2015 habe ich vor allem viel gearbeitet. Drei Jobs und ein Ehrenamt unter einen Hut zu bringen, das ist eine ziemliche Puzzelei.
Am Ende waren es:
73 Tage Übersetzung
39 Tage Bundestag
37 Tage Reiseleitung
32 Tage Gemeinsamer Bundesausschuss
Dazu kamen viele mit der Arbeit zusammenhängende (vorbereitende, nachbereitende, fortbildende) Termine wie Abstimmungstreffen, eine Tagung der Bundespsychotherapeutenkammer, ein Teilhabekongress im Paul-Löbe-Haus, eine Sitzung zur Evaluation des Bundeskinderschutzgesetzes im Familienministerium und zwei Coaching-Seminare (Rollenspiele!) im Gemeinsamen Bundesausschuss. Ende des Jahres habe ich dann noch bei einem Seminar der Bundeszentrale für politische Bildung einen Vortrag über Inklusion gehalten. Offiziell hatte das Jahr 254 Arbeitstage, und die habe ich mit zwei kleinen Urlaubsausnahmen fast komplett mitgenommen.
Gearbeitet habe ich 2015 in Berlin, Potsdam, Rügen, Buchholz, Frankfurt, Aachen, Holland, Belgien, in der Schweiz und in Frankreich. Gefühl: Alles gut. In der Selbständigkeit liegt ja doch immer eine größere Unsicherheit und da empfinde ich es schon als sehr beruhigend, wenn keine Leerläufe entstehen und das Gefühl im Rücken ist, dass da noch mehr wäre, wenn man es bräuchte. Das Einzige: Ich würde gerne mal wieder weiter weg arbeiten. Meine Kollegin, mit der ich gerade in Paris war, geht als nächstes nach Patagonien und in die Antarktis. Da ziept das Fernweh. Diese Reise dauert allerdings zum Beispiel drei Wochen und ich habe ein Limit von zwei Wochen gesetzt, weil ich John nicht mehr als das zumuten möchte. Für ihn ist es nicht immer einfach, wenn ich weg bin. Zum Glück habe ich Scott und John dieses Jahr auch zweimal mitnehmen können, nämlich nach Rügen und nach Aachen, was die Arbeitsaufträge auch gleich noch schöner macht.
Neben der Arbeit muss man sich natürlich immer mit viel Kram beschäftigen, Öl- und Reifenwechseln, kaputten Windschutzscheiben, Nachbarschaftstreffen wegen der Mietentwicklung im Kiez, einem neuen Kühlschrank, der Umorganisation des Büros, dem Streichen der Küche, Rumräumen, Keller entrümpeln und wieder zurümpeln (der Turnaround zwischen ent- und wieder zu- ist ja auch etwa ein Jahreszyklus). Wenn man dann noch die Besuche von Verwandten und Freunden in Berlin hinzunimmt, wundert es mich auch gar nicht mehr, dass das Jahr total an mir vorbeigerauscht ist.
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Prägende Eindrücke gab es trotzdem jede Menge.
Lesungen: Innerhalb von zwei Tagen Bov Bjerg und Karl Ove Knausgård. [Berlin-Liebe].
Sehr schöne Urlaube in Südengland (Ostern) und in Frankreich (Sommer).
Ein neues Fahrrad für John! Großes Highlight.
Ein Helikopterflug durch die Alpen, von Täsch nach Bern. Der Anlass war traurig, denn einer meiner Reisenden hatte einen Herzinfarkt. Aber er hat überlebt. Nicht zuletzt, weil er so schnell nach Bern geflogen und dort sofort operiert wurde. Der Heliflug durch die Alpen war wahnsinnig beeindruckend, ich würde sagen in der gleichen Liga wie meine Ballonfahrt über die Serengeti vor zwei Jahren.
Konzert: Decemberists. Wie toll, im März im Astra.
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Wir ahnten allerdings nicht, dass das Konzert für lange Zeit der letzte gemeinsame Abendausflug von Scott und mir werden würde. Ab Mai kam John in eine Krise, wurde wieder aggressiv, Zuhause nicht, aber in der Schule ganz massiv. Bei Johns Größe und Kraft sind Kontrollverluste mittlerweile richtig gefährlich, sowohl für andere wie für ihn selbst. Es folgten eine Unterredung mit der Schulleiterin und das Beantragen eines Schulhelfers (den wir seit Jahren nicht mehr gebraucht hatten).
