israel & palästina [fünfter und letzter teil: jerusalem].

Vier Tage waren wir in Jerusalem und sind von morgens bis abends gelaufen, gelaufen, gelaufen. Haben so vieles gesehen, aber in vier Tagen natürlich dennoch nicht alles. Wir wohnten in einer Airbnb-Wohnung in der Nähe des schönen Mahane-Yehuda-Marktes. Da die Wohnungsbesitzerin den Mietern nicht zutraut, eine koschere Küche zu bewältigen, hat sie die Wohnung zu einer vegetarischen Unterkunft erklärt. Wenn kein Fleisch erlaubt ist, muss man sich um die Trennung zu Milchprodukten keine Sorgen machen. Das Ganze kam mir etwas übertrieben vor. Wenn man eine Wohnung vermietet, die ansonsten auch von niemandem dauerhaft zum Leben benutzt wird, eine ganz klassische Ferienwohnung also, dann könnte man es den Gästen doch auch selbst überlassen, was und wie sie darin kochen.

Nicht in Jerusalem. Nein, in dieser Stadt wird alles zum Kampfgebiet, das merkten wir schnell. Eine Stadt, die komplett aufgeladen ist, religiös hochgerüstet, und zwar von allen Beteiligten, christlich, jüdisch oder muslimisch, zudem manchmal noch geteilt zwischen Mann und Frau. Nervös, argwöhnisch, die eigene Religion offensiv zur Schau stellend, als Selbstbehauptung, aber auch als Demonstration und Protest gegen die anderen, und mitten in dieser absurden Stimmung wird man auch noch permanent bedrängt (Taxifahrer, Verkäufer).

Altstadt Jerusalem

Klagemauer

 

Orthodoxes Viertel Jerusalem

Via Dolorosa

Grabeskirche

Nirgendwo vermisst man Tel Aviv so sehr wie in Jerusalem. Meine Kollegin hatte uns vorgewarnt: „Tel Aviv plays, Jerusalem prays.“ Aber so heftig hatten wir es uns nicht vorgestellt. Als Abschluss unserer Reise kulminierte hier noch einmal alles: die ganzen Probleme, die Widersprüche, das Gefühl der tiefen Beklommenheit aufgrund der ausweglosen Lage. Nach zwei Wochen im Land hatte sich diese Ausweglosigkeit eher deutlicher gezeigt, als irgendwie abgemildert. Und nun Jerusalem, eine Zumutung für die Sinne und den Verstand (was ja nicht automatisch etwas Schlechtes sein muss).

Grabeskirche

Grabeskirche. Scott und ich standen lange im Eingang, in der Nähe des Salbungssteins. Immer neue Menschen knieten am Stein nieder und beteten. Je länger man dort stand, umso bedrückender wurde es. Man kann sich das nicht vorstellen: ein unablässiger Strom von Menschen aus aller Welt. Wirklich von überall her kommen sie zu diesem Stein, beten und weinen und reiben Devotionalien darauf. Glück sieht man dort keines, nur Kummer.

Salbungsstein in der Grabeskirche

Salbungsstein in der Grabeskirche

Salbungsstein in der Grabeskirche

Ich dachte mir: „So ist das, die Menschen aus der ganzen Welt tragen ihre Sorgen zu diesem Stein. Hier ist der Ort, an dem es nichts gibt als Schmerz.“ Und mit hier ist dann nicht mehr der Stein gemeint, sondern die Welt an sich. Es kommt einem dort wirklich so vor. Uns konnte es recht sein, denn für uns gibt es auch nichts mehr, was nicht von unserer Trauer dominiert würde. Aber das Persönliche, Individuelle spielt dort eigentlich keine Rolle, das ist eine universale Dimension, an der man da teilnimmt, alleine schon durch die Beobachtung.

Abends im Internet eine Dokumentation über Jerusalem gefunden und darin den besten Satz gehört: „Silence is the mutual language of all religions.“

israel & palästina [vierter teil: qumran und beit jala].

Von En Bokek fuhren wir in Richtung Norden am Toten Meer entlang über die Grüne Linie hinweg bis hoch nach Qumran. Mir war immer noch nicht so richtig klar, wohin man mit einem israelischen Mietwagen fahren durfte und wohin nicht, aber mein Cousin hatte uns erklärt, dass die Strecke über Qumran nach Jerusalem ausschließlich durch von Israel kontrollierte Gebiete führe und somit für den Mietwagen okay sei. So besichtigten wir die Ausgrabungsstätte mit den Felshöhlen, in denen einst die Qumran-Schriftrollen gefunden worden waren.

Qumran

Qumran

Von dort ging es weiter nach Jerusalem, wo wir den Mietwagen zurückgaben. Bevor es nun aber um Jerusalem geht: Palästina.

Eine ehemalige Babysitterin von John arbeitet seit sechs Jahren an der deutschen Schule in Beit Jala (auch geschrieben: Bayt Jala oder Bait Dschala, ich sage nur: Wolvs’burq-Syndrom). Jedenfalls hatte sie uns eingeladen zu kommen. Wir sollten in Jerusalem zum Damaskustor laufen und dort in den arabischen Bus nach Bethlehem steigen. Es gebe keine richtigen Bushaltestellen, wir sollten dem Fahrer einfach den Namen der Schule nennen, Talitha Kumi, denn der Bus fahre direkt daran vorbei und der Fahrer würde uns dann vor der Schule absetzen.

