tddl 2009 [die bücher, vierter teil.]

Eben Jens Petersens „Haushälterin“ beendet. Endlich mal wieder ein Buch, das ich gern gelesen habe. Einfühlsam ohne aufdringlich zu sein, zart auch irgendwie. Keine Ennui-Geschichte, keine Satzumstellereien, stattdessen eine ganz klare Sprache, auch gute Dialoge, neben Krampitz bisher das Beste der Bachmannanwärter-Bücher, die ich gelesen habe. Jetzt liegen hier noch sechs rum, bis morgen früh um zehn kann ja noch gelesen werden.

(Risikofaktor Krankheit: John ist leider krank und kann möglicherweise morgen nicht in die Schule. Risikofaktor Autismus: John hat gerade einer seiner typisch autistischen funky Schlafrhythmus-Phasen und steht ständig zwischen 3 und 4 Uhr nachts auf. Ausschlussfaktor Klassenfest: morgen Nachmittag findet das jährliche Klassenfest statt, und wenn John morgens doch zur Schule kann, muss ich nachmittags zum Grillfest. Warum man aber auch nicht einmal in Ruhe den Bachmannpreis verfolgen kann. Jetzt weiß ich gar nicht, auf welche Lesereihenfolge ich gleich bei der Auslosung hoffen soll. Krampitz, Bönt und Petersen am besten nicht am Donnerstag.)

tddl 2009 [die bücher, dritter teil].

Samstag Morgen kam das Päckchen mit neun anderen Büchern diesjähriger Teilnehmer, juhu. Ich begann mit Christiane Neudeckers „In der Stille ein Klang“, einem Band von Erzählungen. Was sofort auffällt: viel indirekte Rede, viel Konjunktiv, viele kurze Sätze, abgehackt: „Sie wollte anderes wissen. Wie geht es Dir. Was tust Du. Wie sind sie. Zu Dir.“ Viele, viele Punkte überall, das mag ich nicht so. Lauter abschließende Sätze, sich verschließende Sätze, da bleibt so wenig Luft und Raum für Perspektivenausweitung, Relativierungen. Der Text ist sich zu sicher, hat so was Autoritäres, Distanziertes. Mich als Leserin lässt er dadurch gar nicht in seine Geschichte hineinfinden, aber das mag ja auch genau so von der Autorin beabsichtigt sein.

Sie beginnt die Sätze oft mit Konjunktionen, Adjektiven etc., und meidet klassische Satzkonstruktionen: „Dass sie ihn testen würden, war ihm klar gewesen. […] Arbeitsunfähig werde ihn das machen, hatte er geschrien.“ Hier und da fände ich das nicht schlimm, aber es ist die Regel, nicht die Ausnahme. „In den Laden wird er hineingeschoben“, oder „An seine Eltern musste er denken.“ Warum nicht auch einfach mal: „Er wird in den Laden hineingeschoben“ oder „Er musste an seine Eltern denken“? Mir kommt dieses Satzteileumstellen auf Dauer etwas krampfhaft vor. Wenn zwischendurch mal ein paar normal zusammengesetzte Sätze kommen, erholt man sich kurz, findet fast in den Inhalt rein, aber dann geht es sofort wieder los mit diesem eigenwilligen Stil.

Als formales Experiment vielleicht nicht uninteressant, ich hoffte allerdings, dass es darum nur eine Geschichte lang so sein würde. Leider ging es in der zweiten Geschichte gerade so weiter: „Da fällt der Startschuss. Fort. Herum reißt sich das Ich. Rennt. Flüchtet. Rast. Fort.“ Zwischendurch mal eine Geschichte, „Sauerstoff“, in der dieser Stil nicht so dominant ist, sie gefällt mir gleich besser. Dann aber in der nächsten Geschichte „Unterwelt“ schon wieder: „Stefan steht. Nickt. Und setzt sich.“ Unterwelt, da muss ich an Don DeLillo denken, der ja sagt, in guter Literatur könne nie ein Satz mit „Und“ beginnen. Nundenn, das Buch ist einfach nicht mein Geschmack, mal den Bachmanntext abwarten.

Danach Lorenz Langeneggers „Hier im Regen.“ Im Klappentext heißt es: „Unspektakulärer kann das Setting eines Romans kaum sein, um nicht zu sagen – langweiliger. Aber von wegen: einlässlicher, mitfühlender, um nicht zu sagen kurzweiliger ist sehr lang nicht mehr vom Leben eines Menschen erzählt worden. […] Lorenz Langenegger erweist sich in seinem ersten Roman als ein höchst aufmerksamer Begleiter seines Alltags-Helden.“ Den Beginn und das Ende dieser Einschätzung teile ich, den Mittelteil eher nicht. Ja, das Setting ist unspektakulär, und ja, Langenegger ist ein minutiöser Beobachter eines Menschen, der an der Belanglosigkeit seines Lebens leidet, einlässlich und mitfühlend kann ich auch noch nachvollziehen, aber kurzweilig finde ich das Ganze nicht.

