der arbeitgeber.

Gestern kleiner Stand-off in der Badewanne, die der Kandidat auch nach einer halben Stunde baden immer noch nicht verlassen wollte. Ich erklärte ihm, dass das Baden nun beendet sei und ließ das Wasser aus. Der Kandidat machte allerdings keinerlei Anstalten, aus der Wanne zu klettern. Ich versuchte, ihm zu assistieren, konnte den nassen Aal allerdings nicht bewegen. So blieb er also in der leeren Wanne liegen. Um ihn herauszuheben, ist er schon zu schwer; ohne seine Kooperation geht nichts mehr, und wenn man die nicht bekommt, heißt die Devise: Warten. So hielt ich den Hebel des Wasserhahns verschlossen, und John versuchte, das Wasser wieder anzustellen, es gelang ihm aber nicht, mich zu überlisten. Ich erklärte wiederholt, dass eine halbe Stunde in der Wanne genug sei, dass seine Haut schon ganz schrumpelig und rot sei und dass er nun wirklich herauskommen müsste.

Letztlich eine wunderbar normale Situation, wie mit einem trotzenden Zweijährigen. Wir haben eine weitere halbe Stunde so verbracht: ich hielt den Hebel zu, und er versuchte, ihn zu öffnen. Ich war entschlossen, diese Grenze geduldig, aber bestimmt zu setzen, und tatsächlich stand er nach einer halben Stunde plötzlich auf, als sei nichts gewesen, kam über den Rand geklettert und griff nach seiner Zahnbürste, mit erwartungsvollem Blick Richtung Zahnpasta, als wolle er sagen: „Nach dem Baden Zähneputzen, right? Dann gib mir aber gefälligst auch die Zahnpasta und hilf mir schon endlich dabei.“ Er war bestens gelaunt, und was mich am allermeisten gefreut hat: dass er diese Situation überwunden hat, ohne auch nur ansatzweise aggressiv zu werden. Noch vor zwei Wochen hätte er bedingungslos gebissen, gekratzt und geschlagen, um seinen Willen durchzusetzen. Vielleicht ist er mit seinen acht Jahren nun wirklich in der Trotzphase angekommen, vielleicht ist das sein Entwicklungsstand, der bei einem kräftigen, nicht-sprechenden Achtjährigen einfach ungleich schwerer zu handhaben ist als bei einem neurotypischen Zweijährigen. Aber langsam kommt er aus der Krise heraus, jeden Tag geht es ein bisschen besser. Toi, toi, toi.

Er hätte es sicher leichter, wenn er sprechen könnte (wir nennen ihn übrigens „das nicht-sprechende zweisprachige Kind“, denn da wir Zuhause zu viel Englisch sprechen, versteht er das mittlerweile fast so gut wie Deutsch, außerdem war Englisch die ersten beiden Lebensjahre ja sowieso seine Muttersprache, das merkt man doch auch). Könnte er sprechen, müsste er Auseinandersetzungen nicht ausschließlich körperlich austragen. Manchmal fehlt einem die Sprache doch. Aber daran arbeiten die Therapeuten, und da fällt mir ein, was ich gestern gedacht habe: John ist ein hervorragender Arbeitgeber. Er beschäftigt seinen persönlichen Bodyguard im Schulbus, er beschäftigt einen Vollzeit-Helfer in der Schule, neben dem herkömmlichen Lehrpersonal, er beschäftigt zwei Einzelfallhelfer und mehrere Therapeuten (Ergo, Logo und unterstützte Kommunikation), und wo uns jetzt die „zusätzlichen Betreuungsleistungen“ der Pflegereform bewilligt wurden, wird er auch noch für 200 Euro im Monat eine zusätzliche Betreuungskraft beschäftigen. Welcher Achtjährige ist schon so ein umfangreicher Arbeitgeber? Der Kandidat als Arbeitgeber schnürt [wie man so sagt] sein eigenes Konjunkturpaket.

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