Am Damaskustor fanden wir problemlos den Bus nach Bethlehem. Der Fahrer sprach zwar kein Englisch, verstand aber den Namen der Schule. Der Bus verließ Jerusalem und zum ersten Mal durchfuhren wir einen richtigen Checkpoint. Auf der anderen Seite befanden wir uns allerdings immer noch in einem von Israel kontrollierten Gebiet, der sogenannten C-Zone. Hier sollte sich auch die Schule befinden. Wir fuhren weiter und plötzlich informierte uns ein großes, rotes Schild am Straßenrand darüber, dass wir nun das von der palästinensischen Autonomiebehörde kontrollierte Gebiet erreicht hatten. Israelischen Staatsbürgern sei der Zutritt verboten. Der Bus fuhr einfach daran vorbei und hinein in die sogenannte A-Zone. Die Schule sollte aber doch in der C-Zone sein? Wir mussten zu weit gefahren sein. Innerhalb der A-Zone hielt der Busfahrer endlich an und winkte uns zu, dass wir aussteigen sollten. Er deutete auf die Straße und zurück, und wir verstanden, dass wir wohl zurücklaufen sollten. Was war passiert? Hatte er uns vergessen?

Uns blieb nichts übrig als auszusteigen und in die Richtung zurückzugehen, aus der der Bus gekommen war. Dass wir nun ahnungslos und ohne jede Karte alleine durch die A-Zone liefen, hatten wir so natürlich nicht geplant. Wir hatten kein Gefühl dafür, wie sicher oder unsicher das sein mochte. Wir gingen einfach los, zurück in die C-Zone und kamen irgendwann an eine Kreuzung, die wir aus der Busperspektive wiedererkannten. Hier waren wir von links gekommen. Wir bogen ab und folgten weiter dem Busweg, aber es war noch immer keine Schule in Sicht.

Konnte es wirklich so weit zu gehen sein? Wir waren gerade an einem vage offiziell aussehenden Gebäude vorbei gekommen. Wie hinderlich immer wieder, dass wir die Schrift nicht lesen konnten. Vor dem Gebäude hatten aber ein paar Frauen in Berufskleidung gestanden und geraucht. Sie sahen nach Sprechstundenhilfen oder Krankenschwestern aus. Vielleicht war das eine Praxis oder Klinik? Wir gingen lieber dorthin zurück, um nach dem Weg zur Schule zu fragen. Das Gebäude stellte sich als Zahnklinik heraus, eine Frau sprach zum Glück Englisch und sie erklärte uns, dass die Schule gar nicht weit entfernt lag, tatsächlich direkt an dieser Straße.

So standen wir schließlich vor dem großen Tor der Schule und wurden hineingelassen, als wir den Namen von Johns ehemaliger Babysitterin nannten. Hinter dem Tor erstreckte sich ein großer, weitläufiger Campus. Wir erfuhren, dass dies mit über 1.000 Schülern die größte Schule Palästinas ist. Und dass den arabischen Bussen von der israelischen Behörde gerade verboten worden war, an der Schule zu halten. Deshalb also waren wir in die A-Zone gefahren. Das hatte Johns ehemalige Babysitterin noch gar nicht gewusst, weil sie mit dem Auto zur Schule kam.

Die Schule beeindruckte uns sehr, wobei der Trubel vielleicht auch nicht repräsentativ war. Wir kamen zufällig gerade am Tag des Bodens, der in Palästina groß gefeiert wird.

An der Schule wird bei unserem Besuch der "Tag des Bodens" gefeiert

Bleib ruhig und sprich Deutsch

Später fuhren wir gemeinsam mit dem Auto in die Berge von Beit Jala. Johns ehemalige Babysitterin wollte uns den Biobauernhof Hosh Jasmin zeigen, den ein palästinensischer Künstler und Filmemacher dort nach einem Vorbild aus Portland betreibt. Wir tranken palästinensischen Wein und aßen Hummus, Taboulé und Oliven. Das Olivenöl aus eigener Produktion schmeckte unglaublich gut. Zwischendurch kam auch mal ein Schaf vorbei. Der Ausblick auf die Berge war toll, aber auch wieder sofort mit einer Ernüchterung verknüpft, denn neben den Olivenhainen blickte man in der Ferne auch auf die riesige Mauer an der Grenze zu Israel.

Hosh Jasmin

Hosh Jasmin

Leckeres Essen und leckerer palästinensischer Wein

Grenzmauer

Schaf kommt uns besuchen

Ich weiß gar nicht, wie lange wir im Hosh Jasmin geblieben sind, es war so gemütlich und schön dort, wir bestellten immer mal was Neues und sprachen ausführlich über John. Gemeinsame Erinnerungen aus den frühen Jahren, als John drei, vier Jahre alt war – und das an diesem angenehm alternativen, fast ein bisschen magischen Ort.

Gegen Abend brachte uns Johns ehemalige Babysitterin zurück an den Übergang zwischen C-Zone und A-Zone. Unterwegs zeigte sie uns die unterschiedlichen Autokennzeichen: die israelischen sind gelb und die palästinensischen grün-weiß. Das war mir vorher überhaupt noch nicht aufgefallen. So viele Details.

Den Bus zurück nach Jerusalem mussten wir – wie wir nun ja wussten – in der A-Zone finden. Wir liefen also wieder an dem großen, roten Schild vorbei und trafen auf der anderen Seite einen freundlichen Mann, der uns den Weg zu einem Ort wies, an dem der Bus üblicherweise anhalte (wie gesagt: keine Bushaltestellen, keine Schilder, kein nichts). Wir warteten etwa 20 Minuten und dann kam ein Bus, der tatsächlich anhielt. Es saßen viele Schulkinder darin und ein paar Erwachsene, nur wenige Touristen. Am Checkpoint stiegen die Kinder aus. Ein Mädchen, das vor uns gesessen hatte, ließ ihr Mathebuch auf dem Sitz liegen. Ich nahm es und ging ihr hinterher: „You forgot your book!“ Ein Mann drehte sich um, lächelte und erklärte: „You can just leave it. They will all get back on.“

Ah! Wir Touristen durften sitzen bleiben und unsere Pässe wurden im Bus kontrolliert, aber die Schulkinder mussten durch den Checkpoint laufen. Der Bus fuhr 50 m vor und auf der anderen Seite stiegen alle wieder ein. Mann, Mann, Mann. Auch nach zwei Wochen im Land fühlte ich mich immer noch ständig wie „fresh off the boat.“ Aber was für ein schöner Tag in Beit Jala.

israel & palästina [dritter teil: aschdod, negev-wüste und totes meer].

