und die vielen Ferienzeiten hinzu. Wie soll man Vollzeit arbeiten, wenn das Kind um spätestens halb zwei wieder Zuhause ist und alle zwei Monate Ferien hat? Jetzt, da die Kinder größer sind, fällt vielen Müttern der Wiedereinstieg schwer. Nur die wenigsten können da anschließen, wo sie aufgehört haben.
Meine amerikanischen Freundinnen haben das Berufsleben nicht so lange und nachhaltig verlassen. Meine eine Kollegin und gute Freundin arbeitete ein Jahr lang Teilzeit, stockte dann wieder auf, blieb im gleichen Job und wurde über die Jahre hinweg immer weiter befördert, neben zwei Kindern. Als ich in den USA lebte, schien es mir viel leichter und akzeptierter zu sein, Beruf und Familie zu vereinbaren. Ich habe in Chicago drei Monate nach Johns Geburt wieder angefangen zu arbeiten. (Allerdings wurde ich dann nach anderthalb Jahren durch Johns schwere Epilepsie aus der Bahn getragen. Das ist dann Schicksal.)
Weder die Erfahrungen in meinem deutschen noch in meinem amerikanischen Umkreis sind Beweise für irgendwas, es sind willkürlich beobachtete Tendenzen. So kam es mir jedenfalls größtenteils vor, auch wenn immer das Gefühl an mir nagte, dass da vielleicht doch grundsätzlich und strukturell etwas schief läuft. Denn warum gibt es in Deutschland so viele Maßnahmen, die das Kinderhaben unterstützen sollen und dennoch funktioniert das für die Frauen gefühlt viel schlechter als in den USA, wo es nicht einmal Kindergeld gibt?
In ihrem Buch „Die verratene Generation“ haben Kristina Vaillant und Christina Bylow sich auf die Suche nach den Strukturen gemacht, die das etwas vage und vor allem eher private Gefühl von Ungerechtigkeit in einen politischen und gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang stellen. Mit konkreten Zahlen und Fakten legen sie Schicht um Schicht frei, dass das, was wir vielleicht für ein persönliches Problem halten, in Wirklichkeit im System angelegt und somit auf eine Weise auch gewollt ist.
Frauen sind widersprüchlichen Anreizen und Logiken ausgesetzt. Betreuungsgeld, Ehegatten-Splitting, Teilzeitangebote oder gar Minijobs suggerieren einerseits Hilfe beim Vereinbaren von Beruf und Familie. Andererseits sorgt nur Berufstätigkeit für eine Rente, von der sich leben lässt. Abgerechnet wird zum Schluss: „Über vierzig Prozent der Frauen, die zwischen 1962 und 1966 in den alten Bundesländern geboren wurden, müssen mit einer gesetzlichen Rente von unter 600 Euro im Monat rechnen. Bei den gleichaltrigen Frauen, die in der DDR geboren wurden, sind es nur 20 Prozent. Sie waren fast immer berufstätig.“ Die Anreize locken uns Frauen am Ende in eine Falle.
Letztens saß in einer Talkshow ein sympathischer junger Journalist der ZEIT, der davon berichtete, dass er und seine Frau eigentlich nicht den klassischen Weg gehen wollten: Er arbeitet und sie bleibt mit den Kindern Zuhause. Dann hätten sie aber gemerkt, dass es zu schwierig sei, zwei Berufstätigkeiten mit den Kindern zu vereinbaren und so hätten sie sich dann doch in das traditionelle Modell gefügt. Das war alles ganz geschmeidig, wie er da so saß und das erzählte. Es täuschte unheimlich gut darüber hinweg, was da eigentlich geschehen war: Er musste nichts aufgeben, seine Frau dagegen schon. Er bedauerte das, immerhin, aber einen alternativen Weg zu suchen, der auch ihr mehr gerecht würde, das hatten sie nicht vermocht. Und so saß da wieder der erfolgreiche Mann in der Öffentlichkeit, die Frau Zuhause bei den Kindern. Das System funktioniert für die Männer nach wie vor richtig gut. Man fragt sich wirklich: Warum sollten sie es ändern wollen?