Das Buch beginnt so: „Wenn Jakob Walter erwacht, ist um ihm herum erst einmal nichts. Die ersten Sekunden des Tages, in denen die einen den Schattengestalten ihrer Träume begegnen, andere im Kopf bereits Unerledigtes auflisten und ihr Tagwerk vorbereiten, braucht Walter, um sich im Schlafzimmer seiner eigenen Wohnung zurechtzufinden. Es ist ihm, als ob er jeden Tag zum ersten Mal in diesem Doppelbett neben Edith erwachen würde. Stück für Stück setzt er die altbekannte Welt zusammen.“ Mein erster Gedanke: oh je, muss ich nun 167 Seiten einem solchen Stoffel folgen?

Die Beschreibung des Aufstehens dauert dann noch an, auf dem Stuhl erkennt er seinen Pullover zunächst nicht, und verrätselt das dann, überhaupt wird jedes kleinste und banale Detail seziert und nicht selten verrätselt. Offensichtlich leidet der Protagonist an seinem belanglosen Alltag, und begegnet dem Leiden durch künstliches Aufladen des Gewöhnlichen. So unsympathisch er einem auf den ersten Seiten war, so bleibt er: „Immer wenn er wegfährt, löst er eine Rückfahrkarte. Er kann sich nicht vorstellen, wie sich das Wegfahren ohne Rückfahrkarte anfühlt.“ Mann, Mann, so ein Dussel. Es ist ja immer sehr gewagt, einen so unsympathischen Protagonisten zu haben, man möchte eigentlich nicht unbedingt weiterlesen.

Die Figur des Jakob scheint mir auch ein kleines bisschen unausgegoren: einerseits soll der Mann ein Verwaltungsangestellter sein und langweilig, andererseits hat er coole Elemente, trägt beispielsweise eine Umhängetasche (wobei nicht dabei steht, ob von Freytag). Mir kommt es so vor, als ob Langenegger eine sehr gewöhnliche Figur erschaffen möchte, aber sich manche Ästhetisierungen dabei hier und da doch nicht verkneifen kann. Die Geschichte um den verschwundenen Rolf finde ich mäßig interessant, und sollte Rolf am selben Tag gestorben sein wie Jakobs Schildkröte, je nun. Am Ende tut der Protagonist gegenüber seiner Frau so, als habe er das ganze Wochenende die Wohnung nicht verlassen: er hat also durch seine Reise nach Locarno und Rolfs Tod eigentlich nichts dazugelernt und bleibt der gleiche Stoffel, der er auf der ersten Seite war, auch deprimierend.

Leider ist der Text vor allem sehr inkompatibel mit meiner Lebenswelt, in der das Kind um vier Uhr morgens aufgestanden war, wie wild durch die Wohnung rannte, Gegenstände herumschleuderte, schließlich das Sofa als Trampolin missbrauchte und zerbrach. Um sechs Uhr hatte ich schon einen Auftrag für den Tag: zu Obi und Materialien zur Sofareparatur kaufen, dann Sofa reparieren. Wenn man um vier Uhr nachts schlagartig aufstehen muss, bleibt für schöngeistige Reflektionen über das Erwachen zum Beispiel leider keine Zeit, und darüber ein paar Stunden später von einem Mann zu lesen, der anscheinend keinerlei Verantwortung trägt in seinem Leben und am eigenen Nichtstun leidet, dazu habe ich auch keine Lust. Manchmal ist es ja schön, etwas zu lesen, das eine ganz andere Welt beschreibt als die eigene, aber in diesem Fall ist es leider nicht so. Dies ist eine zeitgenössische Ennui-Geschichte, und Anfang Zwanzig hat mich das mal interessiert, da habe ich auch Joris-Karl Huysmans gerne gelesen, aber das ist eine Lebenshaltung, die die meisten ja dann doch hinter sich lassen, wenn sie erstmal im Leben stehen anstatt es von außen zu betrachten. Vielleicht ist der Autor einfach noch zu jung. Er kann nämlich gut schreiben, das muss man wirklich sagen, aber vielleicht hat er noch nicht genug zu erzählen. (Andererseits ist er 29 Jahre alt, ist also auch nicht mehr allzu jung. Im Zweifelsfall kann man sich wahrscheinlich auch noch mit 50 in einem Kokon des Ästhetizismus bewegen.) Vielleicht muss sich der Autor einfach noch ein paar Jahre am Leben reiben, und dann bekommt man ein schönes Buch von ihm zu lesen, das kann ich mir gut vorstellen. Ich bin gespannt, ob beim Bewerb vielleicht schon etwas anderes kommt.

tddl 2009 [die bücher, zweiter teil].