Irgendwo habe ich gelesen, dass Israel nur so groß ist wie Hessen. Vom Norden ging es daher auch ganz gut, an einem Tag quer durchs Land in den Süden zu fahren. Unterwegs hatten wir uns mit meinem Cousin und seiner Familie in Aschdod verabredet. Mein Cousin ist ursprünglich Franzose, wie auch seine Frau. Vor zwölf Jahren haben sie die Alija gemacht. Sie haben sechs Monate in einem Immigrationszentrum gelebt und Hebräisch gelernt. Heute haben beide eine Arbeit, die doppelte Staatsbürgerschaft und fühlen sich längst in Israel Zuhause. Außerdem haben sie einen achteinhalbjährigen Sohn.

Wir reisten an einem Samstag. Also schrieb mein Cousin, wolle uns seine Frau gerne zum Sabbatessen einladen. Dieses Essen stellte sich zu unserer Überraschung als ein opulentes Fünf-Gänge-Menü heraus, welches sie schon am Vortag zubereitet hatte. Es wurde auf einer traditionellen Warmhalteplatte warm gehalten.

Sabbatessen bei meinem Cousin in Ashdod

Beklemmend fand ich, als mir der Sohn den Bunker in der Wohnung zeigte. Anscheinend ist das nichts Ungewöhnliches, alle Wohnungen haben dort einen Bunker. Aschdod liegt nicht weit vom Gazastreifen entfernt und wenn von dort Tel Aviv angegriffen wird, kommen die Raketen in der Umgebung von Aschdod herunter. Als der Konflikt 2014 erneut ausgebrochen war, wurde einmal zum Beispiel auch das Nachbargebäude getroffen und die Fensterscheiben in der Wohnung meines Cousins zerbarsten.

Wie Kinder so aufwachsen, das kann ich mir gar nicht vorstellen. Aber von einem Achtjährigen einen Bunker gezeigt und die verschiedenen Funktionen  erklärt zu bekommen (Atemanlage bei Giftgasangriffen), ist natürlich ein ganz schöner reality check. Ich sprach mit meinem Cousin darüber, wie schwer es mir falle, das zusammen zu bringen: dass man unter ständiger Bedrohung so normal leben kann. Er meinte nur: „In Europa ist es doch auch schon ein bisschen so. Und es wird immer mehr so sein wie hier, da werdet ihr euch dann auch dran gewöhnen.“

Eigentlich hatten wir auf dem Weg nur für ein bis zwei Stunden Halt machen wollen, blieben dann aber bis zum Abend. Ich habe mich sehr gefreut, meinen Cousin wiederzusehen und seine Frau und seinen Sohn kennen zu lernen. Um dann noch einigermaßen vor dem Dunkeln in unserer nächsten Airbnb-Wohnung in Mitzpe Ramon anzukommen, fuhren wir auf die schnelle Route 6, eine Mautstraße.

Interessanterweise konnten wir nirgendwo Kameras entdecken. Bei der Autovermietung hatte man uns gesagt, dass die Kennzeichen registriert werden, wenn man auf- und wieder abfährt. Die Benutzung werde dann zwei bis drei Monate nach Rückgabe des Autos in Rechnung gestellt, wenn der Vermieter die Abrechnung der Mautstelle erhalten habe. Zwischendurch mussten wir einmal zum Tanken abfahren und konnten wieder nicht erkennen, wo diese Registrierung ablaufen sollte. In Frankreich zum Beispiel kann man eine Mautstelle ja nun wirklich nicht verpassen. Ein bisschen spukig. Vielleicht etwas angesteckt von der latenten Paranoia, die man im Land immer mal wieder spürte, dachten wir nun auch schon darüber nach, was hier wohl alles wie und wo registriert wurde. Das Tanken konnte man zum Beispiel fast überall nicht in bar bezahlen, nur mit Kreditkarte. Außerdem musste man an der Zapfsäule das Autokennzeichen eingeben, bevor man überhaupt Sprit bekommen konnte. Mit solchen Daten ließen sich Bewegungen im Land sicher auch ganz gut überblicken.

Auf der Fahrt erlebten wir dann bei ganz klarem Himmel unseren ersten Sonnenuntergang in der Negev-Wüste. Fantastisch. Wir bezogen wieder problemlos unsere Wohnung, alles per Whatsapp unterwegs geregelt, zwischendurch sollte man auch immer mal wieder innehalten und sich wundern und dankbar sein, wie leicht so etwas heute alles geht.

Die beiden folgenden Tage in der Negev-Wüste gehörten zu den absoluten Highlights unserer Reise. Am ersten Tag wanderten wir am Ramon-Krater, es war heiß, der Himmel war blau und die Farben der Wüste ungemein beeindruckend. Nachts wurde es erstaunlich kalt und wir schalteten sogar die Heizung ein, was ich tagsüber niemals für möglich gehalten hätte. Am zweiten Tag besichtigten wir die Festung Avdat, eine ehemals wichtige Station der Handelskarawanen auf der Gewürzstraße (Weihrauchstraße).

Beware of camels

Mitzpe Ramon

Aufgang zu "The Carpentry"

Negev

Negev

Avdat

Avdat

Steinbock

Negev

"Colored sands"

Auf dem Weg zum Toten Meer stoppten wir noch in Sede Boker. Dort kann man das ehemalige Haus von Ben Gurion besichtigen. Sein Grab befindet sich in einer atemberaubenden Szenerie.

