an später denken.

Sonntag waren wir in der Matinée, Barenboims Klavier-Zyklus in der Staatsoper im Schillertheater, Schubert. Immer noch große Barenboim-Fanin. Wenn ich das Geld hätte, würde ich zu jedem seiner Konzerte gehen, ich glaube nicht, dass ich daran ermüden könnte.

Montag Nachmittag habe ich Isas Wirsing-Quiche nachgekocht. Ich möchte immer auch mal ein Rezept von Anke nachkochen, aber Isa hatte schon wieder ein Rezept, dessen Zutaten ich gerade Zuhause hatte, einen halben Wirsing, also voilà. Lecker, sehr lecker.

Montag Abend war ich im Haus Rosemarie Reichwein der Spastikerhilfe Berlin beim Vortrag An später denken von Carola von Looz, die Betreuungsrichterin und selbst Mutter einer Tochter mit geistiger Behinderung ist.

Wenn Eltern ein Kind mit einer schweren geistigen Behinderung bekommen, leisten sie einen Schwur: „Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, damit es Dir gut geht. Ich werde mich um Dich sorgen, solange ich lebe. Ich werde immer für Dich da sein.“ Aber was kommt danach? Was ich vernommen habe: eine sanfte, aber deutliche Warnung, dass Eltern dazu neigen, zu feste Strukturen für ihr Kind zu planen. Zeiten ändern sich, Umstände ändern sich, Menschen ändern sich. Die Strukturen, die man plant, sollten so flexibel sein, dass sie auch mit solchen Veränderungen noch funktionieren. Am besten geeignet: Netzwerke. Sie sind offener und zugleich sicherer als eine Engführung, die beispielsweise an eine einzige Betreuungsperson gebunden ist. Verwandte, Freunde, Nachbarn, Ärzte, Therapeuten: diejenigen, die mit dem Kind bzw. dann erwachsenen Menschen mit Behinderung zu tun haben, sollten einander kennen, Kontaktdaten haben, und eine gute Meinung voneinander (wozu man selbst beitragen kann).

Das innere Leben eines Menschen bleibt weitestgehend sein Geheimnis. Das gilt im Besonderen, wenn jemand nicht sprechen kann, aber dennoch gilt auch für ihn oder sie: das Leben findet in der Seele statt, gespeist von Sinneseindrücken. Keine Regelungen, die Kinder zu Statisten in ihrem eigenen Leben machen. Nicht zu viel vom Eigenen vorgeben. Zulassen, dass sie nicht nur durch die Eltern abgeleitete Beziehungen haben.

Was macht ein erfülltes Leben aus? Viele Eltern konzentrieren sich in der Sorge um ihr schwerbehindertes Kind darauf, dass es jederzeit sicher und schmerzfrei sein soll. Für unser eigenes Leben hingegen sind das nicht die Kriterien, die ein erfülltes Leben ausmachen. Wichtiger ist uns zum Beispiel, dass wir schwierige Situationen gemeistert haben, dass wir daran gewachsen sind. Wichtiger sind uns Kontakte zu Menschen. All das gilt auch für einen Menschen mit einer schweren Beeinträchtigung. Glücklichsein begründet sich nicht alleine in Schmerzfreiheit und Sicherheit.

Die erste Beerdigung, die das eigene Kind besucht, sollte idealerweise nicht die des Vaters oder der Mutter sein. Auch Trauer muss eingeübt werden.
(Methoden an die Hand geben, Trauer zu verarbeiten.)

Das Bewusstsein der eigenen Biografie ist sehr wichtig, für jeden Menschen. Ein Kind mit einer schweren geistigen Behinderung, zumal wenn es nicht spricht, kann dieses Bewusstsein aber nicht selbst durch die Zeit transportieren, und andere Bezugspersonen wechseln meistens im Laufe der Zeit. Dies ist die besondere Aufgabe der Eltern. Wir sind Zeitzeugen des Lebens unserer Kinder. Mit uns stirbt alles, was wir nicht aufgeschrieben haben beziehungsweise hinterlassen. Frau von Looz regte an, einen sogenannten Lebensordner anzulegen, in dem alles Wichtige dokumentiert wird: Umzüge, wichtige Veränderungen, Highlights im Leben, Reisen, Krankheiten etc. Wer sich das Schreiben nicht selbst zutraue, könne sich an ein Schreibbüro wenden. Fotos sind dabei natürlich auch von großer Bedeutung.
(Ich muss an den bewegenden Moment denken, als Sabine sich das Video ihrer Reise nach New York ansieht, in Ihr Name ist Sabine.)

Wichtig neben Personen sind aber auch Bilder von Orten, Zimmern, Gegenständen und Wegen. All das wird irgendwann weg sein, anders sein, aber die Bilder können es der Tochter oder dem Sohn in Erinnerung rufen.

Fotos von Ritualen der Familie. Die innigen Momente, die so wesentlich sind, und von denen man dennoch – ausgerechnet – meistens keine Abbildung hat.

Was mir dabei einfiel, und was im Vortrag nicht erwähnt wurde: Weblogs haben das natürlich alles revolutioniert. Wenn ich nur daran denke, wie lange ich schon Kristina Chew lese oder Shannon des Roches Rosa, um zwei Beispiele zu nennen: würde ich Charlie oder Leo begegnen, wenn sie 40 oder 50 Jahre alt sind, dann wüsste ich, wann sie Fahrrad fahren gelernt haben oder ihr erstes iPad bekamen, welche Apps Leo mochte und dass Charlie immer gerne Burritos aß.

Bildnis des Weblogs als Lebensordner.

Interview: My baby rides the short bus, natürlich KQED.

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