Nach dem Bildungsprivileg von Preisendörfer habe ich gleich noch eins seiner Bücher gelesen, allerdings ein belletristisches: den unter dem Pseudonym Bruno Richard veröffentlichten Thriller „Desaster.“ (In der Stadtbibliothek Mitte gibt es nur diese beiden Preisendörfer-Bücher und „Der Kaiser vom Knochenberg“ von Karsten Krampitz, also habe ich mir die drei ausgeliehen.) „Desaster“ ist, im Gegensatz zum nüchternen Sachbuch, tatsächlich sehr belletristische Unterhaltung. Sprachlich hatte ich ein paar Probleme mit dem Roman. Die Passagen aus der Sicht eines Kindes beispielsweise finde ich übertrieben anbiedernd an eine mir auch schon veraltet erscheinende Jugendsprache: „Aber er gab zu, dass dieser Missgriff durch einen fetzigen Aluminiumroller mit Handbremse am Lenker und wunderschön glänzenden Schutzblechen über den Rändern wieder ausgeglichen worden war. Kein Kickboard, sondern ein richtiger Roller; voll fett, das Teil.“ (21) Das Ganze liest sich deshalb so problematisch, weil es einen auktorialen Erzähler gibt, und warum sollte der plötzlich so abdriften? Das klingt dann irgendwie falsch und patronisierend. Die Passage ist vielleicht auch ein ganz gutes Beispiel für zu viele Adjektive. Außerdem gibt es in dem Buch für meinen Geschmack viel zu viele Personen und Perspektiven. Die Geschichte springt permanent zwischen Handlungssträngen hin und her, und dann tauchen auch noch immer zusätzliche Außenimpressionen auf, wie etwa, was Nelson Mandela und Ceausescu gerade tun. Das Buch wirkte darum auf mich zu überladen, weniger wäre mehr gewesen. Es ist kein schlechtes Buch, doch toll fand ich es auch nicht gerade. Ich bin aber sehr gespannt auf Preisendörfers Bachmanntext, denn das Sachbuch hat mir sehr gefallen und beim Bewerb wird er ja wohl nicht mit etwas so belletristischem wie „Desaster“ starten.

Als Nächstes las ich dann also „Der Kaiser vom Knochenberg“ von Karsten Krampitz, was mir deutlich besser gefiel als „Desaster.“ Vielleicht liegt es auch daran, dass mich humorvolles Erzählen über das Aufwachsen in der DDR mehr interessiert als eine wilde Jahrtausendwende-Diamanten-Geschichte. Jedenfalls gibt es bei Krampitz richtig gute Dialoge, einen angenehmen Erzählfluss ohne zu viel Brimborium und einen erfrischenden Ich-Erzähler (kurz fühlte ich mich an „Müller haut uns raus“ von Jochen Schmidt erinnert, obwohl es ein ganz anderes Buch ist, aber es gibt in beiden Büchern dieses angenehm selbstironische, augenzwinkernde Erzählen des Aufwachsens). Teilweise war mir der „Kaiser vom Knochenberg“ allerdings etwas zu flapsig, aber das hielt sich noch in Grenzen. Ich habe das Buch einfach gerne gelesen – wie ich ja auch sowieso der Meinung bin, dass die DDR noch lange, lange nicht ausgeschrieben ist (wie man so sagt, oder besser: worüber man letzten Sonntag diskutierte). Letzten Sonntag war ich nämlich beim Literaturfest am Kollwitzplatz, wo Salli Sallmann u.a. mit der Autorin Annette Gröschner und dem Verleger Christoph Links auf dem Podium darüber sprach, wie es sich mit der Ostliteratur verhält, ob man sie heute überhaupt noch unterscheiden könne von Literatur aus dem Westen, ob es diese Kategorien noch gebe, und vieles mehr rund um die DDR, das Schicksal der Ost-Verlage nach der Wende etc. Ein tolles und anregendes Gespräch war das, nebenbei bemerkt (so was erhoffe ich mir von Bachmann dieses Jahr auch). Dabei kam irgendwann die Rede darüber auf, ob es eine Sättigung gebe, was das Erzählen über die DDR betreffe. Es stand so im Raum, dass die Menschen darüber nicht mehr lesen wollen, und die Autoren quasi gegen den Trend dennoch darüber schreiben. Ich weiß nicht, woher diese Vermutung kommt, jedenfalls verstehe ich sie nicht. Ich glaube eher, dass das Gegenteil der Fall ist. Man will das lesen, auf jeden Fall, und ich glaube auch, dass da noch Einiges kommen wird.

Während ich auf Frau Soprans Päckchen mit mehr Büchern von Bachmann-Anwärtern warte, bin ich dem Bewerb kurzfristig untreu geworden und lese Non-Bachmman: Christoph Schlingensiefs „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein! Tagebuch einer Krebserkrankung.“ (In den Neunzigern gingen wir immer zu seinen Talkshows „Talk 2000„, fällt mir da gerade wieder ein, daran habe ich schon ewig nicht gedacht.) Ich mag Christoph Schlingensief, und bisher mag ich sein Buch auch, sogar ziemlich sehr.

tddl 2009 [juroren und autoren].

Burkhard Spinnen: Caterina Satanik und Jens Petersen
Ijoma Mangold: Katharina Born und Bruno Preisendörfer
Alain Claude Sulzer: Lorenz Langenegger und Andreas Schäfer
Meike Feßmann: Ralf Bönt und Christiane Neudecker
Hildegard E. Keller: Karsten Krampitz und Gregor Sander
Paul Jandl: Karl-Gustav Ruch und Andrea Winkler
Karin Fleischanderl: Linda Stift und Philipp Weiss

tddl 2009 [die bücher, erster teil].

Langsam taste ich mich nun zu den Büchern vor, beginne allerdings mit einem Sachbuch. Hat zwar dann eigentlich nichts mit dem Bewerb zu tun, aber das ist ja mit das Schönste an Bachmann: dass alles Mögliche dazugehört, was eigentlich gar nicht dazugehört. Also, Bruno Preisendörfer: „Das Bildungsprivileg. Warum Chancengleicheit unerwünscht ist.“

Es geht um die Bildungschancen von Kindern aus bildungsfernen Familien. Ausgehend von seinen eigenen Erfahrungen hat Bruno Preisendörfer detailliert erforscht, wie Selektionsmechanismen funktionieren und geht möglichen Gründen nach, warum diese Selektion unterschwellig erwünscht war und immer noch ist. Preisendörfer rekurriert auf die Entstehungsgeschichte der einzelnen Schulformen, von der Volksschule über Haupt- und Realschulen bis Gymnasium und Privatschulen. Ein intelligentes, ideenreiches, eloquentes, sehr informiertes und dabei dennoch auch sehr kurzweilig und unterhaltsam geschriebenes Buch.