Sede Boker (Grab von Ben Gurion)

Ben Gurion's Desert Home

Am Toten Meer angekommen, hatten wir anderthalb Tage Zeit zum Entspannen. Das war zu diesem Zeitpunkt genau das Richtige, um endlich mal alle Eindrücke ein bisschen sacken lassen zu können. Und es ist schon toll, wie man da einfach auf dem Wasser liegen und sich treiben lassen kann.

Totes Meer

Totes Meer

israel & palästina [zweiter teil: der norden].

Wir hatten schon von Deutschland aus für eine Woche ein Auto gemietet, um den Norden und Süden des Landes zu erkunden. Von Tel Aviv aus fuhren wir zunächst mit einem Zwischenstopp in Caesarea Richtung Norden nach Oshrat. Dort hatten wir über Airbnb für vier Tage eine Wohnung gemietet, die sich als genauso schön erwies, wie es die Bilder und Bewertungen früherer Gäste beschrieben. Wir hatten eine komplette Küche, so dass wir uns selbst versorgen konnten. Das WLAN war schneller als in unserer Wohnung in Berlin (das war im Übrigen fast überall in Israel so), und als unerwarteten Bonus gab es Satellitenfernsehen mit vielen englischsprachigen Kanälen, darunter ein Sender, der ganz neue Filme zeigte. Nicht, dass wir zum Fernsehen nach Israel gekommen waren, aber am Ende eines langen Erkundungstages war es trotzdem schön, gemeinsam zu kochen und einen Film anzusehen.

Die Wohnung lag in einem großen Haus, das von der Vermieterfamilie bewohnt wurde. Für uns etwas gewöhnungsbedürftig, stand das Haus in einer Siedlung, die durch eine große gelbe Schranke abgesichert war. Es stellte sich allerdings heraus, dass die Schranke tagsüber immer offen stand und auch nicht bewacht wurde. Keine richtige gated community also, nur nachts wurde das Tor geschlossen. Wenn man spät zurückkam oder früh wegfahren wollte, musste man eine Nummer anrufen und dann wurde einem die Schranke geöffnet.

Am ersten Tag fuhren wir zu den Grotten Rosh haNikra, direkt an der Grenze zum Libanon. Die Aussicht von den Felsen über das Mittelmeer war fantastisch. Wie fuhren mit der Seilbahn hinunter und sahen uns den Film über die Geschichte des Tunnels an, der hier einst eine Verbindung zwischen Europa und Ägypten schuf. Er wurde während des Unabhängigkeitskrieges 1948 von einer paramilitärischen israelischen Gruppe gesprengt. Heute endet der Tunnel vor einer Mauer, auf deren anderer Seite der Libanon ist. Das sollte uns noch oft begegnen: dass man einerseits etwas sehr Schönes sieht und gleich darauf wieder im Konflikt landet.

Rosh haNikra

Rosh haNikra

Rosh haNikra

Von Rosh haNikra aus fuhren wir weiter nach Akko, wo uns wieder der Markt sehr gut gefiel. Wir fanden auch einen günstigen Rami Levy Supermarkt. Die Lebensmittelkosten sind in Israel merklich höher als bei uns. Es gibt aber ein paar Supermärkte, in denen man einigermaßen günstig einkaufen kann. Später stellten wir dann fest, dass es ganz in der Nähe unserer Ferienwohnung in Yarkah Hazafon einen Wonderful Market gab, der uns noch besser gefiel als Rami Levy. (Ich finde Einkaufen im Ausland ja immer spannend, und erst recht, wenn ich das erste Mal in einem Land bin.)

Markt

In unmittelbarer Nähe zu unserer Ferienwohnung lag die arabische Stadt Kafr Yasif. Fünfmal am Tag, wenigstens dann, wenn wir Zuhause waren, hörten wir über Lautsprecher den Gebetsruf des Muezzin von einer Moschee in der Nähe. Wir fuhren im Norden durch viele arabische Orte. Ich habe leider bis zum Schluss nicht wirklich verstanden, wie sich das im Land tatsächlich verteilt. Bei so einem ersten Besuch nimmt man ja vieles einfach erstmal in sich auf, ohne es immer einordnen zu können. Für uns hatte der wiederkehrende Gebetsruf vor allem etwas Exotisches, wie auch die Natur, zum Beispiel mit den riesigen Kakteen.

In der Nähe von Oshrat

In der Nähe von Nazareth

Wir fuhren zu den Golanhöhen, wo sich Landschaft und Konflikt auch wieder auf verstörende Weise mischen. Einerseits die schönen Banias-Wasserfälle und andererseits das verminte Gelände und die unmittelbare Nähe zur syrischen Grenze. Nachdem wir uns die Festung Nimrod angesehen hatten, fanden wir im Nordosten die Straße in Richtung Landesinneres nicht sofort. Wir sahen in der Ferne die Grenzanlagen und uns kamen UN-Fahrzeuge entgegen. Das war wirklich bedrückend und wir waren froh, als wir den Weg Richtung See Genezareth fanden.

Banias-Wasserfall (Golan)

Wir erreichten den Nationalpark Bethsaida, Geburtsort des Apostels Petrus. Hier waren wir im biblischen Galiläa, mit all den bekannten Namen, mit denen ich aufgewachsen bin. Wir sahen uns Kafarnaum an, die Brotvermehrungskirche und die Kirche der Seligpreisungen, den Ort der Bergpredigt. Für uns als Kinder waren das alles damals gleichzeitig nahe und fremde Begriffe. Wir wussten: Das ist weit weg. Aber weil man es oft hörte, schien es einem auch irgendwie nah. Und andererseits eine Stadt wie Bremen, die eigentlich nah war, aber doch als weit weg wahrgenommen wurde. Man hat als Kind von tatsächlichen Entfernungen ja keine Vorstellung, Entfernung ist eher eine mystische Größe. Orte, die man kennt, ohne sie zu kennen. Das ist mir früher auch mit New York so gegangen. In so vielen Filmen gesehen und in so vielen Geschichten erfahren, dass es beim ersten Besuch merkwürdig war, das alles wirklich zu sehen. Aufgeladene Orte. Man muss sie in der eigenen Erfahrung erst einmal neu erkennen. In Nazareth war ich erstaunt, dass es sich heute um eine komplett arabische Stadt handelt. Am See Genezareth war es sehr grün und Kafarnaum sah aus wie ein Paradies.