Dazu kommt, dass nicht alle Frauen automatisch von Armut betroffen sind: „Natürlich trifft die Altersarmut viele Frauen nicht: Lehrerinnen, Richterinnen, Frauen im öffentlichen Dienst und Beamtinnen der mittleren bis hohen Besoldungsstufen. Auch den Frauen, die einen gut verdienenden Mann an ihrer Seite haben, geht es, finanziell betrachtet, besser – solange die Ehe hält.“ Doch auch hier lauert also Gefahr: Solange die Ehe hält. Immer mehr Ehen scheitern und das führt dazu, dass sich die finanzielle Lage der Frauen nach der Scheidung meist deutlich verschlechtert. Wo sich nach der Reform des Unterhaltsrechts 2008 nun eigentlich Männer und Frauen zu gleichen Teilen um die Kinder kümmern sollten und die finanziellen Einbußen teilen, geschieht dies dennoch eher selten. Immer noch kümmern sich meistens die Frauen um die Kinder und schultern die damit einhergehenden finanziellen Einbußen.
„Die Reformen des letzten Jahrzehnts setzten auf Eigenverantwortung auch bei den Frauen, die nicht ausschließlich für sich selbst, sondern sehr viel für andere gesorgt haben. Unter anderer Gesetzgebung haben sie sich auf eine nun für sie höchst ungünstige Verteilung von unbezahlter und bezahlter Arbeit innerhalb ihrer Ehen und Partnerschaften eingelassen. Aber nicht nur geschiedene Frauen sind mit dem neuen Unterhaltsrecht von 2008 gemeint: Es betrifft alle Frauen, die in dem Konstrukt leben, das der Staat entgegen dem Prinzip der Selbstverantwortung wiederum durch ein antiquiertes Steuersystem fördert: die Zuverdiener-Ehe, das deutsche Standard-Modell. Ist der Hauptverdiener nicht mehr da, bricht dieses System zusammen.“
Nach dem Lesen des Buchs scheint es mir, dass wir vor allem eine Reform des Steuerrechts brauchen: die Abschaffung des Ehegatten-Splittings und die Einführung von Steuerklassen, die sich nach Kinderzahlen richten und die Alleinerziehende nicht mehr fast wie Singles besteuern.
Solange die Rente an die entlohnte Berufstätigkeit gekoppelt ist, erhalten Frauen nur dann eine Rente, von der sie leben können, wenn man die Anreize Betreuungsgeld, Elterngeld und Kindergeld abschafft und dieses Geld stattdessen konsequent in Kinderbetreuungsangebote investiert. Das ist eine Möglichkeit. Möchte man dagegen mehr Zeit für Kinder und Familie erlauben (was die Anreize suggerieren), dann wiederum müsste man das Rentensystem so ändern, dass das unbezahlte Kümmern auch zählt. Entweder oder, lieber Staat. So widersprüchlich, wie es heute durchgeführt wird, schadet es den Frauen erheblich.
„Zu lange wurde geschwiegen über die in Deutschland besonders drastische Lohnungerechtigkeit zwischen Männern und Frauen, zu lange haben wir uns ein katastrophales Betreuungsmängelwesen für unsere Kinder gefallen lassen, zu lange haben sich Frauen in Fehden über das falsche und richtige Muttersein bekämpft. Zu lange haben sie für andere gesorgt und sich dabei selbst aus den Augen verloren. Die Quittung dafür bekommen sie jetzt. Sie kommt in Form des Rentenbescheids ins Haus und konfrontiert uns mit der bitteren Bilanz unseres Lebens – und der Wahrheit über ein Lebenskonzept, das Frauen auch heute noch nahegelegt wird: Die Mehrheit der 40- bis 50-jährigen Frauen arbeitet Teilzeit. Auch siebzig Prozent der Minijobs, jener schändlichsten Erfindung des Arbeitsmarkts, wird von Frauen dieser Altersgruppe erledigt. Sie alle erwarten eine Rente weit unter dem Existenzminimum. Es sind keine Einzelfälle, „Einzelschicksale“, wie es früher hieß, und schon gar nicht haben diese Frauen ihr Leben selbst vermasselt, wie ihnen die Ideologie der „Wahlfreiheit“ suggeriert. Diese Ideologie leugnet die Existenz jedweder Rahmenbedingungen. Sie leugnet den Einfluss von Herkunft und Geschlecht. Sie schiebt dem Einzelnen die Schuld zu, wenn er fällt. Was die Frauen unserer Generation betrifft, ist diese Ideologie besonders fatal: Denn einerseits wurde die Selbstaufgabe der Mutter noch immer selbstverständlich gefordert, andererseits wird gerade das Sorgen für andere am Ende gnadenlos und bis zur Existenzgefährdung hin abgestraft.“
Ich bin dem Buch dankbar, dass es dies so deutlich herausarbeitet. Das Problem ist kein Privates, sondern es ist systemimmanent. Und wir müssen auch endlich über Geld reden, ohne dass dann gleich „die Ökonomisierung der Frau“ heraufbeschworen wird.