Zu bemängeln habe ich nur, dass die Perspektive der Bildungschancen von Kindern mit chronischen Erkrankungen und/ oder Behinderungen neben ein paar gewichtlosen Nebensatz-Referenzen kein Gehör findet. Auch unter diesen Kindern gibt es viele, die aus bildungsfernen Familien kommen und deren Bildungschancen dadurch beeinträchtigt sind. Natürlich hätte man dazu ein eigenes Kapitel schreiben müssen, aber die Förderschulen kommen bei aller detaillierten Betrachtung der diversen Schulformen in dem Buch leider nicht vor. Preisendörfer kritisiert, dass viel über multikulturalistische oder geschlechtsspezifische Diskriminierung gesprochen wird, ohne das Anliegen der bildungsfernen Familien dabei mit zu verhandeln. Durch diese Auslassung werde die Ungerechtigkeit strukturell bekräftigt (was sicher stimmt). In seinem Buch macht er aber in gewisser Weise den gleichen Fehler: die Förderschule ist die einzige Schulform, die er aus seiner Betrachtung ausschließt, er lässt die Diskussion der Bildungschancen von chronisch erkrankten und/ oder behinderten Kindern außen vor, und bekräftigt damit selbst strukturell die Ungerechtigkeit, die diesen Kindern widerfährt.

Man sollte nicht so argumentieren, dass die Perspektive dieser Kinder so speziell sei, dass sie in einem eigenen Buch verhandelt werden müsste, denn damit wird das Thema an den Rand gedrängt, in eine Ecke besonderer Bedürfnisse, die nur wenige Menschen interessiert und erreicht. Das Aussortieren in Spezialpublikationen ist eine strukturelle Diskriminierung; Spezialpublikationen gibt es genügend, aber sie erreichen die Menschen nicht, die nicht sowieso schon mit dem Thema befasst sind. Teil der Gesellschaft zu sein würde bedeuten, dass die Interessen gemeinsam mit denen anderer Problematiken mit behandelt werden.

Es gibt ein Zwischenstück über Selektion, das wäre zum Beispiel prädestiniert für das Thema Förderschule. Es gibt in dem Kapitel sogar eine Passage über Genforschung. „Manchmal ist unter den biologistischen Diskursgletschern der allerneuesten Gegenwart der faschistische Unterstrom der Vergangenheit zu hören, und so muss man sich nicht wundern, wenn in der einen oder anderen hippen genetischen Begriffspuppe die Mumie der Lehre von der erblichen Überlegenheit (sei es einer Rasse, sei es einer Klasse) steckt.“ (S. 63) Schade, dass der Autor hier die Einfahrt in das Thema Förderschule verpasst.

Am Ende dann doch noch ein bachmannrelevantes Fundstück. Auf S. 147 schreibt Preisendörfer: „‚Der Fuchs weiß viele Dinge, aber der Igel weiß eine große Sache.‘ Leute mit klassischer Bildung wissen, dass dieses Zitat von dem griechischen Dichter Archilochos stammt. Dass ich das auch weiß, verdanke ich nicht meiner klassischen Bildung, die eher rudimentär ist, sondern dem Segen der Anmerkungen, jenen Rosinen im Text, auf die ich der Lesbarkeit zuliebe in dem meinen verzichte.“ Aha, in dem Sachbuch verzichtet er also bewusst auf Rosinen im Text. Im Videoporträt sagt er, dass „die Rosinchen im Subtext ein zusätzliches Vergnügungsmoment“ sind. Vielleicht der Unterschied zwischen dem Journalisten und dem Literaten? Oder war das ganze Videoporträt ironisch gemeint und wir können in Preisendörfer einen Rebell des Bewerbs erwarten? (Und was hat es auf sich mit seiner besonderen Beziehung zu Rosinen, die überall vorkommen?)

tddl 2009 [zwischen-impressionen].

Nur 3 von 14 Autoren haben eine Homepage. 11 müssen aus Dornröschenschlaf geweckt werden

Nur 3 von 14 Autoren scheinen ohne andere Nebentätigkeit zu schreiben: Langenegger, Sander, Weiss

Fast die Hälfte, genau gesagt 6 von 14 sind Journalisten: Bönt, Born, Krampitz, Preisendörfer, Schäfer, Winkler (potentiell negativ, weil die literarische Qualität unter zu journalistischem Schreiben leiden könnte, potentiell vorteilhaft, weil wahrscheinlich nicht zu verquast, und oft können Journalisten gut Dialoge schreiben)

(1 Installationskünstlerin: Neudecker, 1 Arzt: Petersen, 1 Gitarrenlehrer: Ruch, 1 Religionslehrerin: Satanik, 1 Lektorin: Stift)

Es gibt dieses Jahr gleich vier neue Jurymitglieder auf einmal: Meike Feßmann, Karin Fleischanderl, Paul Jandl und Hildegard E. Keller, sowie eine neue Moderatorin: Clarissa Stadler. Man wird sich erstmal an Burkhard Spinnen, Alain Claude Sulzer und Ijoma Mangold halten müssen, um da reinzufinden. Nichts gegen all die Neuen, aber Bachmann ohne Ursula März, Klaus Nüchtern und Daniela Strigl? Wenigstens macht H.P. Maya immer noch das Bühnenbild.