Am See Genezareth

Am See Genezareth

Brotvermehrungskirche (Tabgha)

Kirche der Seligpreisungen

An der Kirche der Seligpreisungen sang gerade ein Chor in blauen Gewändern, im Hintergrund der See Genezareth im Dunst. Das fühlte sich schon wieder unwirklich an, eher wie ein verwunschenes Kindheitsbild und nicht wie Realität im Jahr 2017.

An der Kirche der Seligpreisungen

Wir verließen den Norden nicht gerne. Tel Aviv war leicht gewesen, gerade weil es Berlin ähnelte. Der Norden warf uns erstmals tatsächlich in eine ganz andere Welt, voller Widersprüche, gleichzeitig schön und bedrückend, unverständlich auch zu Teilen, denn je weiter man aufs Land kam, umso schwieriger wurde die Kommunikation. Das ein oder andere Mal sahen wir nur noch Schilder auf Hebräisch und Arabisch, deren Alphabete wir beide nicht lesen können, und wir fanden niemanden, der Englisch sprach. Einmal verfuhren wir uns deshalb in den Bergen und standen plötzlich vor einer abgeriegelten Sackgasse, die endlich ein Schild auf Englisch bot: „No entry! Border to Lebanon ahead in 100 m.“

Verwirrend fanden wir anfangs auch, dass es in der englischen Version der Schilder (normalerweise haben alle Schilder drei Sprachen: Hebräisch, Arabisch und Englisch) unterschiedliche Schreibweisen des gleichen Ortes gibt. Auf einem Schild stand etwa: „Caper Naum.“ Ich fragte mich, ob das Kafarnaum sein könnte. Zwei Kilometer weiter stand auf dem Schild „Capernaum.“

Ein Ort konnte auf Englisch bis zu vier verschiedene Schreibweisen haben. Besonders austauschbar waren gleich lautende Buchstaben wie K, C und Q sowie I, J und Y. Zum Unterschied „zusammen oder getrennt“ kamen Binnenmajuskeln (haNikra, HaHagana), die wiederum aber manchmal auch durch Apostrophe ersetzt wurden. Ich dachte mir: „Egal welche Schreibweise, aber bitte einigt euch für die englische Version doch auf eine.“ Wir schreiben Wolfsburg schließlich auch nicht einfach manchmal Wolfs Burg, oder WolvsPurk oder Wolvs’burq (vielleicht in Privatorthographie, aber nicht auf Schildern). Ich wollte mich gerne leichter zurechtfinden können, aber dieses Denken kam mir dann doch auch ganz schön deutsch vor. Hier musste man sich eben etwas locker machen und nach der Lautsprache gehen. Die Wörter waren von der Lautsprache ins Englische übertragen worden und am einfachsten war es, sich selbst vorzusprechen, was auf dem Schild stand. Dann bemerkte man die Ähnlichkeiten viel schneller, als wenn man sich auf das Schriftbild solcher zudem grundsätzlich ungewohnten Namen konzentrierte.

israel & palästina [erster teil: tel aviv und rehovot].

Wir waren unterwegs und einiges ist untergegangen. Was mich im März zum Beispiel gefreut hat, war Ekkehard Knörers nostalgischer Text im Merkur über die Weblogs: Feuerzeug, du (Link führt zum Gratis-Download). So schön.

Ein Jahr nach Johns Beerdigung haben Scott und ich uns das erste Mal auf eine Reise gewagt. Etwas hin- und hergerissen zwischen der Idee, dass eine Abwechslung uns gut täte und der Befürchtung, es könnte uns vielleicht auch zu viel werden. Die Angst war unbegründet. John spielte immer wieder eine Rolle und deshalb war er uns auch auf der Reise weiter sehr nah. Ein beruhigendes Gefühl, dass er auf eine Art immer mitkommt – dass das gehen kann.

Easyjet fliegt von Berlin aus günstig und direkt nach Tel Aviv, in nur viereinhalb Stunden und mit nur einer Stunde Zeitumstellung. Ich hatte vor unserer Reise – es war für uns beide das erste Mal in Israel – immer das Gefühl gehabt, es sei weiter weg. Dabei steht man, wenn man morgens um halb acht mit Rückenwind losfliegt, schon um kurz nach eins mittags draußen vor der Ankunftshalle des Flughafens Ben Gurion außerhalb von Tel Aviv.

Wir fuhren mit dem Zug vom Flughafen in die Innenstadt und wechselten am zentralen Busbahnhof HaHagana in einen Bus, der uns direkt vor dem Studioapartment absetzte, das wir in Tel Aviv gemietet hatten. Keine Ahnung, warum ich vorher im Internet ständig las, man solle am besten ein Taxi vom Flughafen nehmen, das sei viel bequemer. Gut, über Berlin könnte man das wahrscheinlich auch sagen, und in Berlin nehme ich auch ein Taxi, wenn ich beruflich fliegen muss. Aber im Urlaub ist das doch etwas anderes. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln bekommt man gleich viel mehr von Land und Leuten mit. Wir fanden es jedenfalls sehr leicht, mit dem Zug und dem Bus zu fahren.

