Vorweg etwas, das mich gefreut hat zu hören: Der letzte Band im Romanzyklus von Karl Ove Knausgård wird Kämpfen heißen. Den Titel habe ich mir so gewünscht. Ich bin schon sehr gespannt. In der Zwischenzeit habe ich endlich Knausgårds Essaysammlung Das Amerika der Seele gelesen. Das Buch hat mir gut gefallen, auch wenn es mich nicht ganz so gepackt hat wie die Romane. Vielleicht liegt es daran, dass in den Essays die starke persönliche Perspektive weniger präsent ist. In einigen Texten kommt sie hervor (Am Grund des Universums) und dann ist da sofort wieder dieses typische Knausgård-Feeling. Es ist wohl das Private, das diesen Sog erzeugt. Der Romanzyklus funktioniert durch die Kombination von intimen und essayistischen Passagen. Nur das eine oder nur das andere hat nicht denselben Effekt. Muss es aber ja auch nicht.
In der Essaysammlung taucht vieles wieder auf, das wir schon aus den Romanen kennen – und sei es etwas zunächst so banal Scheinendes, aber offenbar extrem Prägendes wie in der Kindheit das Lauern auf die Schritte und Bewegungen des Vaters im Elternhaus. Knausgårds zentrale Themen wiederholen sich auch innerhalb der Essaysammlung selbst: der Tod, die Liebe, das Wesen der Kunst und die Wahrnehmung des Selbst. In den verschiedenen Perspektiven auf gleiche Themen wird immer deutlicher, welche Texte und Autoren Knausgård wesentlich geprägt haben (zum Beispiel immer wieder die Bibel und Knut Hamsun), und man erkennt auch die Entwicklung von Themen. Der Text Das für alle Gleiche etwa ist die Eröffnungsrede zu einer Ausstellung in Louisiana 2012. Knausgård betrachtet darin das Thema Tod in Bezug auf Selbstporträts. So kommen zwei seiner zentralen Themen plötzlich zusammen und werden dann auch noch mit einem dritten Thema zusammengeführt, dem Wesen der Kunst.
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„Der Tod ist nichts, wie lässt sich darüber schreiben, ohne dass das Nichts zu etwas wird?“
„Das Selbstporträt kann auch dem Teil des Menschen nahe kommen, der nicht irgendetwas repräsentiert, nicht einmal die Identität, sondern der das ganz Eigene ist, das Selbst, das, was die Alten Seele nannten.“
„Der Blick des Selbstporträts sagt, ich bin wie du. Ja, sieht man lange genug hin, ist es, als ob dieser Blick sagt, ich bin du. Es kommt in der Religion und in der Kunst vor, dass das Bewusstsein des eigenen Selbst verschwindet.“
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In Das Leben in der unendlichen Sphäre der Resignation hatte ich das Gefühl, dass Knausgård etwas ganz deutlich ausspricht, was bisher immer mitschwang, aber so deutlich habe ich es bisher von ihm noch nicht gelesen: „Die Oberfläche ist mein Leben, die Tiefe meine Sehnsucht. Das Gefühl, dass das Eigentliche möglich ist und das Authentische eine Realität, ist stark, aber auf welche Weise es möglich und real ist, weiß ich nicht.“ Der Gedanke führt ihn zu Kierkegaard: „Wagt er sich deshalb so weit vor, ganz bis zum Rand des Menschlichen, wo alles akut, prekär und bebend vor Leben und Sinn ist?“
Knausgård ist da noch nicht angekommen. Ich sehe das vor allem auch an den Bemerkungen zu seiner Arbeit in einer Einrichtung für behinderte Menschen, die in diesem Buch genauso klingen wie im Romanzyklus. Er schreibt, dass er darum kämpft, Empathie zu empfinden. Ich möchte entgegnen: Weil er nur die Oberfläche sieht. Hier könnte man ihn an seine eigene Erkenntnis in dem anderen Essay verweisen. Er sieht diese Menschen, aber in seiner Beschreibung wird klar, dass er sie nicht erkennt.
Dennoch, ich habe Das Amerika der Seele gerne gelesen. Manchmal war es mir etwas zu viel Namedropping, da hatte ich ein bisschen den Eindruck, dass Knausgård meint, seine Intellektualität beweisen zu müssen. Aber geschenkt. Es ist auf jeden Fall gut, in der Wartezeit auf Kämpfen diese 476 Seiten zu haben.
Möglicherweise ist Knausgards mangelnde Empathie gegenüber den behinderten Menschen auf seine Art des Betrachtens zurück zu führen, die das Erkennen und dadurch das Verstehen nicht zulässt.
Es fällt mir sehr schwer, mich einem Autor offen und wohlwollend zu nähern, dem diese Art des Betrachtens und Erfassens eigen ist, obwohl ich Ihren Rezensionen entnehme, dass sein Werk sehr lesenswert ist.
Ich bin beim Lesen auch immer wieder unangenehm berührt. Das macht halt diese Ehrlichkeit. Er hat ein großes Bedürfnis, gesehen zu werden, und dem wird nahezu alles andere untergeordnet. Das beschönigt er eben auch nicht.
Ja, er betrachtet aus radikaler Eigenperspektive und das behindert ein tieferes und wirkungsvolleres Einfühlen. Man merkt das auch bei der Schilderung seiner Beziehung zu Frau und Kindern. Er sitzt dann etwa in einem Café und liest und schreibt, während die Frau Zuhause wartet, und er hat ein schlechtes Gewissen, aber er kommt trotzdem später als verabredet heim. Für die Kinder scheint er sich noch am ehesten manchmal hintanstellen zu können, aber auch nicht immer.
Nicht, dass es die Kälte entschuldigt, aber ich finde auch wichtig zu sagen, dass er dieses „eigene Selbst als oberste Priorität“ nicht aus einer Position der Stärke heraus lebt, sondern wie es scheint eher im Gegenteil aus einem nicht so gut entwickelten Selbstwertgefühl.
Egoist, aber aus Not.