Aussichtsreiche Kandidaten, nach bisher Gelesenem:
Karsten Krampitz
Bruno Preisendörfer
Ralf Bönt (Wiederholungstäter)
Jens Petersen

Favorit für den Publikumspreis: Karsten Krampitz

Die neue Moderatorin Clarissa Stadler sagt auf der Website des Bewerbs: „Das Wettlesen ist keine Literatur-Castingshow, sondern ein seriöser Wettbewerb“, hat aber gerade zuvor hervorgehoben, dass „so viele Fernsehzuschauer daran teilhaben können.“ Keine Frage, der Bewerb ist ein seriöser Wettbewerb, und man möchte das auch gerne ausschließlich so sehen, aber ich frage mich, ob man sich damit nicht selbst etwas vormacht. Ist der Bewerb nicht dennoch auch Germany’s next top writer, eine Show, mit all den Vor- und Nachteilen, die das mit sich bringt? Man muss sich nur mal den Preiskampf des Theatertreffens 2009 ansehen. Fernsehen kann man nicht oder nur bedingt an den Gesetzmäßigkeiten des Mediums vorbei machen, die Ansteckung erfolgt gewollt wie ungewollt, das kann man in Medientheorien von Adorno über Benjamin bis McLuhan nachschlagen, und die hatten da schon Recht.
[Das Internet, das ist natürlich eine andere Sache.]

tddl 2009 [das internet].

Ralf Bönt
Homepage
Interview
Fernsehbeitrag ARD
Auf Wikipedia auch Links zu Texten.

Katharina Born
Keine Website. Auf Wikipedia steht zwar, dass sie freie Journalistin ist, aber irgendwie kann ich kaum etwas von ihr finden, außer einen Text in der taz und die Herausgabe der Briefe ihres Vaters.

Karsten Krampitz
Keine Website, aber auf Wikipedia interessanter Link zu einem Text über Krampitz von Falko Hennig.

Lorenz Langenegger
Keine Website, aber auf der Website von „Jung und Jung“ kann man das Video einer Lesung sehen.
Rezension „Hier im Regen“

Christiane Neudecker
Keine Website. Bei Literaturport gibt es einen Link zu YouTube, ist allerdings der Mitschnitt einer Installation der Gruppe „phase7 performing.arts“, deren Mitglied die Autorin ist. Über phase7 lässt sich mehr herausfinden, da gibt es eine Homepage. Wenig ergiebig für Bachmann.

Jens Petersen
Homepage
Lese- und Audioproben

Bruno Preisendörfer
Keine Website. Literaturport wenig ergiebig. Beim Googeln stößt man aber auf sehr interessante Texte, wie etwa:
„Totschlagen und andere Begabungen“
„Leute, auf die es nicht ankommt“
„Der Killer-Monolog“
Im Gespräch auf Deutschlandradio Kultur
Interview bei Wortreich
Rezension seines Romans „Desaster“ (veröffentlicht unter dem Psyeudonym Bruno Richard)
Der Mann braucht dringend eine Website!

Karl-Gustav Ruch
Keine Website und auch sonst nichts zu finden.

Gregor Sander
Keine Website. Wikipedia nicht ergiebig
Buchvorstellung auf der Seite des Wallstein Verlages
Rezension hr-online

Caterina Satanik
Keine Website.
Interview in einer Schülerzeitung
Radio Stephansdom

Andreas Schäfer
Keine Website, aber da er Journalist ist, lassen sich viele Artikel googeln, z.B.:
„Ich und Ich“
Interview mit Ilija Trojanow
Der große Abwesende (Mit dem Wort „anderthalb“ drin! Meldung an die Frau Vorsitzende des Vereins zur Rettung des anderthalb.)
Das kann man nicht alles auflisten, da lässt sich viel finden und lesen. Der Mann braucht auch dringend eine Website.

Linda Stift
Keine Website.
Porträt bei Literaturhaus.at
Rezension von „Kingpeng“
Rezension „Stierhunger“

Philipp Weiss
Homepage
Nach dem sich verschließenden Videoporträt dachte ich schon, man hätte hier einen Fall von Medienverweigerung, aber ist wohl doch nicht so.
Auf Wikipedia finden sich dann sogar noch mehr Links zu Texten, die aus irgendeinem Grund nicht unter „Text“ auf seiner eigenen Seite stehen: „pastiche“ und „I am from Austria“

Andrea Winkler
Keine Website, auch Wikipedia nicht sehr ergiebig
Rezension „Hanna und ich“
Rezension „Arme Närrchen“

tddl 2009 [kloster chorin].

(Nachdem das Kloster Chorin in dem Videobeitrag von Karsten Krampitz so einen schönen Eindruck machte, haben wir am Sonntag gleich unsere Wissenslücke geschlossen und einen Ausflug dorthin gemacht. Es ist wie Irland direkt um die Ecke, es ist verwunschen und so schön, dass wir sicherlich noch oft hinfahren werden. Der Bachmann-Wettbewerb hat sich jetzt schon gelohnt.)

tddl 2009 [die videoporträts].