Vor unserer Reise haben mich viele gefragt, ob man denn in Israel einfach so herumfahren kann, ob das denn sicher sei usw. Ich hatte zwar gelesen, dass das alles kein Problem ist, aber davon mussten wir uns erst einmal selbst überzeugen. Auch dafür war die Zug-Bus-Kombination perfekt, denn wir merkten gleich, dass in Tel Aviv eigentlich alles genauso funktioniert wie bei uns. Überhaupt dachte ich die ersten Tage ständig: „Eigentlich ja alles wie in Berlin!“ Abends lief auf dem Platz vor unserer Wohnung eine Drag Queen an uns vorbei, Rentner suchten in Papierkörben nach Flaschen, man hörte viele verschiedene Sprachen und überall gab es Falafel. Wenn man wie wir in Berlin in unmittelbarer Nähe zur Sonnenallee wohnt, scheint der Unterschied zwischen Berlin und Tel Aviv durchaus geringer als der, sagen wir, zwischen Berlin und Gifhorn oder Bruchsal.

Unser Eindruck: Tel Aviv ist wie Berlin, nur warm und am Meer. Klingt ganz gut, oder? Wir fanden es jedenfalls super, besonders den Strand und den Carmel Market.

Am Strand von Tel Aviv

Am Strand von Tel Aviv

Carmel Market in Tel Aviv

Gewürze auf dem Markt

Ein bisschen anders ist, dass in Tel Aviv alles irgendwie halb fertig oder schon wieder halb kaputt ist, wie man es auch aus anderen Mittelmeerländern kennt. Wie sagte eine Frau, die dort schon lange wohnt: „Der Stil ist: gute Idee gehabt, gemacht und irgendwann dann doch lieber einen Kaffee trinken gegangen.“ In unserem Apartmentgebäude hatte man den Flur gestrichen, offensichtlich ohne sich die Mühe zu machen, die Türen vorher abzukleben. Daher gab es viele Farbkleckser, zu deren Entfernung sich dann wohl keiner hatte aufraffen können. Unser Studio war offensichtlich kürzlich renoviert, hatte eine sehr moderne Dusche, aber bei den Fußleisten hatte jemand dann auch die Lust verloren. Wenn wir so durch die Stadt liefen, fiel uns sowas überall auf.

Von Tel Aviv aus fuhren wir an einem Tag mit dem Zug nach Rehovot, wo eine Reiseleiterkollegin von mir wohnt. Wir haben einmal bei einer legendär schwierigen Flusskreuzfahrtgruppe zusammengearbeitet. Da haben wir so viel gemeinsam erlebt und durchgestanden, dass wir auch danach immer in Kontakt blieben sind. In Rehovot zeigten ihr Mann und sie uns eine Orangenplantage, den Weizmann-Campus und dann luden sie uns zu sich nach Hause zum Essen ein. Dort wartete eine Überraschung: Wir bekamen ein Zertifikat für einen Baum, den meine Kollegin und ihr Mann in Johns Namen in einem Erinnerungswald in Galiläa hatten pflanzen lassen. Wie schön!

Ein Baum für John

Blick vom Dach über Rehovot (zu Besuch bei einer Kollegin und ihrem Mann)

Rehovot (Weizmann-Campus)

Nach dem Essen fuhren wir mit ihnen und ihrem Enkelsohn nach Kirjat Gat. Er musste zu seiner Truppe zurück, weil er gerade den Militärdienst absolviert. Ich erinnerte mich daran, wie ich einmal meinen Bruder während seines Wehrdienstes zur Kaserne gefahren hatte. Das war ein ganz anderes Gefühl als hier. Bei uns war das damals viel abstrakter, es gab ja keine unmittelbare Bedrohung. In Israel aber ist die Gefahr, jemanden während des Militärdienstes zu verlieren, ganz real. Einen Enkelsohn hier zum Dienst zurückzubringen, schien mir etwas ganz anderes als damals, als ich meinen Bruder zur Kaserne fuhr. Mit vielen Eindrücken eines israelischen Familienlebens kehrten wir am Ende des Tages mit dem Zug zurück nach Tel Aviv.

Tel Aviv bei Nacht

just another day in paradise.

Ich verfolge ja begeistert Joachim Bessings 2016 – The Year Punk Broke. Wenn dieses Jahr sonst nichts Gutes bringt, wird es immer noch ein gutes Jahr gewesen sein, alleine deswegen. Also gestern, Cremes. Verstehe ich einerseits alles gut, aber andererseits regt sich in mir auch Widerspruch: Wie wird das, wenn Männer die Zartheit der Augenlider anderer Männer befühlen?

Ich liebe die Männer genug, als dass ich ihnen gönne, von diesem Frauenwahnsinn verschont zu bleiben. Nicht, dass ich selbst crememäßig sehr investiert wäre. Ich benutze seit 13 Jahren nur eine einzige Creme, nämlich die tatsächlich sehr tolle Cien Antifalten-Creme von Lidl.

Auf einer Flusskreuzfahrt arbeitete ich kürzlich mit vier internationalen Kolleginnen zusammen. Eine fing an, der anderen Komplimente zu machen:

Your hair looks fantastic today!
I love your shirt!
Those shoes are gorgeous!

Wie sozial üblich, erwiderte die Kollegin die Komplimente mit Gegenkomplimenten. Einmal losgetreten, ist so eine Welle potentiell endlos. Bald wurden wir anderen in den Strom hineingerissen. In den nächsten Tagen ging es neben den üblichen Kleidungsstücken um Accessoires von der Mütze und dem Schal bis zur Tasche, um Schmuck wie Armbänder, Ringe und Halsketten und selbst um Dinge wie ein besonders schönes iPad-Cover.

Ich pflege bei der Arbeit einen merkelhaften Kleiderzugang und kombiniere zwei schwarze Hosenanzüge, einen schwarzen Rock, eine graue Hose, einfarbige Shirts und drei Tücher. Hauptsache, es passt in unseren dress code (wir haben ein Handbuch, in dem alles genau drinsteht, sogar, dass wir jeden Tag frisch geputzte Schuhe anziehen sollen) [aber als Freiberufler sind wir offiziell natürlich überhaupt nicht weisungsgebunden, haha].

