„This is all about restoring worlds; it’s about creating something that you lost.“
Auf dem Friedhof habe ich gestern mit einem Vater gesprochen, der seinen achtjährigen Sohn vor 13 Jahren verloren hat. Wir standen am Grab des Jungen und ich dachte, heute wäre er nun also 21, aber er wird für immer acht sein. Da ist mir erst aufgegangen, dass das ja auch für John gilt. Für immer 15.
Der Vater erzählte, dass der Schmerz niemals weggeht. Mit 13 Jahren im Rücken hat so eine Aussage natürlich einiges an Autorität. Seine Schilderung erschreckte mich aber nicht, ich fand sie im Gegenteil sogar beruhigend. Solange der Schmerz bleibt, bleibt auch die Verbindung zu John. Mitten in mir ist so eine Art Ngorongoro-Krater, der bleibt und in dem vielleicht mit der Zeit irgendetwas wächst, aber der Krater ist und bleibt eben da. Der Schmerz, der Verlust, die Sehnsucht: sie sind eingezogen, um zu bleiben. Unsere neuen Mitbewohner.
Hier gibt es keine Weisheit und keinen Rat. Jemand sagte mir: „Du hast es noch immer geschafft, das Beste aus jeder Situation zu machen. Ich bin sicher, dass es Dir auch dieses Mal gelingen wird.“ Ich weiß, dass das aufbauend, ermunternd, tröstend gemeint ist. Ist schon okay, aber es trifft es doch nicht. John zu akzeptieren, wie er war, das war für mich kein Problem und hatte gar nichts mit „das Beste daraus zu machen“ zu tun. Alles war schließlich Teil seiner Persönlichkeit. Johns Tod dagegen ist etwas ganz anderes für mich als die Behinderungen und chronischen Erkrankungen. Und nichts, woraus man das Beste machen kann.
In einem Artikel über verwaiste Eltern las ich: „We have hit the bottom, we’ve gone to the lowest place you can go and found there was still something solid beneath our feet.“ [#]
Vielleicht ist es für mich noch zu früh, etwas Festes unter den Füßen zu fühlen. Ich kann dazu auch nicht viel sagen, wie soll man denn das Unbeschreibliche beschreiben. John lebt in unserer Erinnerung weiter, und auf eine Art lebt er auch durch mich hindurch. Letztens habe ich mir morgens auf 3sat Johns geliebtes Alpenpanorama angesehen und gedacht, dass es doch wirklich ganz beruhigend ist. Abends schaltete ich bei einer Tier- und Naturdokumentation nicht weiter, mich haben diese Dokumentationen früher nicht besonders interessiert, aber ich habe mit John so viele davon angesehen, dass ich sie nun selbst mag. John hat mir seine Interessen vermacht. (Allerdings nicht die Volksmusik, von der er im letzten Jahr seines Lebens aber zum Glück auch nicht mehr so angetan war.)
Gestern war Thanksgiving, ich spürte wieder diese Feiertagslähmung, das kenne ich nun schon von Ostern, Muttertag und Johns Geburtstag. Wir sind froh, dass einer von Johns ehemaligen Einzelfallhelfern zu uns kam, um mit uns turkey, stuffing & mashed potatoes zu essen und sich mit uns gemeinsam an John zu erinnern. John hat das Thanksgiving-Essen immer sehr gemocht. Wir haben uns dieses Jahr wieder viel Mühe damit gegeben, zu seinen Ehren. An seinem Platz eine Kerze. Das Essen hätte ihm geschmeckt.
Thanksgiving, der Tag der Dankbarkeit. Waren wir als Eltern eines schwerstbehinderten Kindes schon zu Top-Experten darin gereift, so sind wir als verwaiste Eltern nun wohl Meister in dieser Kunst. So, so dankbar für alle Tage und Jahre, die wir mit John verbringen durften.
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Ein Zitat von Cheryl Strayed: „It is impossible to go on as you were before, so you must go on as you never have.“ [#]
Ich weiß nicht, was das für mich konkret heißt, aber ich fühle, dass es auf mich zutrifft. Ich habe keine Wahl, der Weg ändert sich. Die erste Auswirkung ist, dass ich mein Ehrenamt als Patientenvertreterin aufgegeben habe. Ich habe gemerkt, wie sehr John mir die Energie dafür gegeben hatte, die kleinsten Fortschritte dort wertzuschätzen und die ganzen Frustrationen in diesem David gegen Goliath auszuhalten. Ohne John fehlt mir diese Energie. Es ist mir nicht leicht gefallen, das zurückzulassen, was ich acht Jahre lang mit Ausdauer, Engagement und auch einigem Erfolg getan habe. Aber es geht eben nicht mehr. You must go on as you never have. Es wird sich mit der Zeit zeigen, was das genauer heißt.
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Auf der Suche nach einem Grabstein. Wir sehen uns bei verschiedenen Berliner Steinmetzen um und entdecken wieder einmal, wie viele bisher unbekannte Orte und Ebenen es in einer Stadt immer noch gibt, nach so vielen Jahren. Oder vielleicht doch die teurere Version von einem Bildhauer? Ein paar dieser Grabzeichen gefallen uns ganz gut. Wieder Spaziergänge auf dem Friedhof. Wie soll Johns Stein aussehen? Wie Tristans, wie Katrins, wie Ulrichs, wie Werners? Warten auf die entscheidende Eingebung.
I’m thankful for your blog.