Die Videoporträts der Autoren sind online, Frau Sopran hat schon begonnen, dann will ich mich auch mal langsam auf die Tage der deutschsprachigen Literatur vorbereiten.

Ralf Bönt (der Physiker)
Physiker, mag das kalte, zielstrebige und abstrakte Denken. Spricht über die rastlose Künstlernatur, Scheitern ist vorprogrammiert, es geht um den Grad des Scheiterns. Setting: ein Atelier mit unaufdringlichen Zwischenaufnahmen von Strukturen. Leicht ästhetisiert, aber nicht übermäßig, hält die Gratwanderung. Längsgestreiftes Hemd und schwarze Jacke. Dezent. Alles ganz klar und unaufgeregt. Angenehm.

Katharina Born (die Tochter)
Erzählt gleich erstmal davon, dass Peter Handke bei ihrer Familie zu Besuch war: Punktabzug Namedropping. Heimat und Familie ist für sie eins. Sie sagt einerseits, dass sie /zufällig/ in Paris lebt, betont dann aber, dass ihr das die kritische Distanz zu ihrem Schaffen ermöglicht. Also doch nicht so zufällig? Spricht von intensivem Schreiben, bei dem sie sich selbst näher kommt. Setting: ein Park, ihre moderne und doch leicht gediegen wirkende Wohnung. Sie zeigt Fotos von ihrem Vater Nicolas Born, das familiäre Erbe wird voll in die Waagschale geworfen. Lindgrünes Shirt, sehr properes Erscheinungsbild. Kauft am Ende Fisch an einem Pariser Markststand: Punktabzug Klischee.

Karsten Krampitz (der Triebtäter)
Ist als Schreiber Triebtäter. Schreiben ist für ihn eine Form der Richtigstellung, weil die vorgefundene Welt nicht seinen Vorstellungen entspricht. Spricht über die transzendentale Obdachlosigkeit der Menschen, vor dem Hintergrund seiner eigenen DDR-Erfahrung (hat mit der Wende sein Zuhause verloren). Vorteilhaftes, weil unpersönliches nicht privates Setting: eine leere Kirche, ein großes Gelände – das Kloster Chorin (s. Kommentar). Netter Typ. Satz: „Leben ohne Gott geht ja noch irgendwie, aber Sterben ohne Gott ist scheiße.“

Lorenz Langenegger (der Ästhet)
Beginnt mit einer merkwürdigen Einstellung: die Kamera blickt hinter einen Vorhang, auf der Fensterbank liegt etwas – ein Brot? Ein Hahn kräht, Musik „Good morning“, der Autor zieht sich einen braunen Pulli über, kocht Tee und legt eine CD der Eels ein. Schon binnen Sekunden alles etwas zu cool durchgestylt, aber noch so gerade okay. Dann Schreibtisch, Computer natürlich Apple. Setting: Arbeitszimmer mit glänzend poliertem Holzboden, rosa Ohrensessel, fein aufgereihten Bücherregalen, alles sehr ordentlich. Der Ästhet. Auf dem Schreibtisch steht ein kleiner Globus neben dem Monitor. Text: als Gemeinsamkeit zwischen dem Autor und seiner Figur sei eine diffuse Sehnsucht auszumachen. Dabei zoomt die Kamera auf den Globus. Globus, diffuse Sehnsucht, got it? Punktabzug. Der Autor liest aus seinem Buch, ein Mann (Rolf) ist verschwunden. Dabei zoomt die Kamera auf die Seite, das Bild wird unscharf, gleitet über in diffuse Impressionen (Jeansjacke im Gras) und bedeutungsschwanger weiter zu einem Ufer und übers Wasser. Text dazu: „Er hat mit dem unterdrückten Bedürfnis wegzugehen nicht mehr umgehen können.“ Nett scheinender Autor eigentlich, aber die Dramaturgie des Porträts haut ihn in Schieflage.

Christiane Neudecker (die Spaßnudel)
Spaßbeitrag, in dem der Bewerb als Boxkampf nachgestellt ist. Setting: René Hiepen steht vor einem Boxring und moderiert. Leider hatten wir das Szenario gerade erst auf 3sat beim Preiskampf des Theatertreffens, und es ist allgemein nicht besonders originell, weil sehr naheliegend. Hiepen stellt das Buch der Autorin von 2005 vor: „In der Stille ein Klang“, und kommentiert: „Was für ein Titel!“ Gespräch mit dem Trainer der Autorin, Vitaly Ranitzky, haha, gähn. Vielleicht eine einigermaßen witzige Idee, allerdings nicht wirklich originell und wird schnell langweilig, trägt nicht über die drei Minuten der Beitragslänge. Am Ende noch eine merkwürdige Performance, ein Spiel mit den Wörtern Schatten und Licht (geht gar nicht). Von der Autorin kann man sich in dem Porträt kein Bild machen, aber das muss nicht die schlechteste Strategie sein.