Jedenfalls: Nicht viel Spielraum für die Komplimentspirale, in der wir uns befanden. Meine Kolleginnen waren mit ihrer Kleidung durchaus viel kreativer. Vielleicht so kam die eine Kollegin auf meine Haut: „Your skin is so smooth! It makes you look so young!“ Da musste ich wirklich widersprechen: „Listen, I’m the mother of a severely disabled child. I’m perfectly aware that I don’t look younger than I am. This is really taking it too far.

Die Zurückweisung des Kompliments aber kam gar nicht gut an. Die Frauen sahen mich alle vorwurfsvoll an. Also sagte ich schnell: „Well, I can tell you one thing: My mom gave me an anti-wrinkle lotion when I turned 30. It took me by surprise, I thought I was too young, but I did use it ever since.“ Die Kollegin erfreut: „There you go!“ Frieden war wieder hergestellt, ich hatte die Dynamik so gerade eben nicht gekappt.

Bald ging es dann auch immer öfter um unsere Arbeit und wir sagten uns Sachen wie:

You did a great job today!“ und
You handled that situation beautifully!

Manchmal saß zum Abendessen ein 19-jähriger norwegischer Schiffspraktikant als einziger Mann an unserem Tisch und ich hatte ein bisschen Bedenken, dass es ziemlich schrecklich für ihn sein könnte, mit uns mittelalten Frauen so ein 5-Gänge-Menü auszuhalten. Sein Chef aber versicherte auf eine entsprechende Nachfrage (relativ überzeugend): „No, no! He tells me that it’s absolutely fascinating.

Abends ging ich, nachdem der Wein das Momentum noch einmal angekurbelt hatte, irgendwann völlig erschöpft in meine Kabine und am nächsten Morgen war mir vor dem Zusammentreffen beim Frühstück etwas mulmig zumute: Waren uns über Nacht genügend neue Ideen gekommen? Ich weiß gar nicht, was anstrengender war: die Arbeit oder das Sozialverhalten unter fünf Frauen.

Deshalb dachte ich bis jetzt immer, es sei besser, wenn man in geschlechtergemischten Teams arbeitet. Aber wenn nun ein Mann möchte, dass man seine zarten Augenlider befühlt, dann bringt die Geschlechtermischung wohl auch nichts mehr. Insofern, anyway, das war meine cautionary Cremestory.

[Neben der Antifalten-Creme erhielt ich von meinem Eltern zum 30. Geburtstag noch 30 Packungen Nic Nac’s. Ich wohnte zu der Zeit schon über vier Jahre in den USA, hatte die üblichen Sachen, die man aus Deutschland vermisst (gutes Brot!) längst überwunden, aber nicht die Sehnsucht nach Nic Nac’s, und so war das eins der besten Geschenke aller Zeiten.]

holiday markets.

Bernkastel

Heidelberg - farbenfroher Weihnachtsmarkt

Strasbourg - Capitale de Noël

Straßburg

Ich bin von meinem Weihnachtsmarkt-Check zurück (a.k.a. Flusskreuzfahrt von Bernkastel nach Koblenz auf der Mosel und von Koblenz nach Straßburg auf dem Rhein). Bernkastel hat einen sehr schönen Markt, auch Trier und Luxemburg sind gut. Cochem: eigenwillig, mit Festzelt und Märchendeko. Koblenz in Weiß-Gold, Heidelberg dezent farbenfroh. Am schönsten aber ist tatsächlich Straßburg: Capitale de Noël, wie es auch so richtig auf den Glühweinbechern heißt.

Die abschließenden drei Tage in Paris waren ein bisschen düster, überall Polizei und Militär, schwer bewaffnete Patrouillen, bei Galeries Lafayette geschlossene Eingangstüren und nur zwei zentrale Eingänge mit Security Check, Eingangskontrolle im Hotel etc. Trotzdem habe ich drei sehr schöne Tage dort verbracht und fast alle Weihnachtsgeschenke in Paris gekauft. Ich bin sehr viel in der Stadt herumgelaufen, stundenlang. Vorher hatte ich mir gedacht, dass ich Paris jetzt nicht wieder so toll finden will, es ist schließlich nur eine Stadt, ich wollte das ein bisschen so sehen wie Jessa Crispin in The Dead Ladies Project, aber es ist mir nicht gelungen, ich fand Paris wieder sehr toll.

Galeries Lafayette

Galeries Lafayette

Louboutin-Schaufenster

Champagner - Farewe

Damit ist das Arbeitsjahr nun beendet. Was die Reiseleitung betrifft, bin ich nächstes Jahr ausschließlich für Flusskreuzfahrten eingeteilt. Sie werden immer beliebter, ich vermisse aber eigentlich die Landprogramme ein bisschen. Vielleicht gerade weil sie mehr Möglichkeiten zum Herumlaufen und Entdecken bieten.

[mehr Fotos bei Flickr]

le colombier.

Le Colombier Colleville Montgomery

Einer der Gründe, weshalb wir immer wieder nach Frankreich fahren: Man kann dort relativ günstig und bequem über die Website Gîtes de France ganze Häuser mieten. Das Ferienhaus Le Colombier, links neben dem alten Taubenturm, bot John reichlich Platz und auch die Möglichkeit, drinnen wie draußen lauter zu sein, ohne dass es andere stört. Eine gute Lage in der Normandie, sowohl zum Strand als auch zu den Orten der Alliiertenlandung, von denen wir ein paar neue erkundet und ein paar bekannte wiedergesehen haben. Das Ganze für 600 Euro pro Woche in der Hauptsaison. Ich kann es nur empfehlen (und werde dafür nicht bezahlt).