John ist ziemlich am Kämpfen mit sich und der Welt. Scott und ich sind darum nicht mehr abends gemeinsam weggegangen, einer von uns bleibt immer bei John. Durch diese Krise müssen wir nun durch, sie ist immer noch nicht vorbei, kann bedingt durch die Pubertät sicher auch noch dauern. Die größten Probleme machen die Schule oder auch Treffen mit anderen Leuten. Am besten geht es, wenn einfach nur Scott und ich mit John zusammen sind.
Ich würde sagen, wir managen das bisher alle Drei okay, im Krisenmodus seit mehr als einem halben Jahr. Nur sollte John natürlich eigentlich schon regelmäßig in die Schule gehen (zu den 14 Wochen Schulferien und den diversen Feiertagen mit langen Wochenenden kamen im letzten Schuljahr über 30 Fehltage dazu, also nochmal knapp 7 Wochen) und es sollten auch andere Aktivitäten möglich sein, als nur zu Dritt zu sein. Das ist wieder so ein Balanceakt: Wie viel Raum gibt man Johns Bedürfnis nach Rückzug und wo verlangt man dann doch ein gewisses Maß an Anpassung? Wir sind schon ziemlich isoliert momentan, auf Dauer geht das nicht. Gewöhnt John sich daran und wird es dann später umso schwerer, wieder mehr Sozialkontakte einzuführen? Oder braucht John diesen Kokon nun für eine bestimmte Zeit? Im Moment haben wir uns entschieden, uns größtenteils darauf einzulassen und abzuwarten, ob John mit der Zeit wieder in eine stabilere Lage kommt, in der wir unser Leben wieder mehr öffnen können.
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Ein Resultat der Krise waren auch Überlegungen, ob John vielleicht Zahnschmerzen haben könnte. Nach mehreren Besuchen beim Zahnarzt und beim Kieferorthopäden führten diese Überlegungen im Herbst dazu, dass John in Vollnarkose die vier Weisheitszähne gezogen wurden, für die im Kiefer nicht genügend Platz war, gefolgt von zwei schmerzhaften Wochen Zuhause. Ein Riesending war diese Aktion, denn John versteht ja nicht, was da mit ihm geschieht, und man kann ihm auch nicht verständlich machen, dass er auf den Wunden nicht kauen soll etc. Aber nun sind die Zähne für immer weg: „Once in a lifetime“ (haben wir uns Dreien in den beiden Wochen immer wieder tröstend gesagt).
Kurz nach der OP hatte John dann seit langem erstmals wieder einen epileptischen Anfall. Ich habe das Bild leider noch genau vor meinem inneren Auge. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Krampfanfälle in der Pubertät zurückkehren, wir wussten das schon lange, aber wenn es passiert, ist es trotzdem ein Schock. Mit das schlimmste daran ist, dass John nun nicht mehr schwimmen gehen darf – eine seiner wenigen Lieblingsbeschäftigungen. Wir sind sehr traurig. Auch haben uns die diversen Rückschritte das Thema Inkontinenz wieder verstärkt zurückgebracht.
Zum 1. Dezember hat uns unser Einzelfallhelfer verlassen, der sechs Jahre bei uns war. Wir haben beschlossen, erstmal niemand Neues zu suchen. Es ist alles gerade so schwierig, wir halten es für zu viel, wenn sich John nun auch noch auf eine neue Person einstellen sollte. Wenn John zur Schule geht, ist eh nur der Freitagnachmittag dafür frei. Den machen wir dann halt erstmal alleine. Wir haben uns aber bei der Eingliederungshilfe zunächst nur ein Aussetzen und keine Beendigung der Bewilligung erbeten, so dass wir für den Fall des Falles keinen kompletten Neuantrag stellen müssen.
2016 beginnt für uns mit einer Einweisung ins Epilepsiezentrum des DRK-Klinikums Westend. Übermorgen geht es ins Krankenhaus, hoffentlich nicht allzu lange, denn wenn zwei Dinge ganz schlecht zusammengehen, dann John und Krankenhaus.
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Das beste: Ein glücklicher Bunchie, selbst in der Krise noch. What a trooper, seine Energie erstaunt uns immer wieder.
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2015 war… Puh, sehr erlebnisreich.
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