Jens Petersen (der Cabriofahrer)
„Wie geht es Ihnen?“ Erster Satz; die erste Szene spielt im Krankenhaus, der Autor ist nämlich auch Arzt, und er wird gezeigt, wie er Patienten untersucht. Er sagt, das Maß an Grenzerfahrungen als Arzt sei größer als in anderen bürgerlichen Berufen. (Es gibt natürlich viele soziale Berufe, in denen das Maß an Grenzerfahrung mindestens genauso groß ist, wenn nicht größer: unklar, was er hier meint, muss etwas mit dem von ihm betonten Wort „bürgerlich“ zu tun haben, wäre interessant zu wissen, was genau er für bürgerliche Berufe hält und was nicht.) Spricht über Emotionalität, Verlustängste, den Umgang mit dem Tod. Als Arzt habe man auf unverblümte Weise mit Menschen zu tun. Natürlich darf die MRT-Aufnahme eines Gehirns nicht fehlen (Punktabzug, auch wenn der Autor gerade seine Facharztausbildung zum Neurologen macht). Dann steigt er in ein Cabrio, sagt dabei, man brauche ein geistiges Refugium. Ich denke schon: wie nett, ein Cabrio als geistiges Refugium zu bezeichnen, will gerade schon einen Pluspunkt vergeben, da wird deutlich, dass er doch einen richtigen Ort meint. Er fährt nach Carona, Hesse hat hier gelebt, Brecht war zu Gast, der Autor schreibt im Haus des Schriftstellerpaares Kurt Kleber und Lisa Tetzner (statt des Pluspunkts also vier Punktabzüge für Namedropping). Viele Einstellungen des Autors in Haus und Garten, tippend. Teils grenzwertig zum Kitsch (sitzt im hohen Gras, sitzt leger auf dem Balkon, die nackten Füße auf das Geländer gelegt). Laptop natürlich Apple, daneben Teekanne (wie Lorenz Langenegger). Spricht von der magischen Atmosphäre des Ortes Carona und des Hauses dort: das bahnt Schreiben und setzt Kreativität frei. Sein persönliches Dilemma: in der Medizin wird Kreativität unterdrückt, ist Konformismus gefragt, bei der Schriftstellerei gibt es keine Struktur, nach der man sich richten kann. Er hätte gerne mehr externe Struktur bei der Schriftstellerei und weniger davon in der Medizin.

Bruno Preisendörfer (der Trüffelmann der Rosinenmann)
Erzählende Autoren sind Story-Kannibalen, Geschichtenfresser. Hm, Kannibalismus heißt, dass man seine eigene Art isst. Der Satz, erzählende Autoren seien Story-Kannibalen, hört sich zunächst interessant an, ist aber Quark. Zeigt sich da schon ein gewisser Manierismus? Dem Autor ist Zeit sehr wichtig, seine Lieblingszeit ist das Futurum II. Satz: „Es wird einmal gewesen sein.“ Eine „faszinierende Konstruktion“ zwischen Melancholie (der im Futur II enthaltenen Endlichkeit aller Dinge) und Entlastung (vom Gefangensein im Moment). Letzteres sei der Sinn von Literatur. Der Autor „versteckt Trüffeln“ in seinen Texten, die „Rosinchen im Subtext sind ein zusätzliches Vergnügungsmoment.“ Sprache ist Material, am Schreiben interessiert den Autor die Flexibilität dieses Materials. Trägt Chucks mit Anzug (diese Kombination wird alt, spätestens nächstes Jahr geht die nicht mehr).

Karl-Gustav Ruch (der Schweizer)
Schweizer und Gitarrenlehrer, der in Barcelona lebt. Pluspunkt für die Wahl einer großartigen Stadt als Lebensmittelpunkt. Gleich zu Beginn im Beitrag zu sehen: seine Frau, eine spanische Fotografin. Der Autor ist ein Pendler zwischen Musik und Sprache. Schreiben ist für den Autor, da im Ausland lebend, Kampf gegen den Sprachverlust. Die Entfremdung ermöglicht ihm eine positiv gedeutete Distanz (Wiederholung von Katharina Born/ wie überhaupt eine verbreitete romantische Ausdeutung von schreibenden Menschen, die nicht in ihrem Heimatland leben; sehr verführerische Vorstellung, der man kaum entkommen kann). Sprache ist Material (Wiederholung von Bruno Preisendörfer/ schon beim siebten Porträt wird die Liminalität des Genres augenfällig). Allerdings: der Autor spricht auch vom Text als Sound (bringt er die Gitarre mit, haben wir hier einen neuen Bodo Hell?) Setting: in der Wohnung, spielt Gitarre neben einem Fitness-Rad, angenehm normales Ambiente, nicht so stilisiert. Ebenso die Erscheinung: beiger Anzug, ungebügelt, leger. Der morgendliche Weg zur Schule wird beschrieben als „Gelegenheit zum literarischen Beutefang.“ Satz: „Es kann auch ein Geräusch sein, das in der Mauer ist, und ich stelle mir dann vor, dahinter verstecken sich Geschichten.“ Am Ende eine lange Kameraeinstellung einer wegfahrenden U-Bahn. Punktabzug bedeutungsschwangerer Zug.

Gregor Sander (der Handfeste)
Fährt mit dem Fahrrad zum Büro, an der Bernauer Straße. Setting: sein Büro befindet sich in einem aus einer Kneipe umgebauten Atelier. Laptop natürlich Apple. Könnte alles leicht in die zu stilistische Ecke kippen, tut es aber nicht. Der Autor trägt Adidas-Turnschuhe und einen nicht unter übermäßigem Coolnessverdacht stehenden, also einen angenehm unspektakulären Strickpulli mit nicht drapiert scheinenden, sondern zufälligen Holzspänen am Arm (vom vorherigen Herumstehen neben einem der bildenden Künstler in der Arbeitsgemeinschaft). Die machen den Eindruck einer sehr sympathischen Gruppe. Viel Öffnen und Schließen alter Doppelfenster zu Beginn und zum Ende des Beitrags: einziger Stilabzugspunkt (sonst keine artistischen Spirenzchen).