Es ist für uns ein grundsätzliches Problem, dass John überhaupt nicht mehr laufen will und wir somit oft Zuhause festsitzen. Die Isolation nimmt merklich zu. In der Normandie haben wir uns kurzerhand einen Rollstuhl ausgeliehen, als John am amerikanischen Friedhof streikte. Damit ließ John sich eine Stunde bei guter Laune durch die Gegend schieben. Es ist nicht so, dass er etwas dagegen hat, draußen zu sein. Er möchte nur nicht laufen. Ein Rollstuhl ist zwar nicht unbedingt eine Dauerlösung, aber hier und da eine Alternative.

Es hat uns wieder sehr gefallen, in La Belle France.

Mit John in Deauville

If I were any happier, I would have to be two people.

Urlaub in Südengland, dann direkt Arbeitseinsatz in Belgien und Holland (Tulpenkreuzfahrt). Nach dem langen Berliner Winter nun also wieder viel unterwegs, jeder Tag ein neuer Tag, das fühlt man unterwegs so sehr, es ist vielleicht einer der schönsten Aspekte des Reisens, dass sich alles ständig ändert, man gar nicht verharren kann, selbst wenn man wollte, man also einfach fließen lassen muss, das Leben wird dabei so angenehm unbehaftet, es wiegt einen insgesamt, ganz so wie in der Momentaufnahme auf dem Flusskreuzfahrtschiff, im Sturm durch die Nacht über das Markermeer fahrend, und man schläft in dieser Bewegung wie im Mutterbauch, jedenfalls stelle ich mir das so vor, dieses wiegende Bewegtwerden, ein herrliches Schlafen, aber natürlich fanden das nicht alle Passagiere und so wurde ich von der Nachtrezeptionistin zu einer Dame gerufen, die meinte, hinter ihrer Kabinenwand schlage wohl eine Ratte mit dem Schwanz gegen das Holz, dabei war es nur das Quietschen der Paneele im Sturm.

Viel Arbeit, so eine Hauptverantwortung für über 150 Personen. Absprachen mit dem Hotelpersonal auf dem Schiff, mit dem Restaurant (besondere Ernährungsbedürfnisse, Geburtstagskuchen etc.), mit der Bar wegen Empfängen, natürlich mit dem Büro in Chicago, mit Busunternehmen und Stadtführern (wann und wo am Schiff abgeholt werden, wo parken, wie lange bleiben, was genau vor Ort tun, wann zurückfahren etc.). Jeden Tag dockt das Schiff an einem anderen Ort, deshalb geht das alles jeden Tag von vorne los, neue Busse, neue Stadtführer, neue Aktivitäten, was ist heute zu bedenken, Den Haag, wir kommen fünfzehn Minuten vor Öffnung in das Mauritshuis, haben das Museum also die erste Viertelstunde für uns alleine, dafür aber vorher eine verantwortliche Person kontaktieren, die uns die Tür auch wirklich öffnet, lauter solche Kleinigkeiten, telefonieren, telefonieren. Jeden Tag neu die Geldsummen im Griff haben, was muss ich heute wo bezahlen, Quittungen über Quittungen sammeln, immer mit einem Aktenordner unterwegs („Monika, I always see you with the bible“). Dazu viele Kleinigkeiten organisieren wie Geschenke der Universitäten für bestimmte Gäste, Partys der Universitäten, Vorträge der mitreisenden Professoren, technische Ausstattung dafür etc.

Die operationale Organisation läuft idealerweise wie ein Hintergrundrauschen (je weniger die Reisenden sie überhaupt bemerken, umso besser), die Qualität der Information soll hoch sein, der Unterhaltungswert aber auch, und das Essen natürlich lecker, dabei jeden Tag für die große Gruppe moderieren, sich dazu etwas Neues einfallen lassen, und dann noch die Probleme einzelner Personen lösen, wie mutmaßliche Ratten in der Wand, streitende Ehepaare, sie mixt ein starkes Schlafmedikament mit vier Cocktails, er übernachtet in der Schiffsbibliothek, Leute mit einfachen Schrullen und Profilneurosen, wie der Professor, der genau dann auf die Toilette muss, als die Toilettenpause gerade vorbei ist und alle wieder im Bus sitzen, nun muss der ganze Bus auf ihn warten, und das scheint ihm zu gefallen (in den anderen vier Bussen ist währenddessen was anderes los, das ist ja auch so ein logistischer Aufwand, wenn man ein ganzes Schiff gechartert hat, dass man dann alles mit fünf Bussen parallel macht), dann aber auch Leute mit wirklich pathologischen Problemen, eine demente Frau verirrt sich zuerst bei der Ankunft im Flughafen Schiphol und später im Keukenhof, eine andere, ebenfalls verwirrte Frau läuft nachts nackt über den Flur. Dazu allerlei Beschwerden wegen Nichtigkeiten, der Sodiumgehalt des Mineralwassers an Bord sei zu hoch etc.

Aber dann kommen natürlich auch sehr nette Reisende, bedanken sich für dies und jenes, nehmen einen in den Arm („Monika, I think you need a hug!“). Oder sie sagen tolle Sachen, wie der Mann, der auf die Frage, wie es ihm geht, antwortete: „I couldn’t be better. If I were any happier, I would have to be two people.“ So wird man von den Launen der Menschen durch den Tag getragen. Am Ende hat alles gut geklappt, zwei anstrengende Wochen, aber als ich mich am Flughafen Brüssel von meinen Kolleginnen verabschiedete (eine aus Spanien, eine aus Irland, eine aus Israel), vermisste ich sie direkt schon, und auch die Arbeit, das Angenehme des ständigen Beschäftigtseins. Noch vier Wochen bis zum nächsten Einsatz, dann in meinem Wattebausch Schweiz.

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