Caterina Satanik (die Unglückliche)
Der Beitrag beginnt mit einer langen, unscharfen Einstellung auf Wasser, in dem sich die Autorin spiegelt, dann Zoom auf das Spiegelbild im Wasser. Die Autorin hat als Kind Wolken im Spiegelbild des Wassers vorbeiziehen sehen. Sie spricht von Laken, ich glaube, sie meint Lachen im Sinne von Wasserlachen (Österreicherin). Zu Unschärfe und Zoomerei noch elegische Saxophonmusik, man merkt schon früh, dass dieser Beitrag visuell und auditiv den Holzhammer rausholt. Das Religiöse fasziniert die Autorin, sie mag Rituale, mit denen wir uns in die Dimension der Spiritualität hineinbegeben. Zu sehen ist dabei ein großer Spiegel mit Goldrahmen, der in einer Blumenwiese aufgestellt ist, und in dem sich die Autorin (natürlich) wieder spiegelt. Dann töpfert sie, töpfern sei wie bloßfüßig gehen oder mit den Fingern essen – berührt das Leben. Sprache soll nah sein wie der Mund eines Sängers am Mikrofon, dessen Atem man hört. Die Autorin mag Vergleiche. Laptop: Apple, sie tippt im Schneidersitz. Dann ein anderer, weiß gerahmter Spiegel, gegen eine Wand gelehnt, auf einem weißen Laken (dieses Mal wirklich Laken, wie in Bettlaken), und jetzt muss man ganz stark sein: betippte Blätter rieseln am Spiegel herunter. Rieselnde Blätter, die Punktabzüge kann man kaum zählen. Dann kommt wieder eine andere Spiegeleinstellung: Menschen gehen einen Gang entlang (U-Bahn?), spiegeln sich an der Seite des Ganges, das Ganze wird dann noch gedoppelt dargestellt. Am Ende, nun ahnte man es schon, der noch fehlende, mittlerweile unvermeidliche /zerbrochene/ Spiegel auf einer Wiese. In diesem Beitrag wurde so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen kann, kein Fettnäpfchen ausgelassen. Die arme Autorin, sie wird mit viel Kritik rechnen müssen.

Andreas Schäfer (der nette Typ von nebenan)
„In Räume versinken, sie abschreiten, und beobachten, wie eine Geschichte langsam näher kommt“, das ist Schreiben für den Autor. Setting: abwechselnd im Theater und im Café (ausgetrunkener Latte Macchiato auf dem Tisch). Dann Wechsel in seine Wohnung, beginnt mit einer Spiegelung des Autors in einem Spiegel an der Wand, er blickt versonnen aus dem Fenster: Punktabzug. Sonst aber keine Spirenzchen. Die meiste Zeit erzählt der Autor viel, aber leicht, wirkt sympathisch.

Linda Stift (ein homo ludens)
Beginnt in einem englischen Hecken-Irrgarten. Herrje, schon wieder aufdringliche Symbolik. Dass die Frauen das so oft mit sich machen lassen, seufz. „Umwege erhöhen die Ortskenntnis.“ Läuft im Irrgarten herum und trägt dabei eine große, dunkelrote Tasche, die /nicht/ lebendig ist. Setting dann: die Wohnung, sehr ordentlich. Hat einen tollen Balkon. Räume sind der Autorin sehr wichtig. Sie träumt immer wieder, dass sich in ihrer Wohnung eine Tür öffnet und riesige Wohnungen dahinter liegen. „Das Labyrinth der Großstadt.“ Aufnahmen in einem Glaslabyrinth, die Autorin sucht einen Weg. Die Hände hat sie gegen die Scheibe gepresst, wird gefragt: „Linda Stift, ein homo ludens?“ Sie: „Ja, das bin ich und das macht mir irrsinnig Spaß.“

Von Philipp Weiss (das Gesicht)
Gitarren-Schrummel-Elektro-Mix-Musik inklusive Rauschen, dazu ein schwarz-weiß Bild: der Autor blickt in die Kamera, blickt, lacht, schneidet Grimassen. Die ganzen drei Minuten lang der schwarz-weiße Blick auf das Gesicht des Autors, unterlegt mit der Musik des Sound Designers Wolfram Leitner, wie man am Ende erfährt. Keine schlechte Art, sich aus der unangenehmen Affäre der Videoporträts zu ziehen.

Andrea Winkler (die Kryptische)
Sitzt nachdenklich in leeren Reihen im Theater. Das Papier ist so etwas wie ihre Bühne. Sie spürt dem dichten Geschehen nach. Dann in einem Café, eine normale Tasse vor sich, kein Macchiato-Glas: Pluspunkt. Dann Bibliothek. Sie mag kein lineares Erzählen,  bevorzugt Literatur, die vieles offen lässt – dann wird das Lesen nämlich zu einer Art Schreiben. Am Anfang und Ende werden Textauszüge vorgelesen, die eher anstrengend